(49) Nun überlege man sich, wie sich diese Ankläger gegenüber der Bedeutung des Prozesses ausnehmen werden, wenn ein Alienus seine Leistungen noch unter das Maß seiner Fähigkeiten reduziert und Caecilius sich erst dann sicher fühlt, wenn Alienus sich einschränkt und ihm die erste Rolle überläßt. Wer der vierte im Bunde sein soll, kann man sich gar nicht vorstellen; höchstens vielleicht irgend ein Subjekt aus der Masse der Lückenbüßer, die sich bei jedem Kläger zur Unterschrift drängen. (50) Es sind Menschen, die mit dir und der Sache nichts zu thun haben; aber mit ihnen mußt du dich in Verbindung setzen, um einen von ihnen an deiner Seite aufzunehmen; so steht's um deinen Anhang. Natürlich thue ich ihnen nicht die Ehre an, auf ihre Aussagen Punkt für Punkt und mit besonderer Rücksicht auf jeden einzelnen zu antworten; da ich sie jetzt einmal zufällig, ganz ohne jede Absicht, erwähnt habe, will ich sie im Vorübergehen alle miteinander abfertigen. XVI. Meint ihr, ich hätte so wenig Freunde, daß ich mir Unterschriften nicht von Leuten meines Standes, sondern aus den niederen Bevölkerungsklassen holen müßte? Und ihr – findet ihr so wenig Straßenräuber und Taschendiebe, daß ihr mir einen Prozeß wegschnappen möchtet, anstatt euch bei Maenius' Schandsäule 22 Prozeßkandidaten eures Standes zu suchen? (51) Nun rief einer: »Laßt mich bei Cicero unterzeichnen, damit ich ihn beaufsichtigen kann!« – Allerdings braucht ich eine Menge Aufseher, wenn ich dich einmal in mein Bureau lassen sollte; denn du wärest imstande, nicht bloß etwas auszuplaudern, sondern sogar etwas zu entführen. Aber gegenüber der zudringlichen »Aufsicht« durch diese Herren erklär ich einfach: Der Gerichtshof wird nicht zulassen, daß bei diesem außerordentlichen, auf meinen besonderen Wunsch mir anvertrauten Prozeß irgend jemand mir zum Trotz meine Klage unterzeichnen dürfe. Einen Aufpasser brauch ich nicht, dazu bin ich zu ehrlich; und einen Spion fürcht ich nicht, dazu bin ich zu wachsam.
(52) Doch kommen wir auf dich zurück, Caecilius. Was dir fehlt, siehst du nun wohl ein; du merkst aber auch, wie erwünscht es dem Schuldigen käme, von dir verklagt zu werden. Was läßt sich hiergegen einwenden? – Wohl gemerkt, ich frage nicht, was du einwenden magst; denn ich sehe, daß an deiner Stelle das Manuskript deines Beraters antworten würde; sein bester Rat für dich wäre freilich, nach Hause zu gehen und mir überhaupt nicht zu antworten. Denn was wolltest du auch sagen? Immer wieder, daß Verres dich geschädigt hat? Das glaub ich wohl, denn da er sich an ganz Sicilien vergriffen, war es unwahrscheinlich, daß er zu deinen Gunsten allein eine Ausnahme gemacht hätte. (53) Nun haben die übrigen Sicilianer einen Rächer gefunden; du dagegen bist unfähig dir selbst zum Rechte zu verhelfen und willst deshalb auch andere ungerecht leiden sehen; überdies vergißt du, daß man bei einem Rächer nicht bloß nach der Verpflichtung, sondern auch nach der Fähigkeit, erfolgreich einzugreifen, fragt: wer dazu verpflichtet und fähig ist, hat den Vorrang; wer nur das eine oder das andere für sich anzuführen vermag, der wird nicht nach seinem Wollen, sondern nach seinem Können beurteilt. (54) Meinst du nun etwa, daß der den Verres anklagen soll, der von ihm am meisten ausgestanden hat, so frag ich den Gerichtshof: Was ist wohl schlimmer, eine persönliche Beleidigung des Quintus Caecilius oder der qualvolle Ruin der Provinz Sicilien? 23 Ich denke, die Antwort kann niemand zweifelhaft sein – dir auch nicht. Also gestatte, daß man dir die Provinz vorzieht; denn sie ist es, die Klage erhebt, wenn der von ihr erwählte, ausdrücklich zum Schutz ihrer Interessen berufene Anwalt den Prozeß in die Hand nimmt.
XVII. (55) Du wendest mir vielleicht ein, Verres habe dir einmal in einer Weise geschadet, die auch andere betraf und infolge dessen wirken müsse. Durchaus nicht. Es gehört ja wohl zur Sache, auch jenen Vorgang und damit den angeblichen Grund eures Zerwürfnisses kennen zu lernen; gut, so vernehmet die Geschichte von mir – denn er wird sich wohl hüten sie zu erzählen, wenn er sich nicht ganz lächerlich machen will.
In Lilybaion wohnte eine gewisse Agonis, ehemals Tempelsklavin der Aphrodite auf dem Berg Eryx, 24 dann freigelassen. Diese Frau lebte vor der Amtsperiode des Caecilius in sehr guten, ja glänzenden Verhältnissen. Eines Tages erscheint in ihrem Hause ein Schiffskapitän vom Geschwader des Antonius 25 26 und versucht ihr sechs musikalische Sklaven wegzunehmen, angeblich zur dienstlichen Verwendung auf der Flotte. Die Frau protestiert im Namen der Göttin – wie sich in Sicilien alles Gesinde dieser Göttin auch nach erfolgter Auslösung auf sie zu berufen pflegt – und erklärt dem Kapitän unter Anrufung seines Gewissens, sie und ihr Eigentum gehöre der Aphrodite.
(56) Sobald der edle Finanzrat Caecilius davon hört, läßt er als gerechter Staatsbeamter die Agonis kommen und spricht ohne weiteres sein Urteil: »Wenn sie sich und ihr Eigentum tatsächlich als Besitz der Göttin erklärt hat, so ist danach zu verfahren.« Die zu diesem Zweck einberufenen Obmänner fällen den nötigen Richterspruch; denn gesagt hatte sie's, das stand fest. Caecilius übernimmt den Grundbesitz der Frau, erklärt sie selber wieder als Sklavin der Aphrodite; dann verkauft er den Grundbesitz und zieht das Geld dafür ein. Die Frau hatte also durch ihre Berufung auf die Aphrodite ein paar Sklaven retten wollen, und statt dessen ihr ganzes Vermögen nebst ihrer persönlichen Freiheit durch Caecilius' Unfug verloren. Darauf kommt Verres nach Lilybaion; er erfährt den Vorgang, desavouiert seinen Vertreter und läßt ihn das aus dem Verkauf jener Grundstücke gewonnene Geld wieder vollständig an die Agonis auszahlen. – (57) Ich sehe euer Erstaunen: das ist ja kein Verres mehr, das ist ja ein reiner Mucius Scaevola! 27 Wie gewandt hat er sich benommen, wie geschickt im Interesse seines Rufes, wie rührend gut gegen die arme mißhandelte Frau, wie streng gegen den wilden Finanzrat! Dafür giebt's nur ein Wort der lebhaftesten Anerkennung. Aber siehe da: Plötzlich, wie durch einen Zaubertrank der Kirke, wird aus dem Menschen ein Eber; 28 Verres wird wieder er selbst. Sein Charakter bricht durch: das Geld fließt zum größten Teil in seine Taschen, die Frau bekommt nur eine Kleinigkeit zurück.
XVIII. (58) Willst du nun dieses Benehmen des Verres dir gegenüber als eine persönliche Kränkung bezeichnen, so geb ich's dir gerne zu; aber ist es auch eine Verletzung deines Rechtes? Nimmermehr. Schließlich müßte ja über eine dir zugefügte Rechtsverletzung niemand strenger urteilen als du, der Verletzte selbst. Du hast dich aber später mit Verres versöhnt, hast in seinem Hause verkehrt, ihn zum Abendessen eingeladen, folglich bist du entweder ein Verräter oder ein Klopffechter! Ein falscher Freund oder ein falscher Feind! Was ziehst du vor? Eines von beiden ergiebt sich notwendig, und über die Wahl will ich weiter nicht mit dir streiten.
(59) Wenn nun die angebliche Verletzung wegfällt, wie kannst du da noch beanspruchen, irgend jemand, wer es auch sei – von mir red ich gar nicht – vorgezogen zu werden? Vielleicht weil du ein Amt in Sicilien bekleidetest; denn darauf willst du dich natürlich berufen. Diese Thatsache wäre von großer Bedeutung, wenn wir darum stritten, wer mit Verres intimer befreundet ist; wir streiten aber nicht um den Grad der Freundschaft, sondern um den der Feindschaft, und da ist es lächerlich, eine enge Verbindung als Beweismittel verwerten zu wollen. (60) Denn hättest du von Verres auch Kränkungen in Masse erfahren, du würdest mehr Ehre damit einlegen sie hinzunehmen, als dich dafür zu rächen; nun hat er sich aber in seinem ganzen Leben nie wieder so korrekt benommen wie bei dieser sogenannten Verletzung, und darauf hin soll dich der Gerichtshof als berechtigt ansehen, das feste Band, das jeden Minister mit seinem Kabinettchef verknüpft, zu zerreißen? Nie giebt ein Gerichtshof das zu, erwarte für dich keine Ausnahme. Selbst wenn dir die schlimmste Behandlung zu teil geworden wäre, könntest du, als sein gewesener Quästor, nicht ganz ohne öffentliches Mißfallen sein Ankläger werden; wenn aber gar keine Verletzung vorliegt, ist die Anklage geradezu ein Verbrechen. Steht es nun um die Verletzung zweifelhaft, so wird jeder Richter, das siehst du doch wohl selbst