Diana schien seine Gedanken zu erraten.
»Horace! Horace!« schrie sie mit erstickter Stimme. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht.
Der Lord hörte die angsterfüllte Stimme. Er stürzte auf sie zu und schloß ihr den Mund mit zitternden Händen, erschüttert, entsetzt. Er schloß ihre Augen, die starr und weit geöffnet waren. Seine Wimpern wurden feucht.
… Sie fühlte seine Bewegung, sie spürte auf ihren Augen die Finger, die sie berührten, wie nur Liebe und Mitleid zu berühren wissen.
Ihre Arme streckten sich und schlangen sich um den Hals des Mannes.
»Du liebst mich, du glaubst an mich?«
Lord Horace ergriff ihre Hände.
»Laß mir Zeit … seien wir mutig … du hast die Gespenster der Vergangenheit geweckt. Es wird Zeit brauchen, sie wieder zur Ruhe zu bringen …«
»Du fragst nicht nach dem Namen, Horace?«
»Wozu den Namen? Laß ihn begraben sein, Diana.«
»Ich muß ihn dir nennen, daß du alles verstehst … er ist … Erik Truwor.«
»Lord Maitland wünschen Eure Herrlichkeit zu sprechen.«
Der Diener meldete es, und gleich danach trat Lord Horace in das Kabinett des englischen Premierministers. Die Stimmung war ernst. Vor zwei Stunden war die offizielle Nachricht von dem Gefecht vor Sydney in London eingetroffen. Noch hielt die englische Regierung sie zurück. Doch schon liefen unkontrollierbare Gerüchte durch die Straßen der englischen Metropole. Erzählungen von einer unerhörten Schmach, die der Flagge Englands durch amerikanische Streitkräfte zugefügt sein sollte.
Trotz aller Gesetze und Postregale gab es Dutzende geheimer Empfangsstationen für die Funkenmeldungen der ganzen Welt in London. Stationen, die auf einem Schreibtisch bequem Platz hatten und Funkennachrichten aus Australien und Südafrika ebenso sicher auffingen wie aus Schottland oder Frankreich.
Die Londoner Börse wurde zuerst von den Gerüchten getroffen. Sie war in einer trostlosen Baissestimmung. Das Publikum in den Straßen glich einem aufgeregten Bienenschwarm, und Lord Gashford, der leitende Staatsmann des britischen Weltreiches, fühlte den Druck der schweren Verantwortung mehr denn je. Wohl hatte er durch die letzte Instruktion an den australischen Gesandten MacNeills noch eine Frist für die letzte unwiderrufliche Entscheidung gesichert. Aber er war sich dessen voll bewußt, daß die letzte Entscheidung mit Riesenschritten heranrückte.
Lord Maitland hielt ihm das Zeitungsblatt hin, welches Glossin an Lady Diana gesandt hatte.
»Die Nachricht ist gut, wenn sie wahr ist. Wir wissen es noch nicht. Seit sechsunddreißig Stunden warte ich auf den Bericht des Obersten Trotter, der vom Kriegsministerium mit der Expedition beauftragt wurde.«
»Oberst Trotter …?«
»Wie meinten Sie?«
»Nichts von Wichtigkeit. Nur bin ich der Ansicht, daß der Bericht längst da sein müßte. Es ist unerhört, daß wir das Ergebnis einer von uns betriebenen Unternehmung durch ein schwedisches Lokalblatt erfahren müssen.«
Die Züge des Premiers verrieten von neuem Sorge und Ungewißheit über den Ausgang der Expedition.
»Ich fürchte, daß irgend etwas bei der Unternehmung nicht in Ordnung ist. Auf keinen Fall können wir daran denken, eine Entscheidung zu treffen, bevor wir nicht den Bericht Trotters oder noch besser den Oberst selbst hier haben. Ich habe den Kriegsminister kurz vor Ihrem Erscheinen um seinen Besuch bitten lassen. Ich denke, das wird er sein.«
Sir John Repington trat in das Gemach. In seiner Begleitung kam Oberst Trotter. Er machte nicht eben den besten Eindruck. Die Haut seines Gesichtes schälte sich wie Platanenrinde im Frühjahr. Der stattliche Schnurrbart war bis auf einen kargen Überrest der Schere zum Opfer gefallen. Der erste Eindruck auf alle in diesem Raume Befindlichen war der, daß es nicht gefahrlos sei, mit Erik Truwor und seinen Leuten anzubinden. Waren sie wirklich unter den brennenden Trümmern ihres Hauses begraben, so hatten ihre Flammen und sonstigen Verteidigungsmittel jedenfalls auch dem Gegner reichlich zu schaffen gemacht.
Der Eindruck verstärkte sich, als Oberst Trotter seinen mündlichen Bericht gab. Acht von seinen Leuten tot, zum Teil in den Flammen umgekommen, verschollen. Fünf mehr oder weniger schwer verwundet. Nur mit sieben Leuten war der Oberst nach England zurückgekommen.
Im übrigen bestätigte sein Bericht die Mitteilung des schwedischen Blattes und ergänzte sie. Nach tapferer Gegenwehr war das Feuer der Verteidiger niedergekämpft, das Haus sturmreif geschossen worden. In diesem Moment brachen Explosion und Brand aus, von denen das schwedische Blatt allein berichtete. Sicher waren die Verteidiger, soweit sie das Feuer der Angreifer noch lebend überstanden hatten, in der Gewalt der Explosionen und in der Hölle der Feuersbrunst umgekommen.
Die englischen Minister spürten eine große Erleichterung, während Oberst Trotter den Gang der Dinge schilderte.
»So weit ganz gut«, unterbrach hier Repington. »Aber warum haben Sie nicht sofort nach der Affäre einen drahtlosen Bericht an das Amt geschickt? Sie hatten unser bestes Modell der kleinen Stationen mit. Warum haben Sie nicht sofort gefunkt?«
»Es ging nicht, Sir! Es ging trotz aller Bemühungen nicht. Der Mann, der mit dem Apparat Bescheid wußte, war gefallen. Die anderen konnten ihn nicht in Betrieb bringen.«
Der Kriegsminister runzelte die Stirn.
»Sehr bedauerlich. Der einzige Funker, den Sie bei Ihrer Truppe hatten, durfte nicht exponiert werden, Herr Oberst. Und dann später … Sie sind mit einem unserer Flugschiffe zurückgekehrt. Warum haben Sie da nicht gefunkt?«
Oberst Trotter zerrte verzweifelt an den spärlichen Resten seines Schnurrbartes.
»Es ging nicht, Sir! Es ging absolut nicht! Der Telegraphist erklärte, daß sein Apparat in Unordnung sei. Aus unerklärlichen Gründen in Unordnung sei und nicht funktioniere. Es war nichts zu machen.«
Lord Maitland blickte den Premier an und dieser den Kriegsminister. Einen Moment flammte ein unbestimmter Verdacht in den Herzen der drei Männer auf.
Oberst Trotter gab seinen schriftlichen Bericht, den er während der Überfahrt verfaßt hatte, in die Hände des Kriegsministers und verließ das Kabinett. Lord Horace schaute ihm nachdenklich nach.
»Wenn ich gewußt hätte, daß man gerade diesen Oberst Trotter mit einer so wichtigen Mission betraute, würde ich es kaum unterlassen haben, meine Bedenken geltend zu machen.«
Sir John Repington bekam einen roten Kopf und nahm seinen Offizier in Schutz. Der alte Zwiespalt zwischen Armee und Marine machte sich bemerkbar. Der Premier legte den Zwist bei.
»Lassen wir die Nebensächlichkeiten. Aus dem eben gehörten Bericht geht mit Sicherheit hervor, daß die Expedition ihren Zweck erreicht hat. Den Zweck, Großbritannien von einem unbekannten und unter Umständen unbequemen Gegner zu befreien. Wir können unsere Beschlüsse jetzt ohne Hemmung von dieser Seite her fassen. Nach den Ereignissen des Vormittags ist die Beschlußfassung nicht länger aufzuschieben. Das Parlament ist in London versammelt. Die Parteiführer sind von mir verständigt. Sie können ihre Leute in zwei Stunden zusammen haben. Auf Wiedersehen in zwei Stunden!«
Sobald ihn seine Kollegen verlassen hatten, gab Lord Gashford den offiziellen Bericht über die Schlacht bei Sydney an die Presse und die Nachrichtenagenturen. Im Augenblick wurde er an tausend Stellen Londons bekannt. Extrablätter in Auflagen von Millionen kamen heraus, wurden den Händlern aus den Händen gerissen und vielmals gelesen, bevor sie auf dem Pflaster unter den Rädern der Wagen und den Füßen der hin und her wogenden Menge ein Ende fanden. Die Unruhe wuchs, die Aufregung stieg, und