»So müssen sie dazu gebracht werden!«
Collin Cameron erschrak bis ins Innerste. An eine solche Wendung der Dinge hatte er nicht gedacht, als er die Angelegenheit dem Regenten vortrug. Mit Grauen und Entsetzen dachte er an die Mittel der chinesischen Rechtspflege.
Maria in den Händen der gelben Folterknechte. Sein Blut erstarrte.
»Wollen Eure Hoheit mir das übertragen?«
»Ja … Sie wissen am besten, was zu fragen ist … jedenfalls, die Gefangenen werden Karakorum nie wieder verlassen!«
Der Streik im Minengebiet des algerischen Atlas kam überraschend. Man hatte nicht erwartet, daß die Erhöhung der Schichten um eine Stunde täglich bei der schwarzen Bevölkerung auf solchen Widerstand stoßen würde. Zwar hatten sich die schwarzen Arbeiter bereit erklärt, die eine Stunde mehr zu verfahren, aber nur gegen doppelten Lohn. Damit hatten sich die Unternehmer nicht einverstanden erklären können.
Die Arbeitsniederlegung war die Antwort der schwarzen Bergleute. Die Belegung des Reviers mit Militär hatte daran nichts ändern können.
Die Unternehmer befanden sich in einer Zwangslage. Statt, wie die Regierung verlangte, erhöhte Förderung zu liefern, standen die Schächte schon seit einer Woche still. Die französische Regierung drängte zu einer Entscheidung. Sie war mit Rücksicht auf die verwickelte Lage in Asien verpflichtet, dem europäischen Staatenbund beträchtliche Mengen afrikanischer Erze zu liefern. Dabei war der Preis so festgesetzt, daß die Unternehmer bei dem verlangten doppelten Lohn ohne Gewinn arbeiten mußten.
Die hatten gehofft, der Widerstand der Arbeiter würde bald in sich selbst zusammenbrechen. Aber zweifellos waren fremde Emissäre unbekannter Herkunft am Werk, die jedes Nachgeben der Arbeiterschaft verhinderten.
Jetzt war es so weit gekommen, daß sogar die Verrichtung der Notstandsarbeiten verhindert wurde. Die Unternehmer sahen darin einen begründeten Anlaß, ein scharfes Vorgehen des Militärs zu verlangen. Wohl oder übel hatte die Regierung diesem Verlangen nachgeben müssen.
Auf dem Jaurèsschacht kam es zum ersten Zusammenstoß.
Der Hauptmann Méchin von den Marokkoschützen ließ seinen Zug anlegen.
Noch einmal eine Aufforderung an die schwarzen Grubenarbeiter, auseinanderzugehen … den Platz zu räumen. Die dachten gar nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten. Sie fühlten sich in ihrem guten Recht und wollten der Forderung der weißen Direktoren nicht nachkommen … Das war ein ganz regulärer und reeller Lohnkampf, wie es deren viele Tausende im Laufe der letzten hundert Jahre gegeben hatte.
»Gerechtigkeit! … Arbeit! … Brot! … Keine Ausnutzung!« schallte es der Truppe aus dem Haufen entgegen.
»Feuer!«
Scharf und abgehackt fiel das Kommando von den Lippen des Hauptmannes.
Kein Finger krümmte sich, kein Schuß krachte. Die Eingeborenentruppe stand, als ob das Kommando nicht ihr gegolten hätte.
Der Hauptmann stürzte nach vorn … die gespannte Schußwaffe in der Hand, entschlossen, die ersten Meuterer niederzuschießen. Da sah er die Gesichter der schwarzen Soldaten, sah in die Augen der beiden weißen Offiziere und begriff, daß seine Macht hier zu Ende sei.
Von seiner Truppe verlassen … als Offizier entehrt … mit seiner Karriere fertig …
Ein kurzer Augenblick … dann richtete er die Schußwaffe gegen sich selber. Ein Knall. Sterbend sank er nieder. Nur die beiden weißen Offiziere eilten zu ihm, bemühten sich um den Verscheidenden.
Aber der kurze scharfe Knall wirkte auch weiter. Auf die Truppe, die jetzt zu begreifen begann, daß das Blut, das dort in den Sand rann, viel anderes Blut fordern würde. Auf die streikenden Grubenarbeiter, unter denen unverkennbar Emissäre tätig waren.
Schon sprang einer von denen auf eine umgestürzte Tonne und hielt eine donnernde Ansprache. Zum Teil an die Arbeiter … mehr noch an die Soldaten gerichtet.
»Bravo! … Bravo! … Der weiße Sultan wollte Hunderte von euch ermorden … Eure schwarzen Brüder sind ihm nicht gefolgt … zu uns gehören sie … in unsere Reihen …«
Fahnen wurden geschwungen. Neues Geschrei erscholl aus dem Haufen. Viele hundert Arme streckten sich den Soldaten entgegen.
Im Augenblick kam es zur Verbrüderung. Die einzelnen Soldaten wurden umarmt, auf die Schultern gehoben. Hilfreiche Hände nahmen ihnen die schweren Gewehre, die lästigen Patronentaschen ab, und im Nu waren die Waffen in der Arbeitermenge spurlos verschwunden … in die Hände ganz anderer Leute übergegangen.
Ein schwarzer Korporal schwang sich im Augenblick zum Befehlshaber der führerlosen Truppe auf. In einer kurzen Ansprache wies er die Schützen darauf hin, daß ihr Blut nicht den weißen Ausbeutern und deren selbstsüchtigen Zwecken, sondern den schwarzen Brüdern gehöre.
Die klirrenden Fensterscheiben des Verwaltungsgebäudes lenkten die Aufmerksamkeit der Menge von seinen Worten ab. Durch die Fensterhöhle konnte man schon einzelne Arbeiter beim Plündern beobachten.
Unwiderstehlich reizte der Anblick den ganzen Haufen. Ein paar große Schnapsfässer, aus den Kantinenräumen auf den Hof gerollt, taten das übrige.
Eine halbe Stunde später ergoß sich ein johlender und brüllender Haufen von Arbeitern, gemischt mit Soldaten, in das kleine Bergstädtchen. Im Nu waren hier die sämtlichen Läden, soweit sie nicht Schwarzen gehörten, ausgeraubt.
Die Kunde von den Vorgängen auf dem Zechenhofe war bereits vor der Ankunft des Haufens in die Stadt gelangt. Der Major des Schützenbataillons, das auf der Höhe vor der Stadt lagerte, hatte versucht, den Meuterern zwei andere Kompagnien entgegenzuschicken, doch war, wie von unsichtbaren Händen ausgestreut, die Saat des Aufruhrs auch schon unter diesen Truppen aufgegangen. Um es nicht zum Schlimmsten kommen zu lassen, gab der Major den Befehl, zur Garnison zurückzumarschieren.
Er selbst hatte sich an die Spitze des Bataillons gestellt. Er gab das Kommando zum Abmarsch, doch niemand folgte. Ein paar Offiziere, die mit gezogener Waffe die Leute zu zwingen versuchten, wurden selbst niedergeschlagen, sobald sie die Waffe gebrauchten. Andere weiße Offiziere, die ihren Kameraden zu Hilfe kommen wollten, erlitten sofort das gleiche Schicksal.
In diesem Augenblick zog der betrunkene Haufe von der Zeche her in die Stadt ein. Wie sich zwei Ölflecke auf einer Wasserfläche berühren und im Moment eins sind, so fluteten die beiden Massen zusammen. Unter ihren Füßen die zertretenen Leichen der weißen Offiziere.
Drei Tage waren die europäischen Zeitungen mit aufregenden Nachrichten aus dem nordafrikanischen Minengebiet gefüllt. Am vierten Tage meldete der offizielle Telegraph, daß es mit Hilfe weißer Truppen gelungen sei, der Lage Herr zu werden. Schon am ersten Tage hatte die französische Regierung mit Hilfe aller verfügbaren Flugschiffe die nötige Truppenmacht über das Meer geworfen. Mit rücksichtsloser Energie hatte man die Aufstandsbewegung niedergeschlagen und den Streik beendet.
Doch kaum hatten sich die Gemüter beruhigt, als neue Hiobsposten aus Afrika kamen … diesmal aus dem Sambesigebiet.
Hier war um die nach Millionen von Pferdestärken zählenden Wasserkräfte der großen Sambesifälle herum seit einem halben Jahrhundert eine gewaltige Industrie entstanden. Mit Hilfe der in unerschöpflicher Menge zur Verfügung stehenden elektrischen Energie wurden die reichen Bodenschätze, die Erze und Edelerden hier an Ort und Stelle durch europäische Syndikate verarbeitet.
Hier war eine der Hauptquellen, aus denen die Wirtschaft des alten Europa neue Kräfte schöpfte. Hier, wo das tropische Klima die Zahl der weißen Bevölkerung von vornherein niedrig hielt, bildeten die Schwarzen naturnotwendig den Hauptträger der industriellen Leitung. Ohne sie wäre die Ausbeutung der Minen, die Verarbeitung der geförderten Schätze trotz aller technischen Fortschritte unmöglich gewesen.
In diesem Gebiet war es bisher nie zu Ausständen gekommen. Das Niveau der dortigen schwarzen Arbeiterschaft war bedeutend niedriger als das der nordafrikanischen. Sie war gewohnt,