Die Entwicklung des Eisenbahnnetzes widerspiegelt ungefähr das Vordringen des Kapitals. Das Eisenbahnnetz wuchs am raschesten in den 40er Jahren in Europa, in den 50er Jahren in Amerika, in den 60er Jahren in Asien, in den 70er und 80er Jahren in Australien, in den 90er Jahren in Afrika.243
Die mit dem Eisenbahnbau wie mit den Militärrüstungen verknüpfte öffentliche Anleihe begleitet alle Stadien der Kapitalakkumulation: die Einführung der Warenwirtschaft, die Industrialisierung der Länder und kapitalistische Revolutionierung der Landwirtschaft wie auch die Emanzipation der jungen kapitalistischen Staaten. Die Funktionen der Anleihe in der Kapitalakkumulation sind mannigfache: Verwandlung von Geld nichtkapitalistischer Schichten, Geld als Warenäquivalent (Ersparnisse des kleinen Mittelstandes) oder Geld als Konsumtionsfonds des Anhanges der Kapitalistenklasse in Kapital, Verwandlung von Geldkapital in produktives Kapital vermittelst staatlicher Eisenbahnbauten und Militärlieferungen, Übertragung akkumulierten Kapitals aus alten kapitalistischen Ländern in junge. Die Anleihe übertrug im 16. und 17. Jahrhundert das Kapital aus den italienischen Städten nach England, im 18. Jahrhundert aus Holland nach England, im 19. Jahrhundert aus England nach den amerikanischen Republiken und nach Australien, aus Frankreich, Deutschland und Belgien nach Rußland, gegenwärtig aus Deutschland nach der Türkei, aus England, Deutschland, Frankreich nach China und unter Vermittlung Rußlands nach Persien.
In der imperialistischen Periode spielt die äußere Anleihe die hervorragendste Rolle als Mittel der Verselbständigung junger kapitalistischer Staaten. Das Widerspruchsvolle der imperialistischen Phase äußert sich handgreiflich in den Widersprüchen des modernen Systems der äußeren Anleihen. Diese sind unentbehrlich zur Emanzipation der aufstrebenden kapitalistischen Staaten und zugleich das sicherste Mittel für alte kapitalistische Staaten, die jungen zu bevormunden, die Kontrolle ihrer Finanzen und den Druck auf ihre auswärtige Politik, Zoll- und Handelspolitik auszuüben. Sie sind das hervorragendste Mittel, dem akkumulierten Kapital alter Länder neue Anlagesphären zu eröffnen und zugleich jenen Ländern neue Konkurrenten zu schaffen, den Spielraum der Kapitalakkumulation im ganzen zu erweitern und ihn gleichzeitig einzuengen.
Diese Widersprüche des internationalen Anleihesystems sind ein klassischer Beleg dafür, wie sehr die Bedingungen der Realisierung und die der Kapitalisierung des Mehrwerts zeitlich und örtlich auseinanderfallen. Die Realisierung des Mehrwerts erfordert nur die allgemeine Verbreitung der Warenproduktion, seine Kapitalisierung hingegen erfordert die fortschreitende Verdrängung der einfachen Warenproduktion durch die Kapitalproduktion, wodurch sowohl die Realisierung wie die Kapitalisierung des Mehrwerts in immer engere Schranken eingezwängt werden. Die Verwendung des internationalen Kapitals zum Ausbau des Welteisenbahnnetzes widerspiegelt diese Verschiebung. In den 30er bis 60er Jahren des 19. Jahrhunderts dienten die Eisenbahnbauten und die hierfür aufgenommenen Anleihen hauptsächlich der Verdrängung der Naturalwirtschaft und der Ausbreitung der Warenwirtschaft. So die mit europäischem Kapital errichteten nordamerikanischen Eisenbahnen, so die russischen Eisenbahnanleihen der 60er Jahre. Hingegen dient der Eisenbahnbau in Asien seit zirka 20 Jahren sowie in Afrika fast ausschließlich den Zwecken der imperialistischen Politik, der wirtschaftlichen Monopolisierung und der politischen Unterwerfung der Hinterländer. So die ostasiatischen und zentralasiatischen Eisenbahnbauten Rußlands. Die militärische Besetzung der Mandschurei durch Rußland war bekanntlich durch die Truppensendungen zur Sicherung der russischen Ingenieure bei ihren Arbeiten an der Mandschurischen Bahn vorbereitet worden. Denselben Charakter tragen die Rußland gesicherten Eisenbahnkonzessionen in Persien, die deutschen Eisenbahnunternehmungen in Kleinasien und Mesopotamien, die englischen und deutschen in Afrika.
Hier muß auf ein Mißverständnis eingegangen werden, das die Anlage von Kapitalien in fremden Ländern und die Nachfrage aus diesen Ländern betrifft. Die Ausfuhr englischen Kapitals nach Amerika spielte schon zu Beginn der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts eine enorme Rolle und hat die erste echte Industrie- und Handelskrise Englands im Jahre 1825 in hohem Maße verschuldet. Seit 1824 wurde die Londoner Börse von südamerikanischen Wertpapieren überschwemmt. 1824-1825 haben die neugebildeten Staaten von Süd- und Zentralamerika für mehr als 20 Millionen Pfund Sterling Staatsanleihen in London aufgenommen. Außerdem wurden hier enorme Mengen südamerikanischer Industrieaktien und dergleichen angebracht. Der plötzliche Aufschwung und die Eröffnung der südamerikanischen Märkte haben ihrerseits eine starke Erhöhung der Ausfuhr englischer Waren nach den südamerikanischen und zentralamerikanischen Staaten hervorgerufen. Die Ausfuhr britischer Waren nach jenen Ländern betrug 1821 2,9 Millionen Pfund Sterling, 1825 6,4 Millionen Pfund Sterling.
Den wichtigsten Gegenstand dieser Ausfuhr bildeten Baumwollgewebe. Unter dem Anstoß der starken Nachfrage wurde die englische Baumwollproduktion rasch erweitert, viele neue Fabriken gegründet. Die in England verarbeitete Rohbaumwolle belief sich 1821 auf 129 Millionen Pfund Sterling, 1825 auf 167 Millionen Pfund Sterling.
So waren alle Elemente der Krise vorbereitet. Tugan-Baranowski wirft nun die Frage auf: "Woher haben aber die südamerikanischen Länder die Mittel genommen, um im Jahre 1825 zweimal soviel Waren zu kaufen als im Jahre 1821? Diese Mittel sind von den Engländern selbst geliefert worden. Die Anleihen, die auf der Londoner Börse aufgenommen worden sind, dienten zur Bezahlung für die eingeführten Waren. Die englischen Fabrikanten wurden durch die von ihnen selbst geschaffene Nachfrage getäuscht und mußten sich bald durch eigene Erfahrung überzeugen lassen, wie unbegründet ihre übertriebenen Hoffnungen waren."244
Hier wird die Tatsache, daß die südamerikanische Nachfrage nach englischen Waren durch englisches Kapital hervorgerufen worden war, als eine "Täuschung", ein ungesundes, abnormes ökonomisches Verhältnis aufgefaßt. Tugan übernimmt hier unbesehen Ansichten von einem Theoretiker, mit dem er sonst nichts gemein haben will. Die Auffassung, daß die englische Krise des Jahres 1825 durch die "seltsame" Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem englischen Kapital und der südamerikanischen Nachfrage zu erklären wäre, war zur Zeit jener Krise selbst aufgetaucht, und kein anderer als Sismondi stellte bereits dieselbe Frage wie Tugan-Baranowski und beschrieb in der zweiten Auflage seiner "Neuen Grundsätze" die Vorgänge mit aller Genauigkeit:
"Die Eröffnung des ungeheuren Marktes, den das spanische Amerika den Produkten der Industrie darbot, scheint mir am wesentlichsten auf die Wiedererstarkung der englischen Manufakturen gewirkt zu haben. Die Regierung Englands war derselben Ansicht, und eine bis dahin unbekannte Tatkraft ist in den 7 Jahren seit der