Unschlüssig sah sie sich um und trat auf die Haustür zu. Wie lange würde er brauchen? Ob sie noch einen Blick auf den Spiegel werfen konnte? Wie eine Süchtige zog es sie in den ersten Stock. Sie sehnte sich so sehr danach, nach Eldrid. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre sie nicht zurückgekehrt. Lieber hätte sie sich selbst verbannt und den Rest ihres Lebens im Dorf der schattenlosen Wesen verbracht als eingesperrt in einem Haus und einer Welt, in der sie sich völlig deplatziert fühlte.
Vielleicht hatte Arden ihr inzwischen verziehen? Ein Versuch war es wert. Im Nu stand Margot vor dem Spiegel, der sie mit einem flackernden Leuchten begrüßte. Schriftzeichen loderten wie kleine Flammen über dem Rahmen. Sie wurde erwartet. Die Frage war nur, ob Arden sie dann nicht sofort verstoßen würde? Ihr Herz begann wie wild zu klopfen. Verstoßen in Eldrid? Schlimmer als in dieser Welt konnte es nicht sein. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und hob die Hand. Noch während sie das Spiegelglas berührte, verschmolz es auch schon mit ihrem Arm und zog sie hinüber. Nach Eldrid.
Ungebremst und ungeübt stolperte sie in Ardens Höhle hinein. Etwas benommen schaute sie sich um. Arden stand ihr gegenüber und blickte sie mit eisigen Augen an.
»Margot«, schnurrte er. Keine Freundlichkeit schwang in seinem Ton. »Du hast den Spiegel aktiviert. Darf ich fragen, warum?«
Sie schnaufte. »Es ist auch schön, dich zu sehen, Arden.«
Er presste die Lippen aufeinander. Seine Haut wies noch mehr Falten auf als früher, außerdem wirkte er schmaler und blasser, als sie ihn in Erinnerung hatte. Die goldschimmernden Haare fielen ihm in sanften Locken auf die Schultern. Sie konnten aber nicht von der ausgeprägten Zornesfalte auf der Stirn ablenken und ebenso wenig von den herabfallenden Mundwinkeln.
Sie betrachtete ihn traurig. »Ist es so schlimm?« Ihre Stimme klang nun sanft und fast mitleidig.
Arden funkelte sie an. »Was soll denn das heißen? Warum bist du hier?«
Sie hob die Schultern. »Ich wollte dich einfach noch einmal sehen. In meiner Welt bröckelt nun die Fassade, und ich weiß nicht wohin.«
»Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben.«
»Bitte, Arden. Ich verbanne mich auch freiwillig.«
»Diese Diskussion führe ich nicht noch einmal mit dir, Margot.« Er sprach mit ihr wie mit einem kleinen Kind und schüttelte dabei den Kopf. »Denke an dein Spiegelbild, das du in deiner Welt zurückgelassen hast. Es wird Unfug treiben. Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben.«
»Ich bin verzweifelt. Arden, bitte!«
Der Spiegelwächter betrachtete sie voller Abscheu. Doch plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er schien zu überlegen. Dann sagte er langsam: »Wenn ich es mir recht überlege, könntest du tatsächlich etwas für mich tun. Erledigst du diese Aufgabe gut und gewissenhaft, dann könnte dies meine Meinung ändern.«
Margot nickte eifrig. »Alles, Arden. Alles, was du willst. Was soll ich tun?«
Ein schmales Lächeln umspielte seinen Mund. »Es ist auch gar nicht schwer. Selbst eine so alte und gebrechliche Frau, wie du es inzwischen bist, kann das spielend erledigen.«
Gierig nickte sie.
»Ich benötige alle Informationen rund um die Scathan-Familie. Ich muss wissen, wo sich Mina aufhält und was das Spiegelbild ihrer Enkeltochter Ludmilla treibt oder ob Ludmilla inzwischen wieder aus Eldrid zurück ist. Bringe alles in Erfahrung, was im Scathan-Haus vor sich geht.«
Sie erstarrte. »Ich soll für dich die Scathan-Familie ausspionieren? Warum das? Frag doch Uri. Er weiß das alles. Dazu brauchst du mich nicht.«
»Belehre mich nicht«, donnerte der kleine zierliche Spiegelwächter mit der Stimme eines Bären. »Stell keine unnötigen Fragen. Meine Gründe gehen dich nichts an. Mach, was ich dir sage, und ich überlege mir, ob du hier in Eldrid bleiben darfst. Als Schattenlose.« Ein bösartiges Lachen entfuhr ihm. »Und nun geh. Dein Spiegelbild. Du weißt schon. Außerdem soll keiner bemerken, dass du hier warst. Erzähl es keinem. Auch nichts von unserer Abmachung. Du warst nie hier, verstanden?«
Sie nickte verwirrt, während er sie unsanft in den leuchtenden Spiegel bugsierte. Im nächsten Moment landete sie hart auf den Knien in ihrem Haus.
Dreizehntes Kapitel
Der Versuch einer Erklärung
Ludmilla wollte dem Kobolddrachen hinterherschreien, der einfach verschwand, ohne weitere Anweisungen abzuwarten, aber Lando packte sie am Handgelenk und legte ihr unsanft die Hand auf den Mund.
»Lass ihn ziehen.« Er blickte ihr eindringlich in die Augen. »Der Drache muss zurückkommen, ob er will oder nicht. Uns verschafft das Zeit. Wir müssen ein paar Dinge besprechen.«
Sie blies die aufgestaute Luft durch die zusammengepressten Zähne aus und kniff die Augen zusammen. »Aik hat mich schon vorgewarnt, dass es mit diesem Wesen nicht einfach werden würde, obwohl so ein Drache uns nützlich sein kann.«
Ihre Gefährten blickten sie an und nickten gleichzeitig.
»Ich wüsste nur zu gern, wie du das gemacht hast«, platzte es aus Eneas heraus.
Das würde ich ausnahmsweise auch gerne wissen, hörte sie Aiks Stimme in ihrem Kopf brummen.
»Das interessiert mich auch, jedoch zuerst wüsste ich gerne, wie du so schnell gelernt hast, mit deinem Schatten zu sprechen.« Lando zögerte kurz, als fiele es ihm schwer, das auszusprechen. »Wie konntest du nur so schnell die Alte Kunst erlernen? Im Wald von Fenris hatten wir keine Gelegenheit, darüber zu sprechen. Vielleicht hast du mit Eneas schon darüber geredet, aber ich habe es noch nicht begriffen, wie du das gemacht hast.«
Sie meinte, einen winzigen bitteren Unterton herauszuhören, und überspielte dies schnell mit einem Lächeln. »Ich weiß, dass ich euch eine Erklärung schulde. Ihr habt recht. Irgendwie kommen wir nie dazu, uns auszutauschen.«
Sie hob entschuldigend die Schultern und grinste die beiden verlegen an. Eneas hob die Augenbrauen, so dass sein Gesicht noch länger wurde, und Lando sah sie fordernd und abwartend an. Er suchte nach Antworten und Bestätigung. Das war ihr klar, und sie wollte ihn nicht enttäuschen.
»Das ist nicht so leicht zu erklären«, begann sie umständlich. »Lando, du hast mich gebeten, mit meinem Schatten zu sprechen.«
Eneas stöhnte auf, als hätte sie etwas Falsches gesagt. Der Formwandler warf ihm einen warnenden Blick zu und nickte. »Das ist richtig.«
»Genau das habe ich gemacht, in meinen Gedanken. Ich habe mich auf meinen Schatten konzentriert und ihn angesprochen. Seine Stimme war in meinem Kopf, und er hat mir sofort geantwortet. Das war nichts anderes als Intuition. Ich wusste nicht, ob es klappt, ich habe es einfach versucht. Mir ist in diesem Moment auch nichts Besseres eingefallen, wie ich sonst mit ihm hätte sprechen sollen. Ich habe ihn gefragt, ob er seine Mächte mit mir teilt. In der Situation im Wald war es wichtig, dass ich mich unsichtbar machen konnte, es war unsere einzige Chance, an den Spähern vorbeizukommen. Er hat eingewilligt, diese Macht mit mir zu teilen.«
Eneas’ Augen weiteten sich. »Und das hast du gewusst, Lando?«, piepste er mit seiner hohen Stimme aufgeregt.
Der Formwandler hob die Schultern. »Ich habe es zumindest vermutet.«
»Und du hattest recht. Es war ganz einfach. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mit meinem Schatten im Kopf sprechen kann, und dann konnte ich es.«
»So einfach ist das nicht«, protestierte Eneas. Er versprühte einen aufgeregten und sehr bunten Funkenregen, so dass Lando ihm beruhigend die Hand auf den Unterarm legte.
»Natürlich ist es nicht so einfach«, flüsterte er auf den Unsichtbaren ein. »Nur für sie schon. Das müssen wir so akzeptieren.«
»Akzeptieren?«, schnaubte Eneas. »Wir, die Wesen des Lichts, brauchen Jahrhunderte, um die Alte Kunst zu