Klaus Tredrup schien von der Reitkunst dieser Dame nicht über die Maßen begeistert zu sein. Mit einer Bemerkung auf den Lippen wandte er sich an seinen Nachbarn und sah, daß dieser seine Brieftasche auf den Knien entfaltet hatte, daß seine Augen zwischen einer kleinen Fotografie und der Schulreiterin hin- und hergingen. Er unterdrückte, was er sagen wollte, und wartete.
Mit jähem Ruck schob Uhlenkort das Bild in die Brieftasche zurück.
»All right, mir soll es recht sein!«
Gerade als die beiden Hamburger sich von ihren Plätzen erhoben, trat ein anderes weißes Paar in eine schräg gegenüberliegende Loge ein. Ein Herr und eine Dame, beide in großer Abendtoilette.
Der Herr, Ende der Dreißiger, eine hoch gewachsene Gestalt, groß und mager, mit einem schmalen, langen Gesicht. Die dünnen, rotblonden Augenbrauen wölbten sich über hellgrauen Augen. Ein nervöses Blinzeln ließ die Augen sich häufig schließen. Um die schmalen, dünnen Lippen lag ein leises Lächeln.
An den Börsen von New York und Chikago kannte man dieses stete Lächeln, und man fürchtete es. Auch Klaus Tredrup wäre nicht so seelenruhig, wie er es jetzt tat, aus dem Zirkus geschritten, wenn er diese Züge noch erkannt, seinen alten Widersacher und Rivalen Guy Rouse hier gesehen hätte.
Aber Guy Rouse sah den Hamburger, drehte sich blitzschnell um und flüsterte dem Logendiener ein Wort zu. Dann eilte er zu seiner Dame, die, unbeirrt von den vielen Gläsern und Blicken, die sich auf sie richteten, an der Brüstung stand, und half ihr aus dem Abendcape. Das Aufsehen, das sie erregte, war wohl berechtigt. Juanita Alameda war in der Tat eine blendende, eine vollkommene Schönheit. Die tadellose Figur mit höchster Eleganz gekleidet.
Als Guy Rouse sich eben setzen wollte, trat ein schwarzer Gentleman in unauffälliger Kleidung an ihn heran. Ein paar geflüsterte Worte von Seiten des Amerikaners, ein kurzes Nicken des Schwarzen, der sich daraufhin sofort wieder entfernte.
Guy Rouse ließ sich nieder und nahm das Opernglas vor die Augen. Er richtete es auf die Vorgänge in der Manege. Aber hinter den Okularen des Glases wandten sich seine Augen scharf zur Seite zu seiner Nachbarin hin. Die schien interessiert den Jockeikünsten dort unten zu folgen.
»Findest du nicht auch, Juanita, daß der Besuch hier außerordentlich lohnt? Man sieht doch recht Interessantes!«
»Wie meinst du das?«
»Nun! Ist denn nicht der Anblick des Zuschauerraums allein den Besuch wert? Sieh nur die Loge des Kultusministers mit Familie. Die Dame neben dem Minister … der tiefe Rückenausschnitt der hellroten Seidenrobe kontrastiert doch recht eigenartig mit der schwarzen Haut …
Das Girl vor ihr, ihre Tochter, hat wenigstens zwei Töpfe Pomade aufgewandt, um ihr Kraushaar zu dieser Glätte zu zwingen; ihr Schmuck genügt übrigens, um zehn Amerikanerinnen aus der Fünften Avenue reichlich zu versorgen … Der junge Gent an ihrer Seite, dem der weiße Kragen die Ohrläppchen wundscheuert, wird demnächst Legationssekretär in Washington; ist ihr Bräutigam. Du wirst Gelegenheit haben, das junge Paar wieder zu sehen. Übrigens trotz seiner Jugend ein kolossal gewandter Bursche. Er hat drüben bei uns in New Orleans seine Studien absolviert. Beherrscht ein halbes Dutzend Sprachen. Findest du nicht auch, daß …«
»Wie meintest du eben? Sagtest du etwas, Guy?«
Er biß sich auf die Lippen, und ein unbestimmter Ausdruck trat in seine Züge.
»Oh! … Ich sagte dir etwas von dem Spaß, den ich hatte, als ich hier eintrat.«
Jetzt wandte sie sich ganz zu ihm hin und sah ihn forschend an.
»Du amüsierst dich?«
Er nickte.
»Gewiß, ich habe mich gefreut!«
»… gefreut?«
»Aber ja! Es macht doch Freude, wenn man einen alten Bekannten wieder sieht.«
»… einen alten Bekannten?«
»Wozu noch die Fragen? Lassen wir das Spiel. Ich bewundere dich. Ich gratuliere dir zu deiner Selbstbeherrschung. Sie war meisterhaft! Nur wer dich so kennt wie ich … so in deinen Augen lesen kann wie ich, konnte bemerken, daß du ihn auch gesehen hast.«
»Wen meinst du?« kam es schwach, fast tonlos von Juanitas Lippen.
»Well! Unseren gemeinsamen Freund, deinen speziellen Jugendfreund … Mr. Tredrup.«
Juanita zerknitterte nervös das Programm. Minutenlang starrte sie geradeaus.
»Was hast du mit ihm vor?«
»Ich? Mit ihm? Ich glaube, du überschätzt mein Interesse an Mr.
Tredrup.« Er lächelte müde und grausam zugleich. »Ja! … Ich schätze, daß dein Interesse an Tredrup … Du weißt … wie du mich kennst, kenne ich dich auch … Wer war der Mann, der hier vorhin zu dir in die Loge trat?«
»Ein Kriminalbeamter! Das letzte Zusammentreffen mit Mr. Tredrup war, wie du weißt, nicht ganz ohne Gefahr für mich. Gefahren gehe ich, wenn es sich machen läßt, aus dem Wege. Ein nochmaliges Zusammentreffen mit ihm könnte wieder gewisse Gefahren mit sich bringen. Für mich … vielleicht auch für ihn. Wie bleiben noch einige Tage hier. Der Herr von der Polizei wird mir Nachricht geben, wie es um Mister Tredrup hier steht.«
»Guy!« Fast flehend hatte es geklungen.
»Bitte, Juanita!«
»Guy! … Ich bitte dich!«
»Du bittest, Juanita? Um was?«
»Schone ihn! Schone sein Leben!«
Er sah geradeaus an ihr vorbei. Das stete Lächeln um seine Lippen war geschwunden.
»Guy!« kam es nochmals dringend, »schone ihn um der Liebe willen …«
»… die du einst für Mr. Tredrup empfandest und vielleicht heute noch …«
»Guy!«
»Oder meinst du die Liebe … unsere Liebe?«
Das alte, harte und lüsterne Lächeln spielte wieder um seinen Mund.
»Oder meinst du unsere Liebe?«
»Guy! Ich weiß, ich gehöre dir … du verfügst über mich, wie es dir gefällt. Du weißt, wie oft ich dir nützlich war … und noch sein werde.
Du weißt auch, daß das glänzende Leben, das ich an deiner Seite führe, daß das nicht … aber …«
»Aber? Juanita! Du beliebtest soeben ›aber‹ zu sagen?«
»Ja! Aber … es gibt Grenzen! Grenzen, wo mein Herz …«
»Dein Herz? Gehört dein Herz nicht mir, Juanita?«
»Guy, hüte dich!«
»Du scherzest, Juanita!«
In diesem Augenblick kam der Kriminalbeamte wieder zurück, trat zu Guy Reuse in die Loge, übergab ihm einen Zettel mit der gewünschten Adresse und flüsterte ihm einige Worte zu.
Sorgfältig barg Rouse den Zettel in seiner Brieftasche. Dann klatschte er mechanisch Beifall, denn soeben erschienen die Mitglieder der Anaconda-Tauchertruppe wieder über der Wasseroberfläche, nachdem sie allerlei Wasserkunststücke gezeigt hatten.
»Köstlich! Köstlich, diese schwarzen Stielaugen, wie sie die weißen Wasserweiblein beinah verschlingen! Allerdings, wunderbare Körper haben diese Taucherinnen! Na, sie werden hier sicherlich hoch bezahlt werden.«
Die Vorführungen der Tauchergruppe waren beendet. In der nun folgenden Pause flammten neue Nachrichten des Pressedienstes an der Decke auf.
»Panama, den 18. März, abends 6 Uhr 45 Min. Ortszeit. Die Minen von Kilometer 60 bis 70 sind geladen. Die Bohrlöcher der Schlußstrecke von Kilometer 70 bis 73 sind mit Erreichung einer