Ein anderes gutes Beispiel aus der jüngsten Zeit bilden die Geschäfte des deutschen Kapitals in der asiatischen Türkei. Schon früh hatte sich das europäische, namentlich das englische Kapital dieses Gebietes, das auf der uralten Route des Welthandels zwischen Europa und Asien liegt, zu bemächtigen gesucht.252
In den 50er und 60er Jahren sind vom englischen Kapital die Eisenbahnlinien Smyrna-Aidin-Diner und Smyrna-Kassaba-Alaschehr ausgeführt sowie die Konzession für die Weiterführung der Linie bis Afiun Karahissar erlangt, endlich auch die erste Strecke der Anatolischen Bahn Haidar-Pascha-Ismid gepachtet worden. Daneben bemächtigte sich das französische Kapital eines Teils des Eisenbahnbaus. 1888 tritt das deutsche Kapital auf den Plan. Durch Unterhandlung namentlich mit der französischen durch die Banque Ottomane vertretenen Kapitalgruppe kam eine internationale Interessenfusion zustande, wobei an dem großen Anatolischen und Bagdadbahnunternehmen die deutsche Finanzgruppe sich mit 60 Prozent, das internationale Kapital mit 40 Prozent beteiligen sollte.253 Die Anatolische Eisenbahngesellschaft, hinter der hauptsächlich die Deutsche Bank steht, wurde als türkische Gesellschaft am 14. Redscheb des Jahres 1306, d.h. am 4. März 1889, zur Übernahme der seit Anfang der 70er Jahre im Betrieb befindlichen Linie von Haidar-Pascha bis Ismid und zur Ausführung der Konzession der Bahnstrecke Ismid-Eski-Schehr-Angora (845 Kilometer) gegründet. Die Gesellschaft ist auch berechtigt, die Bahn Haidar-Pascha-Skutari und Zweigbahnen nach Brussa auszuführen. ferner durch die Konzession von 1893 ein Ergänzungsnetz Eski-Schehr-Konia (zirka 445 Kilometer) zu errichten, endlich die Strecke Angora-Kaisarie (425 Kilometer). Die türkische Regierung leistete der Gesellschaft die folgende Staatsgarantie: Bruttoeinnahme 10.300 Franc pro Jahr und Kilometer für die Strecke Haidar-Pascha-Ismid und 15.000 Franc für die Strecke Ismid-Angora. Zu diesem Zweck hat die Regierung der Administration de la Dette Publique Ottomane die aus der Verpachtung der Zehnten der Sandschaks Ismid, Ertogrul, Kutahia und Angora eingehenden Einnahmen zur direkten Einziehung überwiesen. Die Administration de la Dette Publique Ottomane soll aus diesen Einnahmen der Bahngesellschaft so viel zahlen wie zur Erfüllung der von der Regierung garantierten Bruttoeinnahme erforderlich ist. Für die Strecke Angora-Kaisarie garantiert die Regierung eine Bruttoeinnahme in Gold von 775 türkischen Pfund = 17.800 Franc in Gold pro Kilometer und Jahr und für Eski-Schehr-Konia 604 türkische Pfund = 13.741 Franc, im letzteren Falle nur bis zum Höchstbetrage des Zuschusses von 219 türkischen Pfund = 4.995 Franc pro Kilometer und Jahr. Falls dagegen die Bruttoeinnahme die garantierte Höhe übersteigt, erhält die Regierung 25 Prozent des Überschusses. Die Zehnten der Sandschaks Trebisond und Gümüschchane werden direkt an die Administration de la Dette Publique Ottomane bezahlt werden, die ihrerseits die erforderlichen Garantiezuschüsse an die Bahngesellschaft leistet. Alle Zehnten, die zur Erfüllung der von der Regierung gewährten Garantie bestimmt sind, bilden ein Ganzes. 1898 wurde die Garantie für Eski-Schehr-Konia von 219 türkischen Pfund auf 296 erhöht.
1899 erwarb die Gesellschaft eine Konzession zum Bau und Betrieb eines Hafens nebst Anlagen in Haidar-Pascha, zur Warrantausgabe, zum Bau von Elevatoren für Getreide und Depots für Waren aller Art, ferner das Recht, alle Ein- und Ausladungen durch eigenes Personal vornehmen zu lassen, endlich auf dem Gebiete des Zollwesens die Einrichtung einer Art Freihafen.
1901 erlangte die Gesellschaft die Konzession für die Bagdadbahn Konia-Bagdad-Basra-Persischer Golf (2.400 Kilometer), die sich mit der Strecke Konia-Eregli-Bulgurlu an die anatolische Strecke anschließt. Zur Ausführung der Konzession wurde von der alten eine neue Aktiengesellschaft gegründet, die den Bau der Linie zunächst bis Bulgurlu an eine in Frankfurt a.M. gegründete Baugesellschaft vergehen hat.
Von 1893 bis 1910 hat die türkische Regierung an Zuschuß geleistet: für die Bahn Haidar-Pascha-Angora 48,7 Millionen Franc, für die Eski-Schehr-Konia-Strecke 1,8 Millionen türkische Pfund, zusammen also zirka 90,3 Millionen Franc.254 Endlich durch die Konzession von 1907 sind der Gesellschaft die Arbeiten für die Trockenlegung des Sees von Karaviran und die Bewässerung der Koniaebene übertragen worden. Diese Arbeiten sind für die Rechnung der Regierung innerhalb sechs Jahren auszuführen. Diesmal streckt die Gesellschaft der Regierung die erforderlichen Kapitalien vor bis zur Höhe von 19,5 Millionen Franc, mit 5 Prozent Verzinsung und Rückzahlung binnen 36 Jahren. Dafür hat die türkische Regierung verpfändet: 1. 25.000 türkische Pfund pro Jahr aus den Überschüssen der für den Dienst der Kilometergarantien und verschiedener Anleihen verpfändeten Zehnten, die unter der Verwaltung der Administration de la Dette Publique Ottomane stehen: 2. die auf den bewässerten Ländereien erzielten Mehrerträgnisse an Zehnten im Vergleich zu dem in den letzten fünf Jahren vor der Konzession erbrachten Durchschnittserträge; 3. die aus dem Betriebe der Irrigationsanlagen sich ergebenden Nettoeinnahmen; 4. den Ertrag des Verkaufs der trockengelegten oder bewässerten Ländereien. Zur Ausführung der Anlagen hat die Gesellschaft in Frankfurt a.M. eine Baugesellschaft "für die Bewässerung der Koniaebene" mit einem Kapital von 135 Millionen Franc gegründet.
1908 erhielt die Gesellschaft eine Konzession für die Verlängerung der Koniabahn bis Bagdad und zum Persischen Golf, wieder mit Kilometergarantie.
Die 4prozentige Bagdadbahnanleihe in drei Serien (54, 108 und 119 Millionen Franc), die als Zahlung für den Kilometerzuschuß aufgenommen wurde, ist sichergestellt durch die Verpfändung der Zehnten der Wilajets Aidin, Bagdad, Mossul, Diarbekr, Urfa und Aleppo, durch die Verpfändung der Hammelsteuer der Wilajets Konia, Adana und Aleppo u.a.255
Hier tritt die Grundlage der Akkumulation ganz klar zutage. Das deutsche Kapital baut in der asiatischen Türkei Eisenbahnen. Häfen, Bewässerungsanlagen. Es preßt bei all diesen Unternehmungen aus den Asiaten, die es als Arbeitskraft verwendet, neuen Mehrwert aus. Dieser Mehrwert muß aber mitsamt den in der Produktion verwendeten Produktionsmitteln aus Deutschland (Eisenbahnmaterial, Maschinen usw.) realisiert werden. Wer hilft sie realisieren? Zum Teil der durch die Eisenbahnen, Hafenanlagen usw. hervorgerufene Warenverkehr, der inmitten der naturalwirtschaftlichen Verhältnisse Kleinasiens großgezogen wird. Zum Teil, sofern der Warenverkehr für die Realisierungsbedürfnisse des Kapitals nicht rasch genug wächst, werden Naturaleinkünfte der Bevölkerung vermittels der Staatsmaschinerie gewaltsam in Ware verwandelt, zu Geld gemacht und zur Realisierung des Kapitals samt Mehrwert verwendet. Das ist der Sinn der "Kilometergarantie" für Bruttoeinnahmen bei selbständigen Unternehmungen des fremden Kapitals sowie der Pfandbürgschaften bei Anleihen. Die in beiden Fällen in unendlichen Variationen verpfändeten sogenannten "Zehnten" (Üschür) sind Naturalabgaben der türkischen Bauern, die nach und nach ungefähr auf 12 bis 121/2 Prozent erhöht worden sind. Der Bauer in den asiatischen Wilajets muß "Zehnten" zahlen, weil sie ihm sonst mit Hilfe der Gendarmen und der Staats- und Ortsbeamten einfach abgepreßt werden. Die "Zehnten", die hier selbst eine uralte Äußerung der auf Naturalwirtschaft gegründeten asiatischen Despotie sind, werden von der türkischen Regierung nicht direkt, sondern durch Pächter in der Art der Steuereinnehmer des Ancien régime eingestrichen, denen der Staat den voraussichtlichen Ertrag der Abgabe im Wege der Auktion für jedes Wilajet (Provinz) einzeln verkauft. Ist der Zehnt einer Provinz von einem einzelnen Spekulanten oder einem Konsortium erstanden, so verkaufen diese den Zehnten jedes einzelnen Sandschaks (Kreises) an andere Spekulanten, die ihren Anteil wiederum einer ganzen Reihe kleinerer Agenten abtreten. Da jeder seine Spesen decken und soviel Gewinn als möglich einstreichen will, so wächst der Zehnt in dem Maße, wie er sich den Bauern nähert, lawinenartig. Hat sich der Pächter in seinen Berechnungen geirrt, so sucht er sich auf Kosten des Bauern zu entschädigen. Dieser wartet, fast immer verschuldet, mit Ungeduld auf den Augenblick, seine Ernte verkaufen zu können; wenn er aber sein Getreide geschnitten hat, muß er mit dem Dreschen