Die Blumen des Bösen. Charles Baudelaire. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Baudelaire
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783159618111
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Nägel, die Harpyienkrallen gleichen,

      Sie werden sich zu seinem Herzen wühlen.

      Wie einen jungen Vogel, der erschauert,

      Will ich sein Herz aus seinem Busen reißen

      Und meinem Lieblingstiere, das schon lauert,

      Zum Fraß verächtlich auf den Boden schmeißen!«

      Am Himmel kann er einen Thron gewahren,

      Der Dichter hebt die Arme, fromm, gelassen,

      Und Blitze, die den lichten Geist durchfahren,

      Verhehlen ihm den Anblick wüster Massen:

      – »Mein Gott, für alle Leiden sag ich Dank,

      Die heilsam sind für unsre Schändlichkeiten

      Und gleich dem besten und dem reinsten Trank

      Auf heilige Wonnen Starke vorbereiten!

      Ich weiß, dass du dem Dichter Platz bereitest

      Inmitten deiner heiligen Legionen,

      Und dass du ihn zum ewigen Fest geleitest,

      Von Herrschaften, von Kräften und von Thronen.

      Einzig im Schmerz ist Adel zu begründen,

      An dem nicht Erde und nicht Hölle nagen,

      Und meine Wunderkrone mir zu winden,

      Muss ich dem Weltall und der Zeit auftragen.

      Doch auch Palmyras längst verschollener Schmuck,

      Des Meeres Perlen, seltener Edelstein,

      Von deiner Hand gefasst, kann nicht genug

      An Glanz und Schmelz für diesen Stirnreif sein;

      Denn nur das reinste Licht wird dazu taugen,

      Aus heiliger Glut, die erste Strahlen spinnt,

      Wofür die wundervollen Menschenaugen

      Nur klägliche und trübe Spiegel sind!«

      II

      Albatros

      Oft fangen die Matrosen zum Vergnügen

      Sich Albatrosse, welche mit den weiten

      Schwingen gelassen um die Schiffe fliegen,

      Die über bittere Meerestiefen gleiten.

      Wenn sie sich linkisch auf den Planken drängen,

      Die Könige der Bläue, wie verlegen

      Und kläglich da die weißen Flügel hängen,

      Ruder, die schleppend sich zur Seite legen.

      Beflügelt, doch wie schwächlich und gespreizt!

      Zuvor so schön, jetzt hässlich und zum Lachen!

      Der eine mit der Pfeife seinen Schnabel reizt,

      Der andre sucht ihn hinkend nachzumachen!

      Dem Herrscher in den Wolken gleicht der Dichter,

      Der Schützen narrte, der den Sturm bezwang;

      Hinabverbannt zu johlendem Gelichter,

      Behindern Riesenschwingen seinen Gang.

      III

      Erhebung

      Hoch über Täler hin, hoch über Teiche,

      Hoch über Wälder, Wolken, Meer und Klüfte,

      Jenseits der Sonne, jenseits blauer Lüfte,

      Jenseits der Grenzen aller Sternenreiche

      Bewegst du dich, mein Geist, und ohne Rast,

      So wie ein Schwimmer sich der Fluten freut,

      Durchpflügst du tiefe Unermesslichkeit,

      Von männlich namenloser Lust erfasst.

      Entfliehe weit den Dünsten, die versehren,

      Zu höheren Lüften hin, dort wirst du rein,

      Wie himmlisch klares Labsal sauge ein

      Die hellen Feuer, die den Raum verklären.

      Glücklich, wer Überdruss und Leid bezwingt,

      Schwer muss daran das dumpfe Dasein tragen,

      Und wer empor mit starkem Flügelschlagen

      Zu lichten, heiteren Gefilden dringt,

      Wem Lerchen gleich Gedanken sich aufschwingen,

      Die zu den Himmeln steigen in der Frühe,

      – Wer überm Leben schwebt und ohne Mühe

      Den Blumen zuhört und den stummen Dingen!

      IV

      Einklang

      Natur: ein Tempelbau, lebendige Säulen ragen,

      Manchmal daraus ein wirres Wort entflieht;

      Der Mensch durch Wälder von Symbolen zieht,

      Die mit vertrauten Blicken ihn befragen.

      Wie lang ein Hall und Widerhall von weit

      In Eines dunkel tief zusammenklingen,

      Ton, Duft und Farbe ineinander schwingen,

      Weit wie die Nacht und wie die Helligkeit.

      Und Düfte gibt es, frischer als ein Kind,

      Wie Wiesen grün, süß wie Oboen tönen,

      – Und andere, die verderbt und üppig sind,

      Die triumphierend sich unendlich dehnen,

      So Ambra, Moschus, Myrrhe, Weihrauch singen

      Verzückungen, die Geist und Sinn durchdringen.

      V

      Wie lieb ich dieser nackten Zeiten Bild

      Mit Statuen, von Phöbus’ Gold umspielt,

      Als Mann und Weib sich aneinander freuten,

      Lebhaft und ohne Falsch und Ängstlichkeiten;

      Und stählten sie die Kraft der edlen Glieder,

      Sah liebevoll der Himmel auf sie nieder.

      Kybele, fruchtbar, voller reicher Gaben,

      Schien an den Söhnen keine Last zu haben,

      Das Herz der Wölfin zärtlich überging,

      Das All an ihren braunen Zitzen hing.

      Der Mann war stolz auf seiner Schönen Schar,

      Für die er, stark und vornehm, König war;

      Früchte, die makellos und rein zu preisen,

      Verlockend, in ihr festes Fleisch zu beißen!

      Doch will der Dichter heute noch gewahren

      Die Herrlichkeiten, die am Ursprung waren,

      Wenn Mann und Weib ihm ihre Nacktheit zeigen,

      Fasst seine Seele kaltes, finsteres Schweigen.

      Ein grauenvolles Bild muss er da sehn:

      O Missgestalten, die um Kleider flehn!

      O lächerliche Rümpfe, der Maskierung wert!

      Arme, verkrampfte Körper, bäuchig, abgezehrt,

      Vom Gott des Nutzens, heiter, ungerührt

      Als Kinder schon in erzene Windeln eingeschnürt!