Den Burenrepubliken wurde in dieser plötzlichen Umklammerung immer schwüler. Aber auch im Innern ging alles drunter und drüber. Der mächtige Strom der Einwanderung und die Wellen der neuen fieberhaften Kapitalswirtschaft drohten alsbald die Schranken der kleinen Bauernstaaten zu sprengen. Der Widerspruch zwischen der Bauernwirtschaft auf dem Felde wie im Staate und den Anforderungen und Bedürfnissen der Kapitalakkumulation war in der Tat ein schreiender. Auf Schritt und Tritt versagten die Republiken gegenüber den neuen Aufgaben. Unbeholfenheit und Primitivität der Administration, die ständige Kafferngefahr, die wohl von England nicht mit scheelen Blicken angesehen war, Korruption, die sich in den Volksrand eingeschlichen hatte und durch Bestechung den Willen der Großkapitalisten durchsetzte, das Fehlen der Sicherheitspolizei, um die zuchtlose Gesellschaft der Glücksritter im Zaume zu halten, Mangel an Wasserzufuhr und Verkehrsmitteln zur Versorgung einer plötzlich aufgeschossenen Kolonie von 100.000 Einwanderern, mangelnde Arbeitergesetze, um die Ausbeutung der Neger im Bergbau zu regeln und zu sichern, hohe Schutzzölle, die den Kapitalisten die Arbeitskraft verteuerten, hohe Frachten für Kohle - alles das fügte sich zu einem plötzlichen und betäubenden Bankrott der Bauernrepubliken zusammen.
In ihrer plumpen Borniertheit wehrten sie sich gegen die Schlamm- und Lavaflut des Kapitalismus, die sie verschlang, durch das denkbar primitivste Mittel, das nur im Arsenal der dickköpfigen und starren Bauern zu finden war: Sie schlossen die Masse der "Uitlander", die sie an Zahl weitaus übertraf und ihnen gegenüber das Kapital, die Macht, den Zug der Zeit vertrat, von jeglichen politischen Rechten aus. Aber das war nur ein schlechter Spaß, und die Zeiten waren ernst. Die Dividenden litten empfindlich unter der bäuerlich-republikanischen Mißwirtschaft und konnten sie nicht länger dulden. Das Grubenkapital revoltierte. Die Britisch-Südafrikanische Gesellschaft baute Eisenbahnen, warf Kaffern nieder, organisierte Aufstände der Uitlander, provozierte endlich den Burenkrieg. Die Stunde der Bauernwirtschaft hatte geschlagen. In den Vereinigten Staaten war der Krieg Ausgangspunkt der Umwälzung, in Südafrika war er ihr Abschluß. Das Ergebnis war dasselbe: der Sieg des Kapitals über die kleine Bauernwirtschaft, die ihrerseits auf den Trümmern der primitiven naturalwirtschaftlichen Organisation der Eingeborenen erstanden war. Der Widerstand der Burenrepubliken gegen England war ebenso aussichtslos wie der Widerstand des amerikanischen Farmers gegen die Kapitalsherrschaft in den Vereinigten Staaten. In der neuen Südafrikanischen Union, die, eine Verwirklichung des imperialistischen Programms Cecil Rhodes', an Stelle der kleinen Bauernrepubliken einen modernen Großstaat setzt, hat nunmehr das Kapital offiziell das Kommando übernommen. Der alte Gegensatz zwischen Engländern und Holländern ist in dem neuen Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ertränkt worden:
Beide Nationen haben ihre rührende Verbrüderung in der Union mit der bürgerlichen und politischen Entrechtung von 5 Millionen farbiger Arbeiterbevölkerung durch eine Million weißer Ausbeuter besiegelt. Dabei sind nicht bloß die Neger der Burenrepubliken leer ausgegangen, sondern den Negern der Kapkolonie, die von der englischen Regierung ehemals politische Gleichberechtigung erhalten hatten, ihre Rechte zum Teil genommen worden. Und dieses edle Werk, das die imperialistische Politik der Konservativen durch einen schamlosen Gewaltstreich gekrönt hat, sollte gerade von der liberalen Partei vollendet werden - unter dem frenetischen Beifall "der liberalen Kretins Europas", die mit Stolz und Rührung in der völligen Selbstverwaltung und Freiheit, die England der Handvoll Weißer in Südafrika schenkte, den Beweis feierten, welche schöpferische Macht und Größe doch noch dem Liberalismus in England innewohne.
Der Ruin des selbständigen Handwerks durch die Konkurrenz des Kapitals ist ein Kapitel für sich, das weniger geräuschvoll, aber nicht minder qualvoll ist. Die kapitalistische Hausindustrie ist der dunkelste Abschnitt dieses Kapitels. Es erübrigt sich hier, auf diese Erscheinungen näher einzugehen.
Allgemeines Resultat des Kampfes zwischen Kapitalismus und einfacher Warenwirtschaft ist dies: Das Kapital tritt selbst an Stelle der einfachen Warenwirtschaft, nachdem es die Warenwirtschaft an Stelle der Naturalwirtschaft gesetzt hatte. Wenn der Kapitalismus also von nichtkapitalistischen Formationen lebt, so lebt er, genauer gesprochen, von dem Ruin dieser Formationen, und wenn er des nichtkapitalistischen Milieus zur Akkumulation unbedingt bedarf, so braucht er es als Nährboden, auf dessen Kosten, durch dessen Aufsaugung die Akkumulation sich vollzieht. Historisch aufgefaßt. ist die Kapitalakkumulation ein Prozeß des Stoffwechsels, der sich zwischen der kapitalistischen und den vorkapitalistischen Produktionsweisen vollzieht. Ohne sie kann die Akkumulation des Kapitals nicht vor sich gehen, die Akkumulation besteht aber, von dieser Seite genommen, im Zernagen und im Assimilieren jener. Die Kapitalakkumulation kann demnach sowenig ohne die nichtkapitalistischen Formationen existieren, wie jene neben ihr zu existieren vermögen. Nur im ständigen fortschreitenden Zerbröckeln jener sind die Daseinsbedingungen der Kapitalakkumulation gegeben.
Das, was Marx als die Voraussetzung seines Schemas der Akkumulation angenommen hat, entspricht also nur der objektiven geschichtlichen Tendenz der Akkumulationsbewegung und ihrem theoretischen Endresultat. Der Akkumulationsprozeß hat die Bestrebung, überall an Stelle der Naturalwirtschaft die einfache Warenwirtschaft, an Stelle der einfachen Warenwirtschaft die kapitalistische Wirtschaft zu setzen, die Kapitalproduktion als die einzige und ausschließliche Produktionsweise in sämtlichen Ländern und Zweigen zur absoluten Herrschaft zu bringen.
Hier beginnt aber die Sackgasse. Das Endresultat einmal erreicht - was jedoch nur theoretische Konstruktion bleibt -, wird die Akkumulation zur Unmöglichkeit: Die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts verwandelt sich in eine unlösbare Aufgabe. In dem Moment, wo das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion der Wirklichkeit entspricht, zeigt es den Ausgang, die historische Schranke der Akkumulationsbewegung an, also das Ende der kapitalistischen Produktion. Die Unmöglichkeit der Akkumulation bedeutet kapitalistisch die Unmöglichkeit der weiteren Entfaltung der Produktivkräfte und damit die objektive geschichtliche Notwendigkeit des Untergangs des Kapitalismus. Daraus ergibt sich die widerspruchsvolle Bewegung der letzten, imperialistischen Phase als der Schlußperiode in der geschichtlichen Laufbahn des Kapitals.
Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion entspricht somit nicht den Bedingungen der Akkumulation, solange diese fortschreitet; sie läßt sich nicht in die festen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen den beiden großen Abteilungen der gesellschaftlichen Produktion (Abteilung der Produktionsmittel und Abteilung der Konsumtionsmittel) bannen, die das Schema formuliert. Die Akkumulation ist nicht bloß ein inneres Verhältnis zwischen den Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft, sondern vor allem ein Verhältnis zwischen Kapital und dem nichtkapitalistischen Milieu, in dem jeder der beiden großen Zweige der Produktion den Akkumulationsprozeß zum Teil auf eigene Faust unabhängig vom anderen durchmachen kann, wobei sich die Bewegung beider wieder auf Schritt und Tritt kreuzt und ineinander verschlingt. Die sich daraus ergebenden komplizierten Beziehungen, die Verschiedenheit des Tempos und der Richtung im Gang der Akkumulation beider Abteilungen, ihre sachlichen und Wertzusammenhänge mit nichtkapitalistischen Produktionsformen, lassen sich nicht unter einen exakten schematischen Ausdruck bringen. Das Marxsche Schema der Akkumulation ist nur der theoretische Ausdruck für denjenigen Moment, wo die Kapitalsherrschaft ihre letzte Schranke erreicht haben wird, und insofern ist es ebenso wissenschaftliche Fiktion wie sein Schema der einfachen Reproduktion, das den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion theoretisch formuliert. Aber zwischen diesen beiden Fiktionen allein ist die exakte Erkenntnis der Kapitalakkumulation und ihrer Gesetze eingeschlossen.
Dreißigstes Kapitel.
Die internationale Anleihe
Die imperialistische Phase der Kapitalakkumulation