Dem internationalen Conseil d'Administration de la Dette Publique Ottomane, der u.a. die Steuern von Salz, Tabak, Spirituosen, den Seidenzehnt und die Fischereiabgaben direkt verwaltet, sind die Zehnten als Kilometergarantie oder als Anleihesicherheit mit der jedesmaligen Klausel verpfändet, daß der Conseil an der Stipulierung der Pachtkontrakte betreffs dieser Zehnten teilnimmt und daß die Erträgnisse der Zehnten von den Pächtern direkt in die Kassen und Kontore des Conseil in den Wilajets abgeführt werden. Falls es unmöglich ist, einen Pächter für die Zehnten zu finden, werden sie von der türkischen Regierung in natura in Magazinen aufgespeichert, deren Schlüssel dem Conseil eingehändigt wird, der den Verkauf der Zehnten für eigene Rechnung übernimmt.
Der ökonomische Stoffwechsel zwischen der kleinasiatischen, syrischen und mesopotamischen Bauernschaft und dem deutschen Kapital vollzieht sich also auf folgenden Wegen. Das Korn kommt auf den Fluren der Wilajets Konia, Bagdad, Basra usw. als einfaches Gebrauchsprodukt der primitiven Bauernwirtschaft zur Welt und wandert sogleich als Staatstribut in die Hand des Steuerpächters. Erst in seiner Hand wird das Korn zur Ware und als Ware zu Geld, das in die Hand des Staates übergeht. Dieses Geld, das nur verwandelte Form des bäuerlichen Korns ist, welches nicht einmal als Ware produziert war, dient jetzt dazu, als Staatsgarantie den Eisenbahnbau und -betrieb zum Teil zu bezahlen, d.h. den Wert der darin verbrauchten Produktionsmittel sowie den beim Bau und Betrieb der Eisenbahn aus dem asiatischen Bauern und Proletarier ausgepreßten Mehrwert zu realisieren. Da ferner bei dem Eisenbahnbau in Deutschland hergestellte Produktionsmittel verwendet werden, dient das in Geld verwandelte asiatische Bauernkorn zugleich dazu, den bei der Herstellung jener Produktionsmittel aus deutschen Arbeitern ausgepreßten Mehrwert zu vergolden. Bei dieser Funktion wandert das Geld aus der Hand des türkischen Staates in die Kassen der Deutschen Bank, um hier als Gründergewinne, Tantiemen, Dividenden und Zinsen in den Taschen der Herren Gwinner, Siemens, ihrer Mitverwalter, der Aktionäre und Kunden der Deutschen Bank sowie des ganzen Schlingpflanzensystems ihrer Tochtergesellschaften als kapitalistischer Mehrwert akkumuliert zu werden. Fällt - wie es in den Konzessionen vorgesehen ist - der Steuerpächter weg, so reduziert sich die verwickelte Reihe der Metamorphosen auf ihre einfachste und klarste Form: Das bäuerliche Korn wandert direkt in die Hände der Administration de la Dette Publique Ottomane, d.h. der Vertretung des europäischen Kapitals, und wird hier schon in seiner Naturalgestalt Einnahme des deutschen und sonstigen auswärtigen Kapitals, es vollzieht die Akkumulation des europäischen Kapitals, selbst bevor es seine eigene bäuerlich-asiatische Gebrauchsgestalt abgestoßen hat, es realisiert den kapitalistischen Mehrwert, bevor es Ware geworden und den eigenen Wert realisiert hat. Der Stoffwechsel geht hier in seiner brutalen und unverblümten Form direkt zwischen dem europäischen Kapital und der asiatischen Bauernwirtschaft vor sich, während der türkische Staat auf seine wirkliche Rolle des politischen Apparats zur Auspressung der Bauernwirtschaft für die Zwecke des Kapitals - die eigentliche Funktion aller orientalischen Staaten in der Periode des kapitalistischen Imperialismus - reduziert wird. Das Geschäft, das äußerlich als eine abgeschmackte Tautologie als Bezahlen deutscher Waren mit deutschem Kapital in Asien erscheint, bei dem die braven Deutschen den schlauen Türken nur den "Genuß" der großen Kulturwerke überlassen, ist im Grunde genommen ein Austausch zwischen dem deutschen Kapital und der asiatischen Bauernwirtschaft, ein mit Zwangsmitteln des Staates durchgeführter Austausch. Die Resultate des Geschäfts sind: auf der einen Seite die fortschreitende Kapitalakkumulation und eine wachsende "Interessensphäre" als Vorwand für die weitere politische und wirtschaftliche Expansion des deutschen Kapitals in der Türkei; auf der anderen Seite Eisenbahnen und Warenverkehr auf der Grundlage der rapiden Zersetzung, des Ruins und der Aussaugung der asiatischen Bauernwirtschaft durch den Staat sowie der wachsenden finanziellen und politischen Abhängigkeit des türkischen Staates vom europäischen Kapital.257
Einunddreißigstes Kapitel.
Schutzzoll und Akkumulation
Der Imperialismus ist der politische Ausdruck des Prozesses der Kapitalakkumulation in ihrem Konkurrenzkampf um die Reste des noch nicht mit Beschlag belegten nichtkapitalistischen Weltmilieus. Geographisch umfaßt dieses Milieu heute noch die weitesten Gebiete der Erde. Gemessen jedoch an der gewaltigen Masse des bereits akkumulierten Kapitals der alten kapitalistischen Länder, das um die Absatzmöglichkeiten für sein Mehrprodukt wie um Kapitalisierungsmöglichkeiten für seinen Mehrwert ringt, gemessen ferner an der Rapidität, mit der heute Gebiete vorkapitalistischer Kulturen in kapitalistische verwandelt werden, mit anderen Worten gemessen an dem bereits erreichten hohen Grad der Entfaltung der Produktivkräfte des Kapitals, erscheint das seiner Expansion noch verbleibende Feld als ein geringer Rest. Demgemäß gestaltet sich das internationale Vorgehen des Kapitals auf der Weltbühne. Bei der hohen Entwicklung und der immer heftigeren Konkurrenz der kapitalistischen Länder um die Erwerbung nichtkapitalistischer Gebiete nimmt der Imperialismus an Energie und an Gewalttätigkeit zu, sowohl in seinem aggressiven Vorgehen gegen die nichtkapitalistische Welt wie in der Verschärfung der Gegensätze zwischen den konkurrierenden kapitalistischen Ländern. Je gewalttätiger, energischer und gründlicher der Imperialismus aber den Untergang nichtkapitalistischer Kulturen besorgt, um so rascher entzieht er der Kapitalakkumulation den Boden unter den Füßen. Der Imperialismus ist ebensosehr eine geschichtliche Methode der Existenzverlängerung des Kapitals wie das sicherste Mittel, dessen Existenz auf kürzestem Wege objektiv ein Ziel zu setzen. Damit ist nicht gesagt, daß dieser Endpunkt pedantisch erreicht werden muß. Schon die Tendenz zu diesem Endziel der kapitalistischen Entwicklung äußert sich in Formen, die die Schlußphase des Kapitalismus zu einer Periode der Katastrophen gestalten.
Die Hoffnung auf eine friedliche Entwicklung der Kapitalakkumulation, auf den "Handel und Gewerbe, die nur bei Frieden gedeihen", die ganze offiziöse manchesterliche Ideologie der Interessenharmonie zwischen den Handelsnationen der Welt - die andere Seite der Interessenharmonie zwischen Kapital und Arbeit - stammt aus der Sturm-und-Drang-Periode der klassischen Nationalökonomie und schien eine praktische Bestätigung zu finden in der kurzen Freihandelsära in Europa in den 60er und 70er Jahren. Sie hat zur Grundlage das falsche Dogma der englischen Freihandelsschule, als sei der Warenaustausch die einzige Voraussetzung und Bedingung der Kapitalakkumulation, als sei diese mit der Warenwirtschaft identisch. Die ganze Ricardoschule identifizierte, wie wir sahen, die Kapitalakkumulation und ihre Reproduktionsbedingungen mit der einfachen Warenproduktion und mit den Bedingungen der einfachen Warenzirkulation. Noch mehr tritt dies später bei dem praktischen Freihändler vulgaris zutage. Die ganze Beweisführung der Cobden-Liga war zugeschnitten auf die besonderen Interessen der exportierenden Baumwollfabrikanten von Lancashire. Ihr Hauptaugenmerk war darauf gerichtet, Käufer zu gewinnen, und ihr Glaubensartikel lautete: Wir müssen dem Auslande abkaufen, damit wir wiederum als Verkäufer der Industrieprodukte, will sagen: der Baumwollwaren, Abnehmer finden. Der Konsument, in dessen Interesse Cobden und Bright den Freihandel, namentlich die Verbilligung der Nahrungsmittel, forderten, war nicht der Arbeiter, der das Brot verzehrt, sondern der Kapitalist, der die Arbeitskraft verzehrt.
Dieses Evangelium war nie der wirkliche Ausdruck der Interessen der Kapitalakkumulation im ganzen. In England selbst wurde es schon in den 40er Jahren durch die Opiumkriege Lügen gestraft, die mit Kanonendonner die Interessenharmonie der Handelsnationen in Ostasien proklamierten, um mit der Annexion von Hongkong in das Gegenteil, in das System der "Interessensphären" umzuschlagen. 258 Auf dem europäischen Kontinent war der Freihandel der 60er Jahre schon aus dem Grunde kein Ausdruck der Interessen des industriellen Kapitals, weil die führenden Freihandelsländer des Kontinents in jener Zeit noch vorwiegend agrarische Länder, ihre Großindustrie noch verhältnismäßig schwach entwickelt war. Das Freihandelssystem wurde vielmehr