Neun Minuten vor eins … acht Minuten vor eins.
Die Schiffe noch jetzt zum Streichen dieses verdammten Schauerlappens zu bringen? … Ganz unmöglich. Seit fast einer Stunde versuchte man es ja vergeblich. Dann wenigstens nicht wehrlos zugrunde gehen. Sich nicht hier vor Anker in Grund schießen lassen. Es war sechs Minuten vor eins, als vom Admiralschiff an alle Einheiten der Flotte der Befehl kam, schnellstens Anker aufzunehmen und gefechtsklar zu machen.
Niemals wurde ein Befehl in der australischen Marine schneller befolgt. So schwerhörig sie früher auf den einzelnen Schiffen gewesen waren, so hellhörig wurden sie jetzt. Man hatte das Verschwinden der englischen Flotte beobachtet und machte sich seinen Vers darauf.
Vier Minuten vor eins waren alle Anker gelichtet. Drei Minuten vor eins lief die australische Flotte, die einzelnen Geschwader in Kiellinie, mit voller Maschinenkraft seewärts Kurs Süd zu Südost.
Admiral Morison sah auf die Uhr. Eine Minute vor eins. Er trat in den Kommandoturm. Immer noch die schwache Hoffnung im Herzen, daß der Engländer seine Drohung nicht wahrmachen würde. Daß es ihm selber gelingen würde, die Flotte unter den Kanonen der Botany-Bai in Sicherheit zu bringen. Der Kampf mit der doppelt so starken englischen Flotte war zu aussichtslos, als daß er ihn irgendwie wünschen konnte. Der Kapitän der »Melbourne« war hinsichtlich der Engländer anderer Meinung.
Schon schwirrten englische Flieger über der Kimmung. Und dann kamen die ersten englischen Geschosse. Zunächst keine Treffer. Aber jeder Schuß gab Veranlassung zu Korrekturen, und immer näher bei den Schiffen schlugen die schweren Geschosse in die See, dort wüste und wütende Wasserberge emporreißend.
Die Aussichten, ein schnell und im Zickzackkurs fahrendes Schiff auf dreißig bis vierzig Kilometer Entfernung direkt zu treffen, waren natürlich minimal. Dafür aber hatte die Technik dieser Tage Geschosse geschaffen, welche das alte Prinzip der bereits im Weltkriege benutzten Wasserbomben weiter ausbauten. Sie explodierten erst vierzig Meter unter Wasser, warfen dann aber eine Woge auf, welche jeden in fünfhundert Meter Nähe befindlichen Panzer zum Kentern bringen mußte. Die Kriegstechnik hatte, wie immer, auf den verbesserten Angriff einen verbesserten Schutz folgen lassen. Die Kriegsschiffe waren mit stabilisierenden Kreiseln ausgerüstet, die den kippenden Wogen Widerstand zu leisten vermochten. Bis zu einem gewissen Grade wenigstens.
Aber nun folgten die englischen Salven in dichter Folge. Admiral Morison zog seine Schiffe weit auseinander, um aus dem schlimmsten Strudelwasser herauszukommen. Auch die Australier feuerten, was die Rohre hergeben wollten, und ihre Flieger meldeten die Einschläge, verbesserten die Richtungen.
Aber es stand schlimm um die Schiffe Morisons. Schon trieb die Kaledonia gekentert kieloben. Jetzt faßte ein Zufallstreffer die Alexandra und verwandelte sie in der nächsten Sekunde in eine graue Wolke kleiner Stahlbrocken und gelblich schwelenden Rauches. Wohl hatten auch die australischen Kanoniere einige Fahrzeuge des Gegners gekippt, und einem Torpedoflieger war es gelungen, einen Lufttorpedo aus zweitausend Meter auf das Deck des Alcestes zu setzen und ihn in Trümmer zu zerreißen. Aber es war klar, daß die australische Flotte nur noch für die Ehre der Flagge focht … welcher Flagge denn?
Ein bitteres Lächeln umspielte die Züge des Admirals Morison, als er den Gedanken dachte. Für die Laune, hier einen Scheuerlappen zu hissen, schlug sich seine Flotte auf Leben und Tod mit dem weit überlegenen Gegner. Um dieser Laune willen mußte er in schreiendem Gegensatz zu den Befehlen seiner Regierung mit einer Flotte kämpfen, mit der ihm die Pflege freundschaftlicher Beziehungen befohlen war. Es war bitter für einen Mann, dessen Leben bisher strenge Pflichterfüllung gewesen war. Aber Admiral Morison stand unter dem Zwange der Verhältnisse und beschloß, auszuharren bis zum Ende.
Eine Meldung eines seiner Flieger ließ ihn aufmerken.
»Englischer Panzer Alkyon gekentert. Ohne Schuß von uns.«
Schon kam eine zweite Meldung von einem anderen Flugschiff:
»Amphitrite geht auf Grund. Ohne Schußeinwirkung von uns.«
Die dritte Meldung folgte unmittelbar:
»Niobe sinkt. Es scheinen U-Boote zu wirken«.
Die folgenden Sekunden brachten noch ein halbes Dutzend gleichartiger Meldungen. Bis Admiral Blain den ungleichen Kampf aufgab und mit dem Reste seiner Schiffe nach Nordosten entfloh.
Admiral Morison sammelte den Rest seines Geschwaders und setzte den Kurs auf den bisherigen Standort der englischen Flotte. Nach beendetem Kampf war es Seemannspflicht, Überlebende zu retten.
Auf halbem Wege, auf der Höhe von Sydney, kamen ihm U-Boote entgegen. Hundert U-Boote. In Kiellinie zogen sie in Überwasserfahrt daher. Große, schwer gepanzerte Kreuzer von einer Art, wie sie Australien nicht besaß. Sie fuhren schnell und waren im Augenblick heran.
Es konnten Feinde sein. Aber keinem Menschen in der australischen Flotte kam dieser Gedanke. Sie alle, von dem Schiffskommandanten bis zu den einfachen Kanonieren, erblickten in diesen Booten die Erretter vom sicheren Untergang und begrüßten sie mit brausendem Cheer. Da ging am Heck des ersten Bootes ein rötlicher Ball empor, breitete sich im Winde aus und zeigte das Sternenbanner der amerikanischen Union. Amerikanische U-Boote hatten unter der Führung des Admirals Willcox eingegriffen. Unbekannt mit den letzten Entschließungen von Cyrus Stonard, sah Willcox die australische Flotte im Kampfe mit der englischen Übermacht. Mochten die Politiker treiben, was sie wollten. Der Seebär Willcox wußte nur, daß Australien nächstens amerikanisch werden würde. Das hatte ihm genügt.
Die australische Flotte lief in den Hafen von Sydney. Die amerikanische U-Boot-Flotte folgte nach einer plötzlichen Entschließung des Admirals Willcox. Der meinte, daß es Zeit sei, das warme Eisen zu schmieden, und kümmerte sich den Teufel um diplomatische Gebräuche und Abmachungen.
Die Kunde von dem Gefecht und dem Eingreifen der amerikanischen Hilfe war den Flotten drahtlos vorausgeeilt. Eine bange Stunde hindurch hatten in Sydney die Häuser unter dem schweren Feuer der kämpfenden Flotten gebebt. Dann kam die Erlösung. Hilfe und Sieg durch die Amerikaner. Da schlug die bange Stimmung in das Gegenteil um. Die Amerikaner, die jetzt im Hafen lagen, die in einzelnen Trupps an Land kamen, wurden mit hellem Jubel begrüßt. Niemand in ganz Sydney dachte mehr an die Tagesarbeit. Von dichten Scharen waren die Straßen schwarz, während die Häuserfassaden im Flaggenschmuck verschwanden.
Einer der wenigen, die nicht an diesem allgemeinen Jubel teilnahmen, war der australische Premier Mr. Applebee. Der Staatsmann dachte an die Zukunft und fuhr bei MacNeills, dem englischen Gesandten, vor. Nicht ohne sich einen bestimmten Plan zurechtgemacht zu haben.
Der Engländer empfing ihn hochmütig und kalt. Das Erstaunen zu deutlich zur Schau tragend, als daß es für ganz natürlich gehalten werden konnte.
»Was wünschen Sie, Herr Ministerpräsident? Ich glaube kaum, daß wir uns nach dieser Affäre noch etwas zu sagen haben.«
Mr. Applebee war auf den Empfang gefaßt.
»Gestatten Sie, daß ich anderer Meinung über die Vorfälle bin. Es war der englische Admiral, der die Feindseligkeiten eröffnete und den ersten Schuß auf unsere Flotte tat. Auf unsere kleine Flotte, die sich in diesem unglücklichen Augenblick in offensichtlicher Meuterei befand. Sie dürfen überzeugt sein, daß ich diesen Flaggenunfug genau so verurteile wie unser Admiral Morison. Der ganze Unsinn geht von einem als Trinker bekannten Kapitän aus, der heute noch seines Amtes enthoben werden soll. Doch dieser Umstand rechtfertigt das schroffe Vorgehen Ihres Admirals nicht. Was ist dabei herausgekommen? Gerade das, vor dem ich heute vormittag warnen zu müssen glaubte. Ein Eingreifen Amerikas an unserer Seite.
Aber trotz aller dieser Vorfälle … höchst bedauerlichen Vorfälle, die uns und Ihnen Menschenleben und gute Schiffe gekostet haben, hoffe ich immer noch, daß sich die Affäre in