Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rosa Luxemburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788075833211
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die uralten Sakiji, d.h. mit Ochsen betriebene Schöpfwerke, deren im Delta allein 50.000 durch sieben Monate im Jahre in Bewegung waren, wurden zum Teil durch gewaltige Dampfpumpen ersetzt. Den Verkehr auf dem Nil zwischen Kairo und Assuan besorgten nunmehr moderne Dampfer. Die größte Umwälzung in den Wirtschaftsverhältnissen Ägyptens brachte aber der Baumwollbau mit sich. Als Folge des amerikanischen Sezessionskrieges und des englischen Baumwollhungers, der den Preis der Baumwolle von 60 bis 80 Pf pro Kilo auf 4 bis 5 M hinaufgetrieben hatte, wurde auch Ägypten von einem Fieber des Baumwollbaus ergriffen. Alles baute Baumwolle, vor allem aber die vizekönigliche Familie. Landraub in größtem Maßstab, Konfiskation, erzwungener "Kauf" oder einfacher Diebstahl vergrößerten rasch die vizeköniglichen Ländereien ungeheuer. Zahllose Dörfer verwandelten sich plötzlich in königliches Privateigentum, ohne daß jemand den rechtlichen Grund hierfür zu erklären wüßte. Und dieser gewaltige Güterkomplex sollte in kürzester Frist zu Baumwollplantagen verwendet werden. Dies stellte aber die ganze Technik des traditionellen ägyptischen Landhaus auf den Kopf. Eindämmung des Landes, um die Baumwollfelder vor der regelmäßigen Nilüberschwemmung zu schützen, dafür reichliches und geregeltes künstliches Bewässern tiefes und unermüdliches Pflügen, das dem mit dem Pflug aus den Pharaonenzeiten seinen Boden leicht kratzenden Fellah ganz unbekannt war, endlich die intensive Arbeit bei der Ernte - alles dies stellte enorme Anforderungen an die Arbeitskraft Ägyptens. Diese Arbeitskraft war aber immer dieselbe Fronbauernschaft, über die der Staat unumschränktes Verfügungsrecht sich anmaßte. Die Fellachen waren schon zu Tausenden auf die Fron bei dem Stauwerk von Kaliub getrieben, bei dem Suezkanal, jetzt wurden sie beansprucht für Dammbauten, Kanalarbeiten und Plantagen auf den vizeköniglichen Gütern. Jetzt brauchte der Khedive die 20.000 Sklaven, die er der Suezgesellschaft zur Verfügung gestellt hatte, für sich, woraus sich der erste Konflikt mit dem französischen Kapital ergab. Ein Schiedsrichterspruch Napoleons III. erkannte der Suezgesellschaft eine Abfindungssumme von 67 Millionen Mark zu, in die der Khedive um so leichteren Herzens einwilligen konnte, als sie doch schließlich aus denselben Fellachen herausgeschunden werden sollte, um deren Arbeitskraft sich der Streit drehte. Nun ging es an Bewässerungsarbeiten. Hierzu wurden massenhaft Dampfmaschinen aus England und Frankreich bezogen, Zentrifugalpumpen und Lokomobilen. Viele Hunderte davon wanderten aus England nach Alexandrien und weiter auf Dampfschiffen, Nilbooten und Kamelrücken nach allen Richtungen ins Land. Zur Bodenbearbeitung wurden Dampfpflüge benötigt, zumal 1864 eine Rinderpest sämtliches Vieh weggerafft hatte. Auch diese Maschinen kamen meist aus England. Das Fowlersche Unternehmen wurde speziell für den Bedarf des Vizekönigs auf Kosten Ägyptens plötzlich enorm erweitert.246

      Eine dritte Art Maschinen, die Ägypten plötzlich in Massen benötigte, waren die Apparate zum Entkörnen und die Pressen zum Packen von Baumwolle. Diese Ginanlagen wurden zu Dutzenden in den Städten des Deltas eingerichtet. Sagasik, Tanta, Samanud und andere begannen zu rauchen wie englische Fabrikstädte. Große Vermögen rollten durch die Banken von Alexandrien und Kairo.

      Der Zusammenbruch der Baumwollspekulation kam schon im nächsten Jahr, als nach dem Friedensschluß in der amerikanischen Union der Preis der Baumwolle in wenigen Tagen von 27 Pence das Pfund auf 15, 12 und schließlich auf 6 Pence fiel. - Im nächsten Jahre warf sich Ismail Pascha auf eine neue Spekulation: die Rohrzuckerproduktion. Es galt jetzt den Südstaaten der Union, die ihre Sklaven verloren hatten, mit der Fronarbeit des ägyptischen Fellahs Konkurrenz zu machen. Die ägyptische Landwirtschaft wurde zum zweitenmal auf den Kopf gestellt. Französische und englische Kapitalisten fanden ein neues Feld der raschesten Akkumulation. 1868 und 1869 wurden achtzehn riesige Zuckerfabriken bestellt mit einer Leistungsfähigkeit von je 200.000 Kilogramm Zucker täglich, also einer vierfachen Leistungsfähigkeit der größten bis dahin gekannten Anlagen. Sechs davon wurden in England, zwölf in Frankreich bestellt, doch ging infolge des Deutsch-Französischen Krieges der größte Teil des Auftrags nach England. Alle 10 Kilometer sollte den Nil entlang eine dieser Fabriken errichtet werden, als Mittelpunkt eines Distrikts von 10 Quadratkilometern, der das Zuckerrohr zu liefern hatte. Jede Fabrik benötigte täglich zum vollen Betrieb 2.000 Tonnen Zuckerrohr. Während hundert alte Dampfpflüge aus der Baumwollperiode zerbrochen umherlagen, wurden hundert neue für Zuckerrohrbau bestellt. Fellachen wurden zu Tausenden auf die Plantagen getrieben, während andere Tausende an dem Bau des Ibrahimiyehkanals fronten. Stock und Nilpferdpeitsche sausten in voller Tätigkeit. Bald entstand die Transportfrage: Um die Rohrmassen nach den Fabriken zu schaffen, mußten schleunigst ein Netz von Eisenbahnen um jede Fabrik, transportable Feldbahnen, fliegende Drahtseile, Straßenlokomotiven herbeigeschafft werden. Auch diese enormen Bestellungen fielen dem englischen Kapital zu. 1872 wurde die erste Riesenfabrik eröffnet. Viertausend Kamele besorgten provisorisch den Transport. Aber die Lieferung der erforderlichen Menge Rohr für den Betrieb erwies sich als bare Unmöglichkeit. Das Arbeitspersonal war völlig ungeeignet, der Fronfellah konnte mit der Karbatsche nicht plötzlich in einen modernen Industriearbeiter verwandelt werden. Das Unternehmen brach zusammen, viele bestellte Maschinen wurden gar nicht aufgestellt. Mit der Zuckerspekulation schließt 1873 die Periode der gewaltigen Kapitalunternehmungen Ägyptens.

      Wer lieferte das Kapital zu diesen Unternehmungen? Die internationalen Anleihen. Said Pascha nahm ein Jahr vor seinem Tode (1863) die erste Anleihe auf, die nominell 66 Millionen Mark, tatsächlich, nach Abzug von Provisionen, Diskont usw., 50 Millionen Mark in bar eintrug. Er vermachte auf Ismail diese Schuld und den Suezvertrag, der Ägypten schließlich eine Last von 340 Millionen Mark aufbürdete. 1864 kam die erste Anleihe Ismails zustande, die nominell 114 Millionen zu 7 Prozent, in bar 9 Millionen zu 81/4 Prozent betrug. Diese Anleihe wurde in einem Jahr verbraucht, wobei allerdings 67 Millionen als Abfindungssumme an die Suezgesellschaft abgingen, der Rest wohl meist durch die Baumwollepisode verschlungen war. 1865 erfolgte durch die Anglo-Ägyptische Bank das erste sogenannte Daira-Anlehen, bei dem der Privatgrundbesitz des Khediven als Pfand diente; es betrug nominell 68 Millionen zu 9 Prozent, in Wirklichkeit 50 Millionen zu 12 Prozent. 1866 wurde durch Frühling und Göschen eine neue Anleihe von nominell 60 Millionen, in bar 52 Millionen aufgenommen, 1867 eine neue durch die Ottomanische Bank von nominell 40, in Wirklichkeit 34 Millionen. Die schwebende Schuld betrug um jene Zeit 600 Millionen. Zur Konsolidierung eines Teils derselben wurde 1868 eine große Anleihe durch das Bankhaus Oppenheim und Neffen aufgenommen von nominell 238 Millionen zu 7 Prozent, in Wirklichkeit kriegte Ismail nur 142 Millionen zu 131/2 Prozent in die Hand. Damit konnten aber das prunkvolle Fest der Eröffnung des Suezkanals vor den versammelten Spitzen dar europäischen Hof-, Finanz und Halbwelt und die dabei entfaltete wahnwitzige Verschwendung bestritten sowie ein neuer Backschisch von 20 Millionen dem türkischen Oberherrn, dem Sultan, in die Hand gedrückt werden. 1870 folgte die Anleihe durch die Firma Bischoffsheim u. Goldschmidt im Betrage von nominell 142 Millionen zu 7

      Prozent, in Wirklichkeit 100 Millionen zu 13 Prozent. Sie diente dazu, die Kosten der Zuckerepisode zu decken. 1872 und 1873 folgten zwei Anleihen durch Oppenheim, eine kleine von 80 Millionen zu 14 Prozent und eine große von nominell 640 Millionen zu 8 Prozent, die aber, da die von den europäischen Bankhäusern aufgekauften Wechsel zu Einzahlungen benutzt wurden, in Wirklichkeit nur 220 Millionen in bar und die Reduktion der schwebenden Schuld auf die Hälfte einbrachte.

      Auf den ersten Blick stellen diese Kapitaloperationen den Gipfel des Wahnwitzes dar. Eine Anleihe jagte die andere, die Zinsen alter Anleihen wurden mit neuen Anleihen gedeckt, und riesige Industriebestellungen bei dem englischen und französischen Industriekapital wurden mit englischem und französischem geborgtem Kapital bezahlt.

      In Wirklichkeit machte das europäische Kapital, unter allgemeinem Kopfschütteln und Stöhnen Europas über die tolle Wirtschaft Ismails, beispiellose, märchenhafte Geschäfte in Ägypten, Geschäfte, die dem Kapital in seiner weltgeschichtlichen Laufbahn nur einmal als eine phantastische, modernisierte Auflage