Vor dreißig Jahren hatten Kongreß und Senat die stark umkämpfte Jeffersonbill durchgebracht, die den Zentralparlamenten der Union das Bestätigungsrecht für die Gouverneursposten der einzelnen Staaten verlieh. Es war ein wichtiger Schritt auf dem Wege vom Föderativ- zum Zentralstaat gewesen. Die Bill gab den Zentralparlamenten das Recht, Wahlen zu beanstanden, gegen die ein wesentliches Staatsinteresse geltend gemacht werden konnte.
Die nächstliegende Frage war die: Würde der schwarze Kandidat Josuah Borden die Stimmenmehrheit erhalten? Das stand auf des Messers Schneide. Die Zahl der weißen und schwarzen Stimmberechtigten des Staates war fast genau gleich. Für beide Parteien mußte es darum gehen, den letzten Mann an die Wahlurne zu bringen. Ein ungewöhnlich scharfer Wahlkampf mußte sich daher mit Sicherheit entwickeln.
Schon jetzt arbeiteten die Parteien mit Hochdruck. Zum erstenmal in der Geschichte der Union war die Losung: Hie weiß, hie schwarz!
Schon an sich wäre das voraussichtliche Ergebnis der Wahl aus den Zahlenverhältnissen der beiden Rassen in Louisiana kaum abzulesen gewesen. Aber es blieb noch die große Menge des Mischblutes aller Grade. Außerdem die Angehörigen der gelben Rasse und ihre Mischlinge. Diese recht bedeutende Menge bildete das Objekt für die Bearbeitung von beiden Seiten. Sie konnte, ja mußte unter den obwaltenden Verhältnissen den Ausschlag geben.
Die Propaganda der Weißen und der Schwarzen arbeitete mit riesenhaften Summen. Seitdem die Kampagne begonnen hatte, war manches half cast noch nicht nüchtern … und immer noch nicht klar darüber geworden, ob es weiß oder schwarz wählen würde. Im Bewußtsein ihrer plötzlichen politischen Wichtigkeit zeigten diese Mischlinge eine lächerliche Anmaßung. Aber die Parteien nahmen alles mit in Kauf. Doch mancher Weiße, der das unverschämte Betragen sah, gedachte wohl des Sprichwortes, daß Gott die Weißen und die Schwarzen, aber der Teufel das Mischblut geschaffen habe.
In New Orleans, der Hauptstadt des Staates, tobte der Kampf am heftigsten. Täglich bewegten sich große Züge der Parteien durch die Hauptstraße. An der Spitze gewöhnlich als Prunkstück und Neuerwerbung ein Trupp Mischlinge. Es gab amüsante Fälle, daß mancher am Vormittag bei der einen und am Nachmittag bei der anderen Partei prätendierte.
Reden und Versammlungen wuchsen allmählich ins Ungemessene. Serien von Rednern auf den öffentlichen Plätzen lösten sich ab.
Die Zeitungen füllten ihre Spalten nur noch mit Wahlnachrichten. Trotzdem die Schwarzen in Josuah Borden einen Mann von untadeliger Gesinnung und Vergangenheit aufgestellt hatten, wurde seine Person von der weißen Presse niederen Ranges in unerhörter Weise durch den Schmutz gezogen. Die besseren weißen Zeitungen begannen bereits mit der Jeffersonbill zu arbeiten. Sie wiesen darauf hin, daß das Zentralparlament niemals die Bestätigung eines schwarzen Gouverneurs aussprechen würde, und suchten auf diese Weise Entmutigung in die Reihen der Gegner zu tragen.
In den Versammlungslokalen waren die Gemüter schon sehr heftig aufeinandergeprallt, und es war dabei nicht nur mit geistigen Waffen gekämpft worden. Auf der Straße hatten sich die Versammlungsdebatten häufig in einer Weise weiterentwickelt, daß die Polizei eingreifen mußte. Dabei waren Verwundete und Tote auf dem Platze geblieben. Vergeblich versuchte man von Washington aus die Leidenschaften zu dämpfen. Sah man doch, wie die öffentliche Meinung in allen Staaten der Union in lebhaftester Weise Partei ergriff.
Im großen Saale der City hall von New Orleans sprach Josuah Borden. Die Versammlung war in erster Linie einberufen, um die noch schwankenden Halfcastwähler zu bearbeiten. Der riesige Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt.
An einer bevorzugten Stelle innerhalb des Komitees saß Collin Cameron. Die glänzende Rede Josuah Bordens, die häufig von lebhaften Beifallsbezeigungen unterbrochen wurde, ging wirkungslos an seinem Ohr vorüber, das durch die vielen Reden dieses Wahlkampfes schon abgestumpft war.
Seine Gedanken weilten in Karakorum. Bevor er, dem Befehl des Regenten folgend, nach den Staaten flog, war er nach der Ruinenstadt gegangen, um da reinen Tisch zu machen. Jenes letzte Zusammentreffen mit Maria Witthusen in Urga hatte ihn derart aus dem Gleichgewicht gebracht, daß er so oder so eine Entscheidung erzwingen wollte. Er sah nur noch zwei Wege. Mit Maria zu leben oder ohne sie zugrunde zu gehen. Er war innerlich bereit, seine ganze Vergangenheit abzuwerfen, an der Seite Marias ein neues Leben zu beginnen. Glückte ihm das … ließ sich Maria dazu bereitfinden, dann wollte er auch dem Journalisten das Leben schenken.
In dieser Stimmung war er nach Karakorum gekommen … und fand einen Kirchhof in der Wüste. Mit gesträubtem Haar sah er das schaurige Bild einer unerklärlichen Katastrophe.
Hartgebrannt die Reste der alten Lehmmauern. Jedes Holz … jeder Baum verascht … jedes Leben erloschen. Hier und da stieß sein Fuß auf den Wegen gegen weißgeglühte Knochen. Auch innerhalb der Mauertrümmer nur verbrannte Knochenreste.
Von seinen Gefangenen keine Spur! Waren sie mitverbrannt? Oder waren sie entkommen, bevor die Katastrophe eintrat?
Katastrophe? … Was war das für ein furchtbares Ereignis gewesen? … Es lebte niemand, der ihm hätte Auskunft geben können. Eine Feuersbrunst von ungeheuerer Gewalt mußte gewütet haben.
Aber was war denn Brennbares da? Das wenige Holz konnte eine derartige Hitze nie entwickeln.
Irgendwie mußte es von außen gekommen sein. Ein Erdbeben mit feurigem Ausbruch? … Nein! … Das hätte die Ruinen umstürzen … andere Spuren hinterlassen müssen.
Wie konnte es sonst geschehen sein? Ein Naturereignis? Kaum denkbar!
Menschenwerk? … Seit dem Anblick jener Ruinen lebte ein Verdacht in ihm. Er konnte ihn nicht begründen und wurde ihn doch nicht wieder los. Der war noch stärker geworden, als Collin Cameron in Frisko von Johnson erfuhr, daß dort sein alter Unterschlupf, die Opiumhöhle, auf eine ganz rätselhafte Weise ein Raub der Flammen geworden sei.
Kaum ein Mensch auf der gelben Seite war so hinter die Geheimnisse Isenbrandts gekommen wie er. Faßte er alles zusammen, so drängte sich ihm immer wieder der Schluß auf: Ein Werk Isenbrandts mußte die Katastrophe gewesen sein.
Er kämpfte dagegen. Er sträubte sich gegen die immer zwingender werdende Erkenntnis. Gut, daß der Wahltag nahe war und damit die Entscheidung. Viel länger hätten seine Nerven diese Spannung nicht ertragen.
Eine Stimme, so schneidend und scharf, wie er sie nur einmal gehört, riß ihn aus seinem Sinnen. Er stützte die Hände auf den Tisch, an dem er saß, und starrte auf die Tribünen. Dann sank er zurück und legte die Hand auf die Augen. Noch einmal ließ er sie fallen und schaute auf.
Es war kein Zweifel. Da stand er, der Journalist Fox, den er tot geglaubt, dem er den Tod gewünscht hatte. Der Freund Isenbrandts. Auf der Rednertribüne stand er und sprach als erster Diskussionsredner gegen Josuah Borden.
Collin Cameron hörte nicht auf die klugen, klingenden Worte, mit denen Wellington Fox jetzt dem Redner des Tages in die Parade fuhr. Er sah nur die verhaßte Gestalt seines Feindes.
Seine Gedanken überstürzten sich. Wie kam Fox hierher? … Wo war Maria? … Wer hatte die Gefangenen befreit und gerettet?
Mit haßverzerrten Mienen starrte er auf die festen, gesunden Züge seines Gegners. In dieser Sekunde wurde sein Verdacht zur Gewißheit.
Er senkte den Kopf, als habe ihn ein schwerer Schlag getroffen. Die Pläne des Regenten … die schwarze Sache … Maria … alles, wofür er gekämpft hatte, schien ihm bedroht … verloren.
Dann straffte er sich. Eine maßlose Wut tobte in ihm. Mit einem kurzen Augenblinken rief er den Führer des schwarzen Schutztrupps zu sich. Ein paar leise geflüsterte Worte.
Ihre Wirkung zeigte sich bald. Bei der nächsten scharfen Wendung, die Wellington Fox gebrauchte, brach der Gegensturm los. Johlende und schreiende Protestrufe erschollen von allen Seiten. Eine Masse Schwarzer ballte sich plötzlich um die Rednertribüne zusammen. Es war klar: Man wollte den Redner