MacNeills horchte auf. Eine Möglichkeit, den Parlamentsbeschluß zu inhibieren? Das gab der Sache eine neue Wendung. Er erwiderte, er wolle umgehend drahtlos Instruktionen seiner Regierung einholen.
Mr. Applebee war noch keine Stunde von diesem Besuch zurückgekehrt, als er den Gegenbesuch MacNeills empfing. Die englische Regierung bestehe auf restlose Aufklärung der Vorfälle. Danach würde sie ihre weiteren Schritte einrichten.
Mr. Applebee atmete auf. Das hieß, aus dem Diplomatischen in die tägliche Gebrauchssprache übersetzt, daß auch England die Sache nicht über das Knie brechen wolle. Restlose Aufklärung … das waren wenigstens vierzehn Tage. Mehr hatte Cyrus Stonard nicht verlangt. Er schüttelte dem Engländer beim Abschied mit ostentativer Herzlichkeit die Hand.
Mr. MacNeills fuhr im Kraftwagen nach seinem Hotel zurück. Am Prinz-Alfred-Park geriet das Auto in den Strom der singenden, johlenden, flaggenschwingenden Menge. Das Gedränge zwang den Chauffeur, langsam zu fahren. Ein australischer Matrose, ein Sternenbanner in der Rechten schwingend, sprang auf das Trittbrett. Ließ die Flagge wehen.
»Hallo, Boys, drei Hurras für Uncle Sam!«
Vieltausendstimmig wurde der Ruf von der Menge aufgenommen und rollte wie ein Donnerwetter die breite Straße entlang. Da fühlte MacNeills, daß Australien für England unwiederbringlich verloren sei. Der Führer hatte sich durch den Menschenstrom gewunden, die ruhige Seitenstraße erreicht.
»Fahr zu, Chauffeur!«
Kurz und scharf rief es der Engländer und warf sich in das Kissen zurück.
Die gespannte politische Lage nötigte auch den Vierten Lord der Admiralität, seinen Landaufenthalt für unbestimmte Zeit zu unterbrechen. Lord Horace Maitland war mit Familie und Dienerschaft in sein Stadthaus übergesiedelt, ein einfaches, aber geräumiges Palais aus der Zeit des dritten Georg. Kaum zehn Minuten von der Admiralität entfernt.
Eine kleine Gesellschaft der nächsten Bekannten saß dort um den Teetisch versammelt. Lord Horace kam aus einer Sitzung. In diesem Kreise durfte er sich ziemlich frei äußern.
»Die Ansichten im Kabinett waren geteilt. Einige meiner Kollegen hoffen immer noch, daß sich ein Krieg … der Krieg, der um Englands Schicksal geht … vermeiden läßt. Die Entscheidung liegt beim Parlament, das morgen zusammentritt.«
»Eine bange Nacht für alle, die mit ihrem Blute für das Vaterland eintreten müssen.«
Einer der Gäste hatte es gesagt.
»Noch eine lange, bange Nacht!«
Lady Diana flüsterte es mit bewegter Stimme. Sie blickte geistesabwesend vor sich hin und rührte mit dem kleinen Silberlöffel mechanisch in der Teetasse.
Lord Horace betrachtete sie mit forschendem Blick. Seit Tagen fiel ihm eine Veränderung an ihr auf, für die er keine Erklärung fand. Was konnte die ruhige, gefestigte Natur seiner Frau so außer Fassung bringen? Der drohende Krieg? … Wenig wahrscheinlich! Was sonst?
Lady Diana atmete, wie von einer Last befreit, als die Gäste sich empfahlen. Lord Horace sah, wie gezwungen das Lächeln war, mit dem sie sie verabschiedete.
Vergeblich wartete er auf ihre Rückkehr.
»Die Lady hat sich in ihre Räume zurückgezogen.«
Der Bescheid wurde ihm auf seine Frage. So war es ihm unmöglich, dem Grunde dieser Veränderung näherzukommen. Es hieß wohl zu warten, bis seine Gattin freiwillig sprechen würde.
Er war in Sorge. Seine Heirat war eine Liebesheirat im besten und edelsten Sinne. Die Erhöhung des Gatten, die unerwartete Erbschaft des Lordtitels hatte das innige zarte Verhältnis der Gatten nicht geändert. Die Liebe, die in der Hütte blüht, stirbt leicht im Palast. Hier war das nicht der Fall. Doch seit einigen Tagen fühlte Lord Horace, daß etwas Fremdes zwischen ihm und seiner Gattin stand.
Lady Diana schritt rastlos in ihrem Zimmer hin und her, mit fieberisch geröteten Wangen. Die Lippen wie durstig geöffnet.
Die Stutzuhr schlug die sechste Stunde.
Diana Maitland hielt in ihrem Gang inne und starrte auf das Zifferblatt.
»Schon wieder ein Tag vergangen … ohne Nachricht … Noch eine Nacht wie die vergangene ertrage ich nicht … Warum das alles? … Um eines Mannes willen, dessen Namen ich längst aus meinem Leben gestrichen zu haben glaubte. Ah …«
Sie warf sich auf den Diwan. Die eine Hand schob ungeduldig die Kissen zurecht, die andere strich das Haar von der Schläfe. Ihre Augen waren geschlossen, aber es zuckte zuweilen in den langen Wimpern.
Eine Welt lag zwischen diesem unruhig sinnenden, gegen Tränen kämpfenden Weib und jener heiteren, strahlenden Schönheit, die noch vor wenigen Tagen den Mittelpunkt der glänzenden Gästeschar in Maitland Castle bildete.
Ihre Lippen formten Worte.
»Warum lasse ich mich in wachendem Zustand von diesen Träumen quälen? Ist es nicht genug an den unruhigen Nächten? … Warum diese Angst? … Was habe ich getan, was ich nicht vor mir selbst, vor aller Welt verantworten könnte?
Ich bin nur feig … oder vielleicht krank … und könnte doch gerade so glücklich sein, wie mich die Welt schätzt.«
Lady Diana richtete sich heftig auf.
»Horace beobachtet mich … meine Aufregung ist ihm nicht entgangen … ich bin ihm kein Geständnis schuldig! Nein, nein! Soll ich ein zweites Mal für eine Sünde büßen, die keine war?«
Erschöpft warf sie sich auf den Diwan zurück und schlug die großen dunklen Augen zur Zimmerdecke auf. Wie unter einem Zwange sprach sie weiter:
»Der eine liegt auf dem Père Lachaise. Der andere in Linnais …?«
Ein Pochen an der Tür. Auf silbernem Tablett brachte die Zofe einen Brief. Ein großes graues Kuvert. Deutsche Briefmarken. Die Schrift der Adresse schien ihr wohl bekannt, und doch konnte sie den Schreiber nicht erraten.
»Legen Sie den Brief auf den Tisch. Ich werde ihn später lesen.«
Sie sagte es mit gleichgültiger Stimme. Kaum hatte die Zofe den Raum verlassen, als sie aufsprang und den Umschlag mit zitternden Fingern zerriß. Ein einfaches Zeitungsblatt bildete den Inhalt. Eine schwedische Zeitung. Ihre Sprachkenntnisse reichten hin, den Inhalt halb zu entziffern, halb zu erraten. An einer Stelle ein roter Strich. Eine fettgedruckte Stichmarke … Linnais …
Sie ging zum Diwan zurück, zwang sich gewaltsam, die wenigen Zeilen Wort für Wort zu lesen:
»Linnais, den 20. Juli. Eine Katastrophe, die noch der Aufklärung bedarf, hat gestern das in unserer Nähe liegende Gehöft der Truwors betroffen. Um Mitternacht flog das Herrenhaus unter schweren Explosionen in die Luft. Es wurde von dem erst kürzlich aus dem Auslande zurückgekehrten Besitzer bewohnt, der zwei Freunde als Gäste bei sich hatte. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß alle Insassen den Tod gefunden haben. Über die Ursache der Katastrophe gehen Gerüchte, die wir ihrer Unkontrollierbarkeit wegen vorläufig nicht wiedergeben wollen.«
Mit einem leisen Aufschrei sank Diana Maitland auf den Diwan zurück. Wie im Traume sah sie, wie sich die Tür öffnete, Lord Horace in das Zimmer trat, die Tür hinter ihm ins Schloß fiel. Es war ihr unmöglich, sich zu erheben. Es gelang ihr nur, sich etwas aufzurichten.
»Du hast eine unangenehme Nachricht erhalten?«
»Eine unangenehme Nachricht … wie kommst du auf die Frage?«
Lord Horace deutete auf das am Boden liegende Zeitungsblatt.
»Wer sandte dir diese Zeitung?«
Die Antwort kam nicht gleich. Endlich kam sie … zögernd und unfrei:
»Dr. Glossin.«
»Von Dr. Glossin?!«
Lord Horace trat einen Schritt zurück.
»Von