Aus lauter Zorn. Valentine Imhof. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Valentine Imhof
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783948392079
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die Art und Weise, in der sie sie ficken wird, Junior und die Meute, die er auf sie angesetzt hat. Doch plötzlich greift ihr jemand unter die Achseln und zieht sie aus dem Getümmel heraus. Sie schreit, will, dass man sie zufriedenlässt, und vor allem, dass man sie krepieren lässt. Man soll sie nicht retten. Nicht jetzt, wo alles seinen Abschluss findet. Doch ihre Schreie bringen nicht mehr als ihre schwachen Versuche, sich gegen die Hilfe zu wehren.

      Bald liegt sie ausgestreckt auf dem Boden, die rechte Wange badet in einer kleinen, sich langsam ausbreitenden Pfütze aus Rotz und Sabber. Zopfbart beugt sich über sie. Er lächelt nicht mehr so wie am Eingang. Sieht eher besorgt aus. Will ihren Samariter spielen. Scheißfreundlich! Sie hat ihn um nichts gebeten. Der Blödmann hat sie um ihr Halali gebracht. Ihren Abgang vermiest.

      Der Rausschmeißer wischt Alex’ Gesicht mit einem feuchten und kalten Lappen ab, der danach blutig ist. Sie sagt sich, dass man ihr wahrscheinlich die Fresse eingeschlagen hat, aber sie spürt nichts davon. Jedenfalls im Moment. Sie kann nur das linke Auge öffnen. Er hebt sie hoch wie eine Feder und trägt sie zur Seite. In seinen großen Armen fühlt sie sich ganz klein und schwach. Sich so zerbrechlich und verletzlich zu fühlen, ist ihr ein Horror.

      Sie wehrt sich, versucht sich zu befreien, aber er hält sie fest und bringt sie in ein Zimmer, das von grellem, aggressivem Neon erleuchtet und in dem das Getöse des weitergehenden Konzerts nur noch gedämpft zu hören ist. Zumindest nimmt Alex das so wahr, denn ihre Trommelfelle haben auch was abgekriegt.

      Ihr Bernhardiner setzt sie in einem alten Clubsessel ab und holt einen Erste-Hilfe-Kasten. Die beiden sprechen nicht. Sie, weil sie sich ein wenig matschig fühlt, und auch weil sie nichts Besonderes zu sagen hat, und vor allem nicht Danke. Er, weil er die Schnauze voll hat von durchgeknallten Gästen, die sich aufs Maul hauen, und weil er sich auf das konzentriert, was er tut. Ein antiseptischer Verband. Ihr tut noch immer nichts weh. Dann schnelle Blicke zwischen ihrem blutigen Gesicht und der Schachtel mit den Pflastern: ein kleines für den Nasenrücken, ein mittleres für den rechten Mundwinkel und ein großes für die linke Augenbraue.

      Dann fragt er, wo sie wohnt, und sie zieht aus der Tasche ihrer Sweatjacke einen Schlüsselbund vom Hostel De Draecke. Er nimmt sie wieder auf die Arme, um sie zu seinem Wagen zu tragen, und fährt sie nach Patershol. Kaum eine Viertelstunde Fahrdauer, der Verkehr ist flüssig. Alex schließt die Augen. Sie reden kein Wort.

      Er bringt sie bis zu ihrem Zimmer, indem er sie am Ellbogen festhält wie eine kleine alte Oma, der man über die Straße hilft. Dann gibt er ihr den Schlüssel, zieht die Tür zu und geht.

      »Slaap lekker!«

      »Ja, du hast recht! Gute Nacht, Arschloch!«

      Alex, mit dem ausgestreckten Mittelfinger hinter der Tür, sagt sich, dass Zopfbart einen verdammt guten Sinn für Humor hat: Sie wird bestimmt eine außergewöhnliche Nacht verbringen.

      Ihr ist kalt, und der Schmerz macht sich nun im ganzen Körper in kleinen heimtückischen Wellen bemerkbar, die immer stärker werden. Wie ein Häufchen Elend hockt sie an der Tür und versucht, sich aus den feuchten und blutigen Klamotten zu schälen, die nach Kippen und Pisse stinken.

      Alles fällt ihr schwer. Ihre Bewegungen sind langsam und ungeschickt. Die Doppelknoten der Schnürsenkel haben sich im Regen zusammengezogen, und sie bräuchte jemanden, der ihr hilft, die hohen Doc Martens auszuziehen, die scheinbar hauteng an ihren Füßen festgeschweißt sind.

      Sie schlägt sich mit den Knöpfen am Hosenschlitz herum. Fünf, die sie schließlich mit letzter Kraft überwindet. Die Jeans, durchnässt und stinkend, klebt ihr an der Haut. Sie muss sie bis zu den Knöcheln auf links drehen, um sich von ihr zu befreien. Plötzlich hat sie das ekelhafte Bild eines Aals vor Augen, dem man die Haut abzieht und der sich windet. Das ist wirklich nicht der richtige Moment dafür. Sie muss sich übergeben.

      Die Arme zu heben und das T-Shirt über den Kopf zu ziehen, ist eine Tortur. Ein oder zwei Rippen sind bestimmt gebrochen. In ihren Schläfen hämmert es.

      Ihr Schädel scheint anzuschwellen und aus der Form zu geraten. Sie sieht sich mit einem Wasserkopf voller Auswüchse à la Joseph Merrick. Und sie denkt, dass sie mit alldem und ihren Tätowierungen eine Hauptattraktion in der verdammten Freak Show bilden würde.

      Ihre Speicheldrüsen spielen verrückt. Nackt wie ein Wurm kriecht sie über die ein Meter fünfzig, die sie von der Toilette trennen, und, festgeklammert am Klodeckel, den Kopf in der Schüssel, spuckt sie, wie es ihr scheint, literweise eine bittere Brühe aus. Jeder neue Brechreiz entreißt ihr ein dumpfes animalisches Wimmern, wie bei einem gebärenden oder sterbenden Tier. Sie verliert das Bewusstsein.

      Als sie flach auf dem Bauch auf den kalten Kacheln erschöpft wieder zu sich kommt, gelingt ihr nicht die geringste Bewegung. Nach einer Weile, vielleicht zehn Minuten, einer Viertelstunde, einer Stunde, öffnet sie, zu Eis erstarrt, wieder das Auge und schafft es, sich langsam kriechend und unter starken Schmerzen zur Dusche zu schleppen, sich dort aufzusetzen und auf den Druckknopf zu drücken. Der Wasserdruck auf ihrer geschundenen Haut ist zu stark. Sie beißt die Zähne zusammen und überlässt sich dem Strahl, erst kalt, dann wärmer und schließlich heiß. Und dann nichts mehr.

       Kapitel 7

      unepiqurelegerepointmechantecuisanteapeinepourlesma ladroitsetsoudainlecharmeopereuneondevousenveloppe cestlalunedemieldanscetteperiodeelevatoirelesideesaffluent lesoeuvressebauchentlaparolesurabondelivresseemportel hesitationetlatimiditeuneeurythmieclairvoyanteharmonise lapenseeleschagrinssontenfuiteetlessensabolisdanslapleni tudeheureusedesaforceetdesajoielhommesesentdevenirdieu cestleflambeaudepsychequisallumeauplusprofonddeletreet faitpalpiterasalumierelechatoiementdestresorsensevelisbien totcependantlesbrumesiriseeslesflottantesgazesepaississent leurrideaulebrouillardquipretaitalexistencelecharmedescon toursindeterminesdevientunmurimpenetrableuncachotdou leprisonniernesevaderaquauprixdexécrablesdouleurs

       9. November 2006, Lerwick, Shetlandinseln, Polizeirevier

      Die halten sie tatsächlich alle für blöd. Kelly schimpft und tobt im verlassenen Polizeirevier. Wütend brüllt sie die letzte Strophe von Nick Caves »Red Right Hand«. Eine völlig neue Version, noch beängstigender und bedrohlicher als das Original. Sie ist schwer am Grübeln, könnte um sich beißen. Seit drei Wochen guckt sie sich acht Stunden am Tag die Augen aus dem Kopf, um fotokopierte Listen und Informationsdateien zusammenzustellen. Listen mit allen Ein- und Ausreisen seit dem letzten 1. Januar, Tausende Namen von Leuten, die seit Anfang des Jahres die Fähre oder das Flugzeug genommen haben, und auch alle Hotelregister und Bed-&-Breakfasts der Inselgruppe. Sie hat den Eindruck, dass es sich um reine Schikane handelt und dass sie sich kaputtlachen.

      Ihre Kollegen auf dem Revier haben ihr das übergeben, als ob sie ihr eine Freude machen würden, doch dämlich ist sie nicht, Detective Kelly McLeish, neunundzwanzig Jahre, seit Kurzem Sergeant, gerade von der Polizeischule in Edinburgh gekommen und seit Mitte Oktober auf die Shetlandinseln versetzt. Zehn Monate lang sind die Spürhunde dieses Lochs am Arsch der Welt kein Jota mit dem Mord in der Nacht ihres Lichtfestes weitergekommen und haben ihr das Baby in den Schoß gelegt.

      Sie haben ihr die Nummer mit der weiblichen Sensibilität und Intuition vorgespielt und, Heuchler, die sie sind, ihre nagelneue Ausbildung als Ermittlerin und Absolventin des Criminal Investigation Departments gepriesen. Sie haben auch stark auf ihren Blick von außen abgehoben, der nützlich sein könne, um etwas zu sehen, was ihnen entgangen sein könnte. Sie haben sie gebeten, »den Fall neu aufzurollen«.

      Alles Schwachsinn! Sie hat ihnen ihr Gewäsch keine zwei Minuten abgekauft. Sie wollen sie testen und dazu bringen, ihre Zeit zu verplempern, indem sie sie in ein unterirdisches Büro einsperren, obwohl sie draußen vor Ort sein müsste. Und sie müssen sich schön scheckig lachen, diese Arschlöcher! Die haben bestimmt Wetten über sie abgeschlossen, davon ist sie überzeugt. Wie viele Wochen sie hier durchhält. Das ist so die Art all dieser Spinner. Und bestimmt gibt es nicht wenige, die ihr kaum bis Weihnachten geben, bis sie wieder nach Hause geht. Da ist sie sich