Zweiunddreißigstes Kapitel.
Der Militarismus auf dem Gebiet der Kapitalakkumulation
Der Militarismus übt in der Geschichte des Kapitals eine ganz bestimmte Funktion aus. Er begleitet die Schritte der Akkumulation in allen ihren geschichtlichen Phasen. In der Periode der sogenannten "primitiven Akkumulation", d.h. in den Anfängen des europäischen Kapitals, spielt der Militarismus die entscheidende Rolle bei der Eroberung der Neuen Welt und der Gewürzländer Indiens, später bei der Eroberung der modernen Kolonien, Zerstörung der sozialen Verbände der primitiven Gesellschaften und Aneignung ihrer Produktionsmittel, bei der Erzwingung des Warenhandels in Ländern, deren soziale Struktur der Warenwirtschaft hinderlich ist, bei der gewaltsamen Proletarisierung der Eingeborenen und der Erzwingung der Lohnarbeit in den Kolonien, bei der Bildung und Ausdehnung von Interessensphären des europäischen Kapitals in außereuropäischen Gebieten, bei der Erzwingung von Eisenbahnkonzessionen in rückständigen Ländern und bei der Vollstreckung der Forderungsrechte des europäischen Kapitals aus internationalen Anleihen, endlich als Mittel des Konkurrenzkampfes der kapitalistischen Länder untereinander um Gebiete nichtkapitalistischer Kultur.
Dazu kommt noch eine andere wichtige Funktion. Der Militarismus erscheint auch rein ökonomisch für das Kapital als ein Mittel ersten Ranges zur Realisierung des Mehrwerts, d.h. als ein Gebiet der Akkumulation. Bei der Untersuchung der Frage, wer als Abnehmer der Produktenmasse in Betracht käme, in der der kapitalisierte Mehrwert steckt, haben wir mehrfach den Hinweis auf den Staat und seine Organe als Konsumenten abgelehnt. Wir haben sie als Vertreter abgeleiteter Einkommenquellen in dieselbe Kategorie der Nutznießer des Mehrwerts (oder zum Teil des Arbeitslohns) eingereiht, der auch die Vertreter liberaler Berufe sowie allerlei Schmarotzerexistenzen der heutigen Gesellschaft ("König, Pfaff, Professor, Hure, Kriegsknecht") angehören. Diese Erledigung der Frage ist aber erschöpfend nur unter zwei Voraussetzungen: einmal, wenn wir, im Sinne des Marxschen Schemas der Reproduktion, annehmen, daß der Staat keine anderen Steuerquellen besitzt als den kapitalistischen Mehrwert und den kapitalistischen Arbeitslohn 262 ; und zweitens, wenn wir den Staat mit seinen Organen nur als Konsumenten ins Auge fassen. Handelt es sich nämlich um persönliche Konsumtion der Staatsbeamten (so auch des "Kriegsknechts"), so bedeutet das - sofern sie aus Arbeitermitteln bestritten wird - partielle Übertragung der Konsumtion von der Arbeiterklasse auf den Anhang der Kapitalistenklasse.
Nehmen wir für einen Augenblick an, der gesamte den Arbeitern abgepreßte Betrag an indirekten Steuern, der einen Abzug an ihrer Konsumtion bedeutet, werde darauf verwendet, den Staatsbeamten Gehälter auszuzahlen und das stehende Heer mit Lebensmitteln zu verproviantieren. Dann wird in der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals keine Verschiebung eintreten. Sowohl die Abteilung der Lebensmittel wie infolgedessen auch die Abteilung der Produktionsmittel bleiben unverändert, denn der Gesamtbedarf der Gesellschaft hat nach Art und Menge keinen Wechsel erlitten. Was jetzt verändert worden, ist bloß das Wertverhältnis zwischen v als Ware Arbeitskraft und den Produkten der Abteilung II, d.h. Lebensmitteln. Dasselbe v, derselbe Geldausdruck der Arbeitskraft wird jetzt mit einer geringeren Menge Lebensmittel ausgetauscht. Was geschieht mit dem so entstehenden Rest an Produkten der Abteilung II? Er wandert statt an die Arbeiter an Staatsbeamte und das Heer. An Stelle der Konsumtion der Arbeiter tritt in demselben Umfang die Konsumtion der Organe des kapitalistischen Staates. Es ist also bei gleichbleibenden Reproduktionsbedingungen eine Änderung in der Verteilung des Gesamtprodukts eingetreten: Eine Portion der früher zur Konsumtion der Arbeiterklasse, zur Deckung des v, bestimmten Produkte der Abteilung II wird nunmehr dem Anhang der Kapitalistenklasse zur Konsumtion zugeteilt. Vom Standpunkt der gesellschaftlichen Reproduktion läuft diese Verschiebung auf dasselbe hinaus wie wenn von vornherein der relative Mehrwert um den bestimmten Wertbetrag größer, und zwar dieser Zuwachs dem zur Konsumtion der Kapitalistenklasse nebst Anhang bestimmten Teil des Mehrwerts zugewiesen wäre.
Insofern läuft das Schröpfen der Arbeiterklasse durch den Mechanismus der indirekten Besteuerung, um daraus die Stützen der kapitalistischen Staatsmaschinerie zu erhalten, einfach auf eine Vergrößerung des Mehrwerts, und zwar des konsumierten Teils des Mehrwerts, hinaus; nur daß diese ergänzende Teilung zwischen Mehrwert und variablem Kapital post festum, nach dem vollzogenen Austausch zwischen Kapital und Arbeitskraft geschieht. Haben wir es aber so mit einem nachträglichen Zuwachs des konsumierten Mehrwerts zu tun, dann kommt diese Konsumtion der Organe des kapitalistischen Staates - auch wenn sie auf Kosten der Arbeiterklasse geschieht - als Mittel der Realisierung des kapitalisierten Mehrwerts nicht in Betracht. Umgekehrt kann man sagen: Wenn die Arbeiterklasse nicht die Erhaltungskosten der Staatsbeamten und des "Kriegsknechts" zum größten Teil tragen würde, so müßten die Kapitalisten selbst diese Kosten ganz tragen. Sie müßten der Erhaltung dieser Organe ihrer Klassenherrschaft direkt aus dem Mehrwert eine entsprechende Portion zuweisen, und zwar entweder auf Kosten der eigenen Konsumtion, die sie entsprechend einschränken müßten, oder, was das Wahrscheinlichere, auf Kosten des zur Kapitalisierung bestimmten Teils des Mehrwerts. Sie könnten weniger kapitalisieren, weil sie mehr zur direkten Erhaltung ihrer eigenen Klasse verwenden müßten. Die Abwälzung der Erhaltungskosten ihres Anhangs zum größten Teil auf die Arbeiterklasse (und auf die Vertreter der einfachen Warenproduktion: Bauern, Handwerker) erlaubt es den Kapitalisten, eine größere Portion des Mehrwerts für die Kapitalisierung zu befreien. Sie schafft aber noch vorerst keineswegs die Möglichkeit dieser Kapitalisierung, d.h., sie schafft noch kein neues Absatzgebiet, um mit diesem befreiten Mehrwert auch tatsächlich neue Waren herstellen und sie auch realisieren zu können. Anders wenn die durch das Steuersystem in der Hand des Staates konzentrierten Mittel zur Produktion von Kriegsmitteln verwendet werden.
Auf der Basis der indirekten Besteuerung und Hochschutzzölle werden die Kosten des Militarismus in der Hauptsache bestritten durch die Arbeiterklasse und das Bauerntum. Beide Steuerquoten sind gesondert zu betrachten. Was die Arbeiterklasse betrifft, so läuft das Geschäft ökonomisch auf das Folgende hinaus. Vorausgesetzt, daß eine Erhöhung der Löhne bis zum Ausgleich der Lebensmittelverteuerung nicht stattfindet - was gegenwärtig für die große Masse der Arbeiterklasse zutrifft und was selbst für die gewerkschaftlich organisierte Minderheit durch den Druck der Kartelle und Unternehmerorganisationen in hohem Grade bewirkt wird 263, so bedeutet die indirekte Besteuerung die Übertragung eines Teils der Kaufkraft der Arbeiterklasse auf den Staat. Das variable Kapital als Geldkapital von einer bestimmten Größe dient nach wie vor dazu, die entsprechende Menge lebendige Arbeit in Bewegung zu setzen, also das entsprechende konstante Kapital zu Produktionszwecken zu benutzen und die entsprechende Menge Mehrwert zu produzieren. Nachdem diese Zirkulation des Kapitals vollzogen, geht eine Teilung zwischen der Arbeiterklasse und dem Staate vor sich: Ein Teil der von ihr im Austausch gegen die Arbeitskraft erhaltenen Geldmenge wird an den Staat abgeführt. Während das ganze frühere variable Kapital in seiner Sachgestalt als Arbeitskraft vom Kapital angeeignet wird, bleibt von der Geldform des variablen Kapitals nur ein Teil in der Hand der Arbeiterklasse, während ein anderer Teil in den Besitz des Staates gelangt. Die Transaktion geht jedesmal nach vollzogener Kapitalzirkulation zwischen Kapital und Arbeit vor sich, sozusagen hinter dem Rücken des Kapitals, sie berührt unmittelbar in nichts diesen fundamentalen Teil der Kapitalzirkulation und Mehrwertproduktion und geht sie zunächst nichts an. Wohl aber berührt sie die Bedingungen der Reproduktion des Gesamtkapitals. Die Übertragung eines Teils der Kaufkraft der Arbeiterklasse auf den Staat bedeutet, daß der Anteil der Arbeiterklasse an der Konsumtion der Lebensmittel in demselben Maße geringer geworden ist. Für das Gesamtkapital ist dies identisch mit der Tatsache, daß es bei der gleichen Größe des variablen Kapitals