Ein jäher Ruck ging durch das Wachtschiff und warf Wellington Fox gegen den Türpfosten. Jetzt rissen die mächtigen Maschinen den schnittigen Bau plötzlich mit siebenhundert Kilometer durch den Raum. Und jetzt sahen sie, was geschah. Es war ein Raubüberfall in bester Form. Ein schnelles, gut bewaffnetes Schiff ohne Flagge feuerte unablässig hinter dem schwerfälligen Postschiff her, das sich durch scharfe Wendungen und eine Flucht nach Norden dem Angriff zu entziehen versuchte.
Wellington Fox war an das Fenster gesprungen und verschlang das Raubschiff mit den Augen. Herr von Löwen sprach durch den Apparat mit den Batterien. Unablässig arbeiteten die automatischen Entfernungsmesser und gaben von Sekunde zu Sekunde die errechneten Entfernungen zu den Geschützen weiter.
»Halte dich fest, Fox!«
Die Warnung Isenbrandts kam zu spät. Der schwere Donner eines Schusses, und gleichzeitig führte das Schiff unter der Gewalt des Rückstoßes eine Schlingerbewegung aus, die den Berichterstatter der Chikago-Preß der Länge nach auf den Fußboden schleuderte. Mit der Gewandtheit einer Katze sprang er wieder auf und klammerte sich an der Fensterbrüstung fest.
»Dicht Backbord vorbei, Georg!«
Schon rollte ein zweiter Donner, und der Rückstoß des zweiten Schusses legte das Kompagnieschiff schwer über.
Wellington Fox vergaß alle Vorsicht und machte einen Freudensprung.
»Hurra, der hat gesessen! Ein Backbordpropeller ist beim Teufel … kolossale Frechheit! Die Hunde lassen nicht locker … Schießen wie verrückt auf das Postschiff …«
Beim letzten Worte machte Wellington Fox wieder Bekanntschaft mit dem Fußboden. Ein dritter Schuß war aus den Rohren des Kompagnieschiffes gefahren.
»Ich rate dir wirklich, dich festzuhalten, Fox.«
Georg Isenbrandt sagte es mit unerschütterlicher Ruhe, während er durch ein gutes Glas die Schußwirkungen auf dem Raubschiff beobachtete.
»Auch ein Steuerbordpropeller … gut! … Das hat in die Batterie geschlagen …«
Ruhig und leidenschaftslos stellte er die einzelnen Treffer fest. Ohne Pause krachten jetzt die acht Schnellfeuergeschütze des Kompagnieschiffes und schleuderten einen Strom von Stahl und Dynamit auf das Raubschiff hin. Aber obschon schwer getroffen, setzte dies den Angriff auf das Postschiff fort.
Nur noch aus einem Rohr vermochte es jetzt zu feuern, aber es feuerte, bis ein Treffer des Kompagnieschiffes auch dies letzte Rohr in Trümmern schlug.
Georg Isenbrandt kniff die Lippen zusammen.
»Halt! … Das darf nicht sein … Herr von Löwen!«
Der Kommandant folgte mit den Blicken dem Finger des Oberingenieurs. Ein gelbes Pünktchen löste sich von dem Raubschiff und sank in die Tiefe. Der Kommandant sprach durch das Telephon. In dichten Salven feuerte das Kompagnieschiff. Weiße Schrapnellwölkchen umhüllten das niedersinkende gelbe Fleckchen und dann … ganz plötzlich war das verschwunden, wie weggewischt aus dem blauen Himmel.
»Aber schon tropfte es weiter aus dem todwunden Raubschiff. Ein zweiter, dritter, vierter und fünfter Fallschirm löste sich fast gleichzeitig von ihm und sank nach unten.
Wellington Fox hielt sich mit der Rechten am Fenstergriff und schlug sich mit der Linken auf die Schenkel.
»Nummer zwei ist futsch … Nummer drei ist getroffen … den fünften hat’s gefaßt … der vierte … aber der vierte … Georg … der vierte kommt durch.«
Die Geschütze des Kompagnieschiffes arbeiteten wie Schnellfeuerpistolen. Die Wolken der platzenden Schrapnelle umhüllten den vierten Fallschirm so dicht, daß man das Gelb seiner Form nicht mehr zu erkennen vermochte.
»Jetzt hat’s ihn! … Nein, da ist er noch … jetzt hat’s ihn doch … nein … na … ich weiß nicht …«
Wellington Fox stieß die Worte mit der Leidenschaftlichkeit eines Jägers hervor, während er das Schicksal des vierten Fallschirms verfolgte.
In den letzten Minuten war das Kompagnieschiff dem bewegungslosen Raubschiff immer näher gekommen. Noch einmal drei Schüsse aus den schwersten Rohren. Trümmer flogen auf. Dann brach das führerlose Schiff in drei Teilen auseinander. Schwer wie Steine stürzten sie in die Tiefe und schlugen dumpf auf den Boden auf. Die Rohre des Kompagnieschiffes schwiegen. Unwahrscheinlich wirkte die Stille nach dem Getöse des vorangegangenen Kampfes. Der Kommandant brach als erster das Schweigen.
»Horrido! Herr Isenbrandt … Das war also Ihre kleine Abwechslung!? Der Sieg war ja nicht schwer. Aber immerhin …«
Isenbrandt trat auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand.
»Das war gute Arbeit, Herr von Löwen. Es waren nicht die hundert oder zweihundert Passagiere des Postschiffes, die Sie vor einem schlimmen Tode bewahrt haben … Denn offensichtlich ging die Absicht der Piraten nicht auf Raub, sondern auf Vernichtung … Es war diesmal mehr …«
Herr von Löwen blickte den Sprecher zweifelnd an.
»Also … Es war gute Arbeit, mein Herr von Löwen. Die Kompagnie wird Ihnen Dank wissen. Doch nun runter! Besehen wir uns die Strecke in der Nähe.«
Im schnellen Gleitflug stieß der starke Kreuzer in die Tiefe. Nach wenigen Minuten setzte er dicht neben den Überresten des abgeschossenen Schiffes auf.
Mit dem Kommandanten standen Georg Isenbrandt und Wellington Fox zwischen den Trümmern des Wracks. Verbogenes Fachwerk, zerfetzte Bleche, zerschlagene Transmissionen. Kaum möglich, sich durch den Wirrwarr einen Weg zu bahnen. Jetzt waren sie an der Batterie. Zwischen den zertrümmerten Lafetten lagen die Überreste menschlicher Körper. Zur Not ließen sich Rasse und Hautfarbe erkennen.
»Mongolen … Mongolische Räuber?«
Zweifelnd brachte der Kommandant die Worte hervor.
»Jedenfalls Gelbe, Herr von Löwen! Gelbe! Es ist wichtig, daß Sie das in Ihrem Bericht an die Gesellschaft betonen … Was macht Nummer achtzehn?«
»Ah! … Da!«
Der Kommandant deutete nach Nordosten.
»Es hat wieder Richtung Orenburg genommen. Seine Beschädigungen scheinen nicht allzu schwer zu sein. Es erreicht mit eigener Kraft den Hafen.
Wir sollten bis Ferghana durchfahren, Herr Isenbrandt. Mit Ihrer Zustimmung würde ich indes gern in Orenburg zwischenlanden. Für die weiteren Ermittlungen und meinen Bericht wäre es wünschenswert.«
»Bitte, Herr von Löwen!«
Wenige Minuten später erhob sich das Kompagnieschiff und setzte den Kurs mit forcierter Fahrt auf Orenburg.
Nummer achtzehn steuerte von Norden her den Orenburger Hafen an. Es fuhr schwerfällig, als ob ein Teil seiner Maschinen außer Betrieb sei. Der mächtige Rumpf lag nach Backbord über, als ob das Gleichgewicht gestört sei. Aber es fuhr doch mit eigener Kraft und kam dem Flughafen von Minute zu Minute näher.
Jetzt konnte man auch mit unbewaffnetem Auge erkennen, daß sein Rumpf an mehr als einer Stelle schwere Verletzungen aufwies. Ein Teil seiner Propeller war zerstört. Geknickt und zertrümmert hingen die Bruchstücke in den Lagern. Auf der Backbordseite zeigte der Rumpf große Risse und Löcher. Nur mit Mühe konnte der Führer sein Schiff in der Luft halten und vor dem Kentern bewahren.
Jetzt senkte es sich über der Plattform und warf die Leinen aus. Geschickt griffen die Schaffner zu. Aber sie hatten heute viel länger als sonst zu richten und zu dirigieren, bevor das Schiff endlich über dem Gleis stand und seine starken Räder in die Schienen eingriffen.
Im gleichen Moment begannen die hydraulischen Pressen der Station zu arbeiten. Wie von Zauberhänden bewegt, klappten zu beiden Seiten des Schiffes mächtige eiserne Wände empor, schoben sich hoch und vereinigten sich über ihm. Nur wenige Minuten, und von der aufsteigenden Halle völlig umgeben, stand es dort sicher