Wellington Fox trug die Kosten der Unterhaltung. Bald erklärte er die Einzelheiten der unter ihnen fortziehenden Landschaft, bald machte er seiner schönen Reisegefährtin allerlei Komplimente. Während er sprach, ruhte der Blick Maria Feodorownas häufig auf dem Oberingenieur. Isenbrandt saß so, daß sie ihn von der Seite im vollen Profil erblickte. Verstohlen betrachtete sie diese energischen, durchgeistigten Züge, deren natürliche Härte durch einen Anflug von Trauer gemildert schien.
Georg Isenbrandt erhob sich, um eine Karte aus dem Nebenraum zu holen. Forschend schaute ihm Maria Feodorowna nach. Dann richtete sie eine Frage an Wellington Fox.
»Ist Ihr Freund immer so schweigsam und ernst?«
»Immer … Nein! … Nicht immer … Gewiß, sein Charakter ist ernst. Heute kommt ein besonderer Grund hinzu … Wissen Sie, Fräulein Witthusen, warum wir so schnell bereit waren, Sie mitzunehmen?«
Ein leichtes Erstaunen glitt über die Züge Maria Feodorownas.
»Aus welchem Grunde? … Ich habe darüber noch nicht nachgedacht … Ich war so angenehm überrascht, schnell weiterzukommen, daß ich Ihre Einladung gern angenommen habe, ohne viel über die Gründe nachzudenken … aber ich nehme an, Herr Fox, daß Ihre Ritterlichkeit Sie bewog, einer Dame in der Verlegenheit beizuspringen … Sollte ich mich darin täuschen?«
»Aber nein, Fräulein Witthusen, wir hätten wohl in jedem Falle so gehandelt. In Ihrem Falle kam aber noch ein besonderer Grund hinzu … Ein Grund, der Ihnen auch die besonders ernste Stimmung meines Freundes erklären kann …«
»Sie machen mich neugierig, Mr. Fox. Darf man den Grund wissen?«
»Ich sehe nicht ein, warum ich ihn verheimlichen sollte. Sie gleichen in Stimme und Gestalt einer Frau, die Georg Isenbrandt vor Jahren über alles geliebt hat …«
»… einer Frau, die Ihr Freund liebte? … Wo ist sie geblieben … und warum …«
»Sie ist tot … in wenigen Tagen wurde sie aus blühendem Leben dahingerafft … Ich war in Amerika, als sie Maria Ortwin begruben. Als ich zurückkam, war mein Freund ein stiller Mann geworden, der nur noch seiner Arbeit lebte …«
Wellington Fox legte den Finger an die Lippen. Georg Isenbrandt kam wieder in den Raum. Er trug die Karten und breitete sie auf dem Tisch aus. Wellington Fox begann von den Arbeiten zu sprechen, während Georg Isenbrandt nur wenige erläuternde Worte hinzufügte. Sein Blick umfing die Gestalt Maria Feodorownas, und sein Ohr sog den Klang ihrer Stimme in sich auf.
Maria Witthusen horchte auf die Erklärungen von Wellington Fox. Der Kreuzer hatte jetzt reinen Südostkurs. Im Südwesten stand eine gewaltige Wolkenwand an dem bisher so klaren Himmel. Eine mächtige Bank brodelnden und wogenden Wasserdampfes.
Wellington Fox erklärte:
»Der erste der großen kochenden Seen. Alles Wasser, was von den Alpen in den See strömt, dampft hier auf und wird von den Winden nach Norden mitgenommen.« Er deutete auf Isenbrandt: »Und hier ist der Oberkoch, der die Alpen dampfen und die Seen brodeln läßt.«
Marias Blicke flogen zu Georg Isenbrandt hinüber. Nachdem sie den Grund seiner Schweigsamkeit vernommen hatte, gewannen diese scharfen und entschlossenen Züge ein besonderes Interesse für sie.
Ohne daß sie es recht merkte, sprang die ernste und nachdenkliche Stimmung Isenbrandts auf sie selbst über. Sie lachte und scherzte nicht mehr mit Wellington Fox wie zum Beginn der Fahrt. Ruhig hörte sie die Erklärungen des Amerikaners an, aber ihre Gedanken beschäftigten sich mit der Person Isenbrandts.
Wellington Fox riß sie aus ihren Gedanken. Er fand sich in der Karte nicht zurecht und rief Georg Isenbrandt zu Hilfe.
»Hallo, Georg, was haben wir denn hier? Ich kann diese Siedlungen auf der Karte nicht finden.«
Georg Isenbrandt rückte näher heran. Einen kurzen Blick in die Tiefe unter ihnen, und er war im Bilde.
»Neue Siedlungen … hier brandenburgische … dort hinten westfälische … da vor uns niedersächsische … wir sind über dem Gebiete der neuen deutschen Kolonien. Die Kolonisten werden jetzt nicht mehr willkürlich angesetzt, sondern in größeren Gebieten von etwa tausend Quadratmeilen nach Nation und Sprache zusammen. Es erleichtert und verbilligt die Verwaltung und läßt die Siedler die neue Heimat leichter liebgewinnen.«
Während der Kreuzer mit unveränderter Geschwindigkeit seinen Kurs verfolgte, traten die Wolkenmassen über dem Aralsee allmählich zurück. Georg Isenbrandt blickte ihnen kurze Zeit nach. Dann wandte er sich an Maria Feodorowna.
»Wir müßten viel weiter südlich fliegen. Wir müßten dem Hochgebirge folgen. Dann würden Sie unsere Arbeiten sehen können. Dort unten brodelt und braust es auf den Firsten. Da dampft und nebelt es unaufhörlich. Da heben wir die Wassermengen in den Äther, die das Land bis in den hohen Norden warm und fruchtbar machen …«
»O ja! Ich sah etwas davon in Kaschgar. Da sehen wir es im Westen und im Norden dampfen und nebeln, soweit das Auge den Horizont zu erfassen vermag. Sie können viel, Herr Isenbrandt … Aber den Winden können Sie doch noch nicht gebieten. Auch in den seit Menschengedenken regenlosen Monaten fallen jetzt öfters drüben bei uns schwere Regengüsse.
Der Wind tut Ihnen nicht immer den Gefallen, nach Norden zu wehen. Bläst er nach Osten, so bekommen wir den ganzen Segen. Auch unsere Flüsse dort fließen stärker, seitdem die Berge im Norden und Westen brennen.«
Wellington Fox griff den Faden auf.
»Ja! Sag mal, Georg … Fräulein Witthusen hat recht. Da scheitern deine Künste. Die unerwünschte Windrichtung tritt ja Gott sei Dank nur selten ein. Bedenklich wäre es aber doch, wenn es dem guten Gott der Winde gefiele, ein paar Monate hintereinander auf Abwegen zu wandeln. Das könnte peinlich für die Gelben und katastrophal für die Siedler werden.«
Georg Isenbrandt preßte die Lippen zusammen. Die leicht hingeworfenen Worte seines Freundes betrafen ein Problem, das ihm schon manche schlaflose Nacht bereitet hatte, an dessen Lösung er im stillen schon seit Jahren arbeitete. Noch nie war die Frage so brennend gewesen wie jetzt. Seit langen Wochen waren die Winde unregelmäßig geworden. Er wußte auch, daß ein Zusammenhang zwischen diesen Abweichungen und den immer größer werdenden Schmelzarbeiten bestehen müsse. Schon waren aus einzelnen Siedlungsgegenden im Norden Berichte gekommen, die über Regenmangel klagten und mehr Wasser forderten.
Wellington Fox unterbrach sein Grübeln.
»Sieh hier, Georg! Wieder neue Dörfer … Auf der Karte nicht eingetragen … merkwürdiger Baustil … das sieht ja beinahe amerikanisch aus.«
Ein leichtes Lächeln spielte um die Lippen Isenbrandts.
»Es ist auch amerikanisch, Fox! Deutsch-Amerikanisch! Pfälzer aus den Seestaaten, die dort zweihundert Jahre ihre deutsche Sprache bewahrt haben und jetzt nach hierhin übergesiedelt sind. Sie konnten auch in die englischen Kolonien gehen, haben aber die deutschen Siedlungen vorgezogen.«
Wellington Fox schüttelte den Kopf.
»Alle Wetter, Georg, ein Kompliment für die Staatskunst von Uncle Sam ist das gerade nicht.«
»Es hat aber seine Gründe, Fox. Die Deutschen fühlten sich an den amerikanischen Seen nicht mehr wohl. Das schwarze Volk wird ihnen zu aufdringlich.«
»Die Schwarzen …«
Georg Isenbrandt hatte das Stichwort zu einem Thema gegeben, das Wellington Fox nur allzusehr am Herzen lag.
Die Schwarzen in den Vereinigten Staaten! Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt waren sie zahlreicher, gebildeter und mächtiger geworden. Längst waren die Zeiten vorbei, in denen die Regierung sie durch Ausnahmegesetze niederhalten konnte. Überall beanspruchten sie gleiches Recht mit den Weißen, und es war schwer, abzusehen, wie dieser Streit um die Macht einmal enden würde. Seitdem schwarze Regimenter auf amerikanischer Seite gegen Weiße gekämpft hatten, war dem schwarzen Element in den Staaten das Gefühl der eigenen Bedeutung