Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027209569
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Rechtsstreit ward in diesen drei Jahren anders als nach der Laune dieses Menschen geschlichtet; kein Gegenstand war durch Erbschaft von Vater und Großvater so sicher im Besitze seines Eigentümers, daß es der Machtspruch dieses Despoten ihm nicht aberkannt hätte. Da wurden unzählige Summen den Landwirten mittels eines eigens erfundenen, raffiniert niederträchtigen Systemes abgepreßt; da wurden Bundesgenossen von erprobter Treue plötzlich für Staatsfeinde erklärt, römische Bürger hingemordet und wie meuterische Sklaven ans Kreuz geschlagen, gefährliche Verbrecher dagegen gerichtlich freigesprochen, weil sie das Geld dazu hatten, und wiederum Personen von untadelhaftem Wandel und Charakter plötzlich vor Gericht gezogen, während sie auf Reisen waren, dann sofort ohne Verhör verurteilt und ins Elend verstoßen. Da wurden große geschützte Seestädte mit stark befestigten Hafenanlagen den Piratenhorden zugänglich gemacht, die Matrosen und Soldaten der sicilianischen, uns also verbündeten Flotte dem Hungertode preisgegeben, stattliche und wertvolle Geschwader zur tiefsten Schmach des römischen Volkes durch einen erbärmlichen Feind vernichtet. (14) Zugleich fiel dieser Landvogt über die antiken Denkmäler her, die teils von reichen und freigebigen Monarchen zur Zierde der Städte errichtet, teils von unseren siegreichen Heerführern in die Gemeinden Siciliens gestiftet oder zurückgebracht worden waren: er raubte oder plünderte sie alle. Dabei begnügt er sich nicht mit Statuen oder sonstigen Zierraten der öffentlichen Plätze, sondern gegen die geweihten Stätten heiligsten Gottesdienstes erhob er seine ruchlose Hand, und kein Götterbild, das ihm irgendwie den Eindruck von besonders alter oder kunstreicher Arbeit hervorrief, ließ er den armen Sicilianern zurück. – Vollends seine Unzucht, seine viehische Wollust, der er alle Zügel schießen ließ – diese Ausschweifungen, an die ich nur mit Schauder denken kann, sie zu erzählen verhindert mich mein Schamgefühl; auch will ich nicht durch neue Erinnerungen den Schmerz jener Unglücklichen auffrischen, die ihre Frauen und Kinder vor der Sinnengier dieses Menschen nicht zu schützen vermochten.

      (15) Soll er all diese Verbrechen etwa im stillen begangen und wenigstens den Skandal vermieden haben? – Ach nein; ich glaube, kein Mensch, der auch nur den Namen Verres je vernommen hat, wüßte nicht auch über seine Nichtswürdigkeiten zu berichten. Ja ich muß eher befürchten den Verdacht zu erregen, daß ich zahlreiche Klagepunkte auslasse, geschweige denn, daß ich mir irgend einen erdichte. Die ganze hier versammelte Menschenmenge, die mich hören will, denkt ja auch offenbar nicht, unbekannte Vorgänge von mir zu erfahren, sondern bekannte mit mir durchzugehen.

      VI. Unter diesen Umständen versucht das thörichte Subjekt mich auf andere Weise zu bekämpfen. Ihm liegt nichts daran, mir die Beredsamkeit eines Sachwalters entgegenzustellen; nicht auf persönliche Beliebtheit, noch auf einflußreiche oder mächtige Verbindungen stützt er sich. Er thut so, als setzt' er sein Vertrauen auf solche Elemente; aber ich durchschaue die Wahrheit (und er ist nicht sehr schwer zu durchschauen). Er hält mir einige leere adlige Namen, d. h. die Namen einiger arroganten Menschen vor, die mich nicht durch ihren Adel stören, sondern durch ihren Ruf unterstützen. Er thut so, als verließ er sich auf diese Beschützer, und inzwischen brütet er schon lange über einem ganz anderen Plan. (16) Dieses sein Vorhaben und die Aussichten, auf die er es gründet, möcht ich euch jetzt in Kürze auseinandersetzen. Dazu höret euch aber zunächst gefälligst an, wie er sich die Sache von Anfang an eingerichtet hat.

      Sobald er aus seiner Provinz zurückgekehrt war, ließ er eine gewaltige Summe Geldes springen, um den Gerichtshof zu bestechen. Der so geschaffene Zustand mit all seinen Voraussetzungen und mutmaßlichen Folgen blieb in voller Gültigkeit bestehen, bis es zur Verwerfung der Richter kam. Nachdem diese erfolgt war – bei der Auslosung siegte Roms Glück über Verres' Hoffnungen, wie bei der Verwerfung der Richter meine Sorgfalt über die Unverschämtheit der Gegner – da wurde der ganze Kontrakt aufgekündigt. (17) Es war eine herrliche Geschichte. Verzeichnisse eurer Namen und des ganzen Gerichtshofes waren in aller Händen. Kein Merkzeichen, so schien es, keine Farbe und kein Fleckchen konnte den Urteilssprüchen ausgeschmiert werden: die muntere Fröhlichkeit des Verres verwandelte sich in tiefe Melancholie, so daß er nicht nur in den Augen der römischen Gesellschaft, sondern auch in seinen eigenen bereits verurteilt schien. Da plötzlich, nach Verlauf weniger Tage, in denen die Konsularwahlen stattfanden, wird mit Hilfe einer noch bedeutenderen Summe als früher der Versuch gemacht, jenes erste Richterkollegium wieder einzusetzen; dieselben Menschen schicken sich zu denselben Kabalen gegen eure moralische Existenz und gegen allgemein geordnete Verhältnisse von neuem an. Das merkten wir zuerst an ganz winzigen, delikaten Anzeichen; sobald aber einmal dem Verdachte Raum gegeben war, gingen wir weiter und gelangten bald mit untrüglicher Sicherheit zu all ihren geheimsten Machinationen.

      VII. (18) Als nämlich Hortensius zum Konsul gewählt war, begleitete ihn eine ungeheure Menschenmasse in geschlossenem Zuge vom Wahlplatze nach Hause; da begegnete ihnen zufällig Gaius Curio – den ich hier übrigens nicht um der Schande, sondern um der Ehre halber genannt haben möchte. Ich will nämlich aussprechen, was der Mann, wenn er nicht erwähnt sein wollte, selber geäußert hätte, zwar nicht vor einer so großen Versammlung, doch immerhin nicht weniger offen und unverhohlen. Indessen will ich mich dabei mit aller möglichen Vorsicht ausdrücken, damit man die Rücksicht merke, die ich unserer Freundschaft wie seiner Persönlichkeit angedeihen lasse. (19) Sie waren gerade beim Fabiusbogen 37 angelangt, da sieht er unter der Masse den Verres. Er ruft ihn an und wünscht ihm mit weithin schallender Stimme Glück zu seinem Siege; den Hortensius selbst, also den eben gewählten künftigen Konsul und die ganze Schar seiner natürlich ebenfalls anwesenden Verwandten und Hausfreunde würdigt er keines Wortes, dagegen den Verres nimmt er beiseite, umarmt ihn und redet ihm zu, jetzt ohne Sorgen zu sein. »Ich verkünd es dir,« so spricht er, »durch die heutigen Wahlen bist du freigesprochen.« – Diese Worte wurden auch von vielen hochanständigen Leuten vernommen und mir daher sofort hinterbracht; ja, man kann sagen, wer mich sah, erzählte mir den Vorgang. Einige fanden es unwürdig, andere lächerlich; lächerlich diejenigen, welche die Chancen des Verres auf zuverlässige Zeugen, auf die Motivierung seiner Handlungsweise, auf die Bedeutung der Richter, nicht aber auf die Konsularwahlen basiert glaubten; dagegen unwürdig fanden es die tiefer blickenden, die sich sagten, daß jene Glückwünsche auf eine bevorstehende Bestechung des Gerichtshofes hindeuteten. (20) Denn so dachten diese ehrenfesten Personen (und es blieb nicht bloß beim Denken, sondern so sprachen sie sich untereinander und mir gegenüber aus): »Allmählich ist es so weit gekommen, daß man sagen kann, wirkliche Gerichtshöfe giebt es gar nicht mehr. Ein Mensch, der sich noch gestern selber als verurteilt ausgab, weiß sich heute freigesprochen, weil sein Verteidiger zum Konsul gewählt worden ist!«

      So? Und wenn ganz Sicilien, alle Sicilianer, alle Großindustriellen, alle Privat- und Gemeindeakten jetzt in Rom sind, soll das gar nichts zu bedeuten haben? – »Nein, nichts, wenn es der designierte Konsul nicht will.« – Aber sollen denn die Anklagen, die Belastungszeugnisse, die öffentliche Meinung Roms von den Richtern gar nicht berücksichtigt werden? – »Nein. Alles hängt von dem Belieben eines einzigen maßgebenden Mannes ab.« – VIII. Aufrichtig gesprochen, meine Herren, die Sache ging mir gewaltig zu Herzen. Die ersten Männer Roms erklärten mir: »Dein Fang wird dir entrissen, aber wir behalten die Gerichte nicht länger. Denn wenn ein Verres erst freigesprochen ist, wer kann da die Übertragung der Gerichtsbarkeit ablehnen?« – Es war schlimm für alle; und worüber man sich aufregte, das war nicht eigentlich die plötzliche Freude des verkommenen Gesellen, sondern der frische Glückwunsch einer so hochstehenden Persönlichkeit. Ich bemühte mich, meinen Ärger darüber nicht merken zu lassen; ich nahm mir vor, meinen Seelenschmerz hinter heiteren Mienen zu verbergen und durch tiefe Schweigsamkeit zu verheimlichen. Da wird mir – es war gerade in jenen Tagen, wo die neuen Prätoren ausgelost wurden und Marcus Metellus mit der Prätur die Aufgabe erhielt, den Prozeß wegen der Erpressungen einzuleiten – da also wird mir gemeldet, Verres sei dermaßen mit Glückwünschen überschüttet worden, daß er eigens Boten nach Hause schickte, um seine Frau davon zu benachrichtigen. (22) Ich muß gestehen, auch das that mir leid; aber warum ich über das Wahlresultat so furchtbar hätt' erschrecken sollen, das vermocht ich nicht einzusehen. Nur folgendes meldeten mir zuverlässige Personen, mit deren Hilfe ich alles in Erfahrung brachte. Eine Anzahl Kassen mit sicilianischem Gelde waren von einem gewissen Mitglieds des Senates ins Haus eines römischen Ritters geschafft worden; von diesen Kassen wurden zehn Stück dem Senatsmitgliede wieder zugestellt, mit der Bestimmung