Eine dritte Art Maschinen, die Ägypten plötzlich in Massen benötigte, waren die Apparate zum Entkörnen und die Pressen zum Packen von Baumwolle. Diese Ginanlagen wurden zu Dutzenden in den Städten des Deltas eingerichtet. Sagasik, Tanta, Samanud und andere begannen zu rauchen wie englische Fabrikstädte. Große Vermögen rollten durch die Banken von Alexandrien und Kairo.
Der Zusammenbruch der Baumwollspekulation kam schon im nächsten Jahr, als nach dem Friedensschluß in der amerikanischen Union der Preis der Baumwolle in wenigen Tagen von 27 Pence das Pfund auf 15, 12 und schließlich auf 6 Pence fiel. - Im nächsten Jahre warf sich Ismail Pascha auf eine neue Spekulation: die Rohrzuckerproduktion. Es galt jetzt den Südstaaten der Union, die ihre Sklaven verloren hatten, mit der Fronarbeit des ägyptischen Fellahs Konkurrenz zu machen. Die ägyptische Landwirtschaft wurde zum zweitenmal auf den Kopf gestellt. Französische und englische Kapitalisten fanden ein neues Feld der raschesten Akkumulation. 1868 und 1869 wurden achtzehn riesige Zuckerfabriken bestellt mit einer Leistungsfähigkeit von je 200.000 Kilogramm Zucker täglich, also einer vierfachen Leistungsfähigkeit der größten bis dahin gekannten Anlagen. Sechs davon wurden in England, zwölf in Frankreich bestellt, doch ging infolge des Deutsch-Französischen Krieges der größte Teil des Auftrags nach England. Alle 10 Kilometer sollte den Nil entlang eine dieser Fabriken errichtet werden, als Mittelpunkt eines Distrikts von 10 Quadratkilometern, der das Zuckerrohr zu liefern hatte. Jede Fabrik benötigte täglich zum vollen Betrieb 2.000 Tonnen Zuckerrohr. Während hundert alte Dampfpflüge aus der Baumwollperiode zerbrochen umherlagen, wurden hundert neue für Zuckerrohrbau bestellt. Fellachen wurden zu Tausenden auf die Plantagen getrieben, während andere Tausende an dem Bau des Ibrahimiyehkanals fronten. Stock und Nilpferdpeitsche sausten in voller Tätigkeit. Bald entstand die Transportfrage: Um die Rohrmassen nach den Fabriken zu schaffen, mußten schleunigst ein Netz von Eisenbahnen um jede Fabrik, transportable Feldbahnen, fliegende Drahtseile, Straßenlokomotiven herbeigeschafft werden. Auch diese enormen Bestellungen fielen dem englischen Kapital zu. 1872 wurde die erste Riesenfabrik eröffnet. Viertausend Kamele besorgten provisorisch den Transport. Aber die Lieferung der erforderlichen Menge Rohr für den Betrieb erwies sich als bare Unmöglichkeit. Das Arbeitspersonal war völlig ungeeignet, der Fronfellah konnte mit der Karbatsche nicht plötzlich in einen modernen Industriearbeiter verwandelt werden. Das Unternehmen brach zusammen, viele bestellte Maschinen wurden gar nicht aufgestellt. Mit der Zuckerspekulation schließt 1873 die Periode der gewaltigen Kapitalunternehmungen Ägyptens.
Wer lieferte das Kapital zu diesen Unternehmungen? Die internationalen Anleihen. Said Pascha nahm ein Jahr vor seinem Tode (1863) die erste Anleihe auf, die nominell 66 Millionen Mark, tatsächlich, nach Abzug von Provisionen, Diskont usw., 50 Millionen Mark in bar eintrug. Er vermachte auf Ismail diese Schuld und den Suezvertrag, der Ägypten schließlich eine Last von 340 Millionen Mark aufbürdete. 1864 kam die erste Anleihe Ismails zustande, die nominell 114 Millionen zu 7 Prozent, in bar 9 Millionen zu 81/4 Prozent betrug. Diese Anleihe wurde in einem Jahr verbraucht, wobei allerdings 67 Millionen als Abfindungssumme an die Suezgesellschaft abgingen, der Rest wohl meist durch die Baumwollepisode verschlungen war. 1865 erfolgte durch die Anglo-Ägyptische Bank das erste sogenannte Daira-Anlehen, bei dem der Privatgrundbesitz des Khediven als Pfand diente; es betrug nominell 68 Millionen zu 9 Prozent, in Wirklichkeit 50 Millionen zu 12 Prozent. 1866 wurde durch Frühling und Göschen eine neue Anleihe von nominell 60 Millionen, in bar 52 Millionen aufgenommen, 1867 eine neue durch die Ottomanische Bank von nominell 40, in Wirklichkeit 34 Millionen. Die schwebende Schuld betrug um jene Zeit 600 Millionen. Zur Konsolidierung eines Teils derselben wurde 1868 eine große Anleihe durch das Bankhaus Oppenheim und Neffen aufgenommen von nominell 238 Millionen zu 7 Prozent, in Wirklichkeit kriegte Ismail nur 142 Millionen zu 131/2 Prozent in die Hand. Damit konnten aber das prunkvolle Fest der Eröffnung des Suezkanals vor den versammelten Spitzen dar europäischen Hof-, Finanz und Halbwelt und die dabei entfaltete wahnwitzige Verschwendung bestritten sowie ein neuer Backschisch von 20 Millionen dem türkischen Oberherrn, dem Sultan, in die Hand gedrückt werden. 1870 folgte die Anleihe durch die Firma Bischoffsheim u. Goldschmidt im Betrage von nominell 142 Millionen zu 7
Prozent, in Wirklichkeit 100 Millionen zu 13 Prozent. Sie diente dazu, die Kosten der Zuckerepisode zu decken. 1872 und 1873 folgten zwei Anleihen durch Oppenheim, eine kleine von 80 Millionen zu 14 Prozent und eine große von nominell 640 Millionen zu 8 Prozent, die aber, da die von den europäischen Bankhäusern aufgekauften Wechsel zu Einzahlungen benutzt wurden, in Wirklichkeit nur 220 Millionen in bar und die Reduktion der schwebenden Schuld auf die Hälfte einbrachte.
1874 wurde noch der Versuch einer Landesanleihe von 1.000 Millionen Mark gegen eine Jahresrente von 9 Prozent gemacht, der aber nur 68 Millionen ergab. Die ägyptischen Papiere standen auf 54 Prozent ihres Nennwerts. Die öffentliche Schuld war im ganzen seit Said Paschas Tode binnen 13 Jahren von 3.293.000 Pfund Sterling auf 94.110.000 Millionen Pfund Sterling, d.h. auf zirka 2 Milliarden Mark gewachsen.247 Der Zusammenbruch stand vor der Tür.
Auf den ersten Blick stellen diese Kapitaloperationen den Gipfel des Wahnwitzes dar. Eine Anleihe jagte die andere, die Zinsen alter Anleihen wurden mit neuen Anleihen gedeckt, und riesige Industriebestellungen bei dem englischen und französischen Industriekapital wurden mit englischem und französischem geborgtem Kapital bezahlt.
In Wirklichkeit machte das europäische Kapital, unter allgemeinem Kopfschütteln und Stöhnen Europas über die tolle Wirtschaft Ismails, beispiellose, märchenhafte Geschäfte in Ägypten, Geschäfte, die dem Kapital in seiner weltgeschichtlichen Laufbahn nur einmal als eine phantastische, modernisierte Auflage