»Oslo, den 17. März, abends 6 Uhr 30 Min. Ortszeit. Die aus allen Teilen des Landes gesammelten Resolutionen sind soeben an die europäische Zentralregierung in Bern abgegangen. Norwegen verlangt von Bern nochmals energischen Protest gegen gleichzeitige Sprengung aller Panamaminen.«
»Timbuktu, den 18. März, abends 7 Uhr 30 Min. Die Kaiserliche Regierung hat beschlossen, die Anfahrung des sechsten Kilometers im Kaiser-Augustus-Schacht durch einen feierlichen Akt zu begehen.
Seine Majestät allerhöchst wird selbst geruhen, an der bedeutungsvollen Feier teilzunehmen.«
Als die letzte Nachricht erschien, durchbrauste mächtiger Applaus den ganzen großen Zirkus. Aller Blicke richteten sich auf die Hofloge. Es lebe der Kaiser! Als die spontane Kundgebung verrauscht war, begannen die Reihen sich langsam zu leeren. Die große Pause hatte begonnen und lockte einen erheblichen Teil des Publikums in das Foyer.
Guy Rouse wandte sich an Juanita.
»Ich verlasse dich für einen Moment. Ich habe ein paar dringende Fragen an unseren Botschafter zu richten.«
Als Guy Rouse gegangen war, verließ auch Juanita die Loge und trat in den Rundgang, um sich in das Foyer zu begeben. Da erblickte sie den Kriminalbeamten, der vor Kurzem die Adresse Rouse gegeben hatte. Im Augenblick zog sie einen goldenen Bleistift aus der Tasche, schrieb in aller Eile auf die Rückseite des Programms ein paar Worte und winkte dem Beamten gleichzeitig mit den Augen. Dann drehte sie sich zur Loge zurück und ließ dabei wie unabsichtlich den Fächer fallen. Der Kriminalbeamte verstand im Augenblick, sprang hinzu und überreichte ihr den verlorenen Fächer. Während sie ihn entgegennahm, reichte sie dem Beamten das zusammengefaltete Programm.
»Von Mr. Rouse für Mr. Tredrup.«
Kaum hatte der Beamte sie verlassen, als Rouse zurückkam.
Als er Juanita außerhalb der Loge traf, warf er einen mißtrauischen Blick um sich.
»Wo wolltest du hin, Juanita?«
»Ich wollte ins Foyer. Die Luft hier ist entsetzlich … aber das unverschämte und zudringliche Anstarren da draußen ist mir noch mehr zuwider. Ich möchte nach Hause. Mein Kopf schmerzt.«
»Ich habe soeben von unserem Botschafter erfahren, daß der Kaiser den Zirkus verläßt und mich um 9 Uhr 30 im Schloß erwartet. Wir kehren sofort ins Hotel zurück.«
Sie saßen beim Obermoser und waren nicht mehr beim ersten Glas.
»Wie ist’s, Herr Uhlenkort, wollen wir die Kalebassen noch einmal vollaufen lassen?«
Klaus Tredrup, der alte Wittweidaer Studlker, schwenkte seinen leeren Krug nach dem Büfett hin.
»Meine drei Tage sind bald rum. An dem Teufelsloch am Tschadsee gibt’s solchen Stoff nicht!«
Ohne die Antwort abzuwarten, hob er seinen Krug hoch.
»Noch zwei Volle, Herr Obermoser aus Minka!«
Walter Uhlenkort nickte belustigt.
»Der Stoff ist tadellos. Der könnte sich am Stachus in München sehen lassen. Die verwöhnteste Zunge kann damit zufrieden sein.«
Der dicke Obermoser kam und setzte zwei schäumende Krüge vor die beiden hin.
»Wohl bekomm’s! Dös is eaner a Bier! Dös haben’s net glaubt, dos dös in Timbuktu finden täten, Herr Uhlenkort!«
»Na, wie mundet denn das den Schwarzen, Herr Obermoser?« fragte Uhlenkort. »Ich habe da im Vorbeigehen Ihren schwarzen Stammtisch nebenan bewundert.«
»Ja, Herr Uhlenkort«, schmunzelte der dicke Wirt, »das hätt’ ich selber zu Anfang net geglaubt, daß sich die schwarzen Brüder so an den Stoff gewöhnen würden. Ich hatte nur weiße Gäste erwartet. Aber jetzt habe ich hier einen schwarzen Stamm, der ist auf den Geschmack gekommen. Es sind Leutchen dabei, die ihre zehn Maß hintereinander auslecken, und zwar Exportbier, Herr Uhlenkort … Wollen die Herren die neuesten Nachrichten lesen? … Na, das mit dem Teufelsschacht, das wissen Sie ja schon, Herr Tredrup.«
»Was denn?«
»Na, die große Einweihungsfeier.«
»Nein, davon wissen wir ja noch gar nichts! Her mit den Nachrichten.«
Obermoser lief, so schnell es seine Rundlichkeit erlaubte, in den Nebenraum. Durch die offene Tür hörte man das polternde Treiben am schwarzen Stammtisch.
»Wie im Münchner Brauhauskeller«, lachte Uhlenkort.
Der Wirt kam zurück und legte die letzte Abendausgabe des Zentralafrikanischen Reichs- und Staatsanzeigers auf den Tisch.
»Da unten, da können Sie es lesen«, sagte er. Tredrup überflog das Blatt und las die Notiz, daß Seine Majestät entschlossen wären, selbst zur Einweihungsfeier des sechsten Kilometers des Tschadsee-Schachtes nach Mineapolis zu kommen.
»Donnerwetter noch mal! Das ist ja eine nette Überraschung. Dieser Entschluß muß sehr plötzlich gefaßt worden sein. Unser Oberbonze in Mineapolis wußte noch nichts davon, als ich abfuhr. Da mag es ja da unten munter zugehen. Alle Wetter, da werde ich wohl schon morgen telegrafisch zurückgerufen werden.«
Er setzte seinen Krug an und tat einen gewaltigen Zug.
»Dann ist das hier sicherlich nicht mein letzter Krug heute gewesen.
Jetzt ist Tied, Tredrup … Obermoser, noch einen Herr Obermoser!«
»Halt mal! Herr Uhlenkort, jetzt böte sich auch für Sie vielleicht Gelegenheit, an den Schacht zu kommen. Sicherlich werden die europäischen Diplomaten eingeladen werden. Ich sagte Ihnen vorhin, daß man kaum einen Schwarzen, geschweige denn einen Weißen, der nicht direkt mit den Bauten zu tun hat, in die Baustelle einschmuggeln kann. Es heißt hier wie im alten Europa: Das Betreten der Baustelle ist Unbefugten strengstens verboten. Aber wenn Sie in Begleitung Ihres Botschafters hinkommen, ließe sich die Sache am Ende machen.«
»Der Gedanke ist gut, Herr Tredrup. Ich werde mich morgen früh bei unserem Botschafter melden lassen und hoffe bestimmt, auf diese Weise den Bau zu sehen. Wir sind doch in Europa recht neugierig. Sie wissen ja, daß solche Projekte auch bei uns aufgetaucht sind … besonders als sich die Erdölvorkommen dem riesig angestiegenen Bedarf nicht mehr gewachsen zeigten und man zur Ausbeutung der mächtigen Kohlenlager Spitzbergens überging … Aber alle diese Projekte sind ihrer Sinnlosigkeit wegen immer wieder verworfen worden. Das letzte Mal hatte der amerikanische Ingenieur Grimmaud dafür Propaganda gemacht. In Europa hat er kein Glück gehabt, aber Augustus Salvator ist seiner Beredsamkeit unterlegen … wie es scheint … oder sollte er doch mal wieder schlauer gewesen sein als alle anderen?«
»Wie meinen Sie das, Herr Uhlenkort?« Dabei betrachtete er Uhlenkort mit aufmerksamen Blicken.
Der zuckte die Achseln.
»Nun, ich denke mir, daß der Plan, einen tausend Meter weiten Schacht so tief in die Erde einzubringen, daß man die Erdwärme technisch im größten Stile ausnutzen und viele hunderttausend Pferdestärken … nein, Millionen von Pferdestärken damit gewinnen kann, ein Plan, der von den Fachleuten der ganzen Welt als töricht und unmöglich und nicht lohnend verlacht wird – daß ein solcher Plan kaum geeignet ist, einen Mann wie den Kaiser Augustus, einen genialen, scharfsinnigen, überlegenen Mann, zu veranlassen, Staatsgelder im Betrage vieler Milliarden hineinzustecken, um sich schließlich zum Gespött der Welt zu machen.«
»Hallo, Herr Uhlenkort! Wie kommen Sie darauf? Was meinen Sie?«
Uhlenkort schaute prüfend in das Gesicht seines Gegenübers und lächelte leicht.
»Nun, mein lieber Herr Tredrup, ich denke vielleicht genau dasselbe, was Sie auch denken.«
»Deubel noch mal! Können Sie Gedanken lesen? Woher wissen Sie, ob ich denke und was ich denke?«
»Herr Tredrup, zum Diplomaten sind Sie nicht geboren, die verschiedenen Krüge Pschorr nicht zu vergessen. Ihr Gesicht sagt mir, daß