Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027209569
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auf uns herab: unsere Schmach lastet dauernd und schwer. (44) Dies und nichts anderes ist ja auch der Grund, warum unsere Nation die Wiedereinsetzung der Volkstribunen in ihre alte Macht mit so stürmischem Eifer verlangte: was sie forderte, war angeblich wohl die Tribunengewalt, in Wahrheit aber die Gerichtsbarkeit. Das ist einem so einsichtigen und edlen Manne wie Quintus Catulus 46 47 nicht entgangen; als das Gesetz, betreffend die Wiederherstellung der Tribunengewalt, auf der Tagesordnung stand – kein Geringerer als Gnaeus Pompeius hatt' es eingebracht – da begann Catulus, auf die Frage nach seinem Standpunkte, seine Antwort mit den gewaltig imponierenden Sätzen: »Die im Senate versammelten Väter Roms pflegen das Recht gar mangelhaft und schmählich; hätten sie Urteile sprechen wollen, die den gerechten Forderungen des römischen Volkes genügten, so hätte die Menschheit nicht so dringenden Wunsch nach voller Wiederherstellung der Volkstribunengewalt geäußert.«

      (45) Als Gnaeus Pompeius selbst, eben zum Konsul erwählt, seine erste Ansprache ans Volk hielt und der allgemeinen Erwartung entgegen kommend sein Programm der Wiedereinsetzung der Tribunen in ihre volle alte Macht ankündigte, da brach ein lärmender Beifall der versammelten Menge los. Wie er aber in derselben Versammlung die Worte aussprach: »die Provinzen sind verwüstet und ausgesogen, das Treiben der Gerichtshöfe ist Schimpf und Schande; diesen Mißständen werden wir definitiv abhelfen,« da war es schon kein Lärm mehr, sondern in tosendem Geschrei gab das römische Volk seinen Willen zu erkennen. XVI. (46) Jetzt wird überall fleißig Umschau gehalten; man paßt auf, wie sich jeder einzelne von euch mit der Pflicht gegen das eigene Gewissen und gegen des Staates Gesetz abfindet. Man beobachtet, daß seit der Abschaffung der Tribunengewalt nur ein einziger Senator, und zwar ein außergewöhnlich finanzschwacher, verurteilt worden ist. Hierüber äußert man zwar keinen Tadel, aber besondere Ursache zum Loben findet man auch nicht; es ist nämlich weiter kein großes Lob, da unbescholten zu bleiben, wo niemand eine Bestechung versucht oder versuchen kann.

      (47) So ist es um die Grundlage dieses Prozesses bestellt, in welchem ihr über den Angeklagten und die Nation über euch das Urteil sprechen soll. An dem Falle dieses Menschen hier soll festgestellt werden, ob ein unendlich schwerer, aber unendlich reicher Verbrecher unter senatorischer Rechtspflege verurteilt werden kann. Der Angeklagte ist ein Mensch, über den es sonst nichts zu sagen giebt; nichts ist an ihm dran als eben seine grenzenlosen Verbrechen und sein grenzenloses Geld. Wird er also freigesprochen, so ist die notwendige Folge, daß nur der allerschimpflichste Verdacht auf euch sitzen bleibt: man wird nicht etwa persönliche Beliebtheit, oder verwandtschaftliche Beziehungen, oder frühere Verdienste, oder auch die Geringfügigkeit seiner Fehler – nein, nichts derart wird man für die Ursachen dafür ansehen, daß er von so übermäßiger Schuld entlastet wurde. (48) Endlich werde ich, meine Herren, die Klage derartig führen, werde dermaßen beschaffene, bekannte, bezeugte, bedeutende, zwingende Thatsachen zur Sprache bringen, daß niemand auch nur den Versuch machen wird, euch die Freisprechung des Angeklagten als persönlichen Gnadenbeweis abzudrängen. Ich habe meine bestimmten Mittel und Wege, um allen solchen Versuchen mit Sicherheit auf die Spur und beizukommen; ich werde in der Weise gegen sie vorgehen, daß man den Eindruck empfängt, nicht allein die Ohren Vieler, sondern die Augen des ganzen Volkes seien auf sie gerichtet und seien bei allen geheimen Beratungen gegenwärtig.

      (49) Ihr, zu denen ich jetzt spreche, könnt den Schandfleck von der Ehre eures Standes abwaschen, könnt diesen Stand auf Jahre hinaus wieder retten. Es ist in allen Gesellschaftskreisen bekannt, daß seit dem Bestehen unserer jetzt gültigen Rechtsverfassung kein Gerichtshof von solcher Würde und so stattlichen Elementen zusammengetreten ist, wie der hier anwesende. Wenn selbst dieser hohe Rat durch seinen Urteilsspruch ein öffentliches Ärgernis erregt, so werden alle Menschen nicht etwa nach anderen, geeigneteren Persönlichkeiten aus demselben Stande – denn solche giebt es eben nicht – sondern überhaupt nach Leuten aus einem anderen Stande für das Gerichtswesen verlangen. XVII. (50) Und so richt' ich denn zuerst mein Gebet an die unsterblichen Götter: mögen sie meine Hoffnung erfüllen, daß sich in diesem Gerichtshofe kein niedriger Mensch befinde (außer demjenigen, der sich schon längst als solcher gezeigt hat); dann aber wend' ich mich an die Anwesenden und erkläre: sollten sich dennoch neue Schurken finden, so will ich, das versichre ich euch Richtern und dem ganzen Volke, eher mein Leben lassen als die unermüdliche Verfolgung ihrer Schurkerei. (51) Indessen giebt es noch einen Ausweg. Diese Schmach, die ich, wenn sie einmal zugelassen sein sollte, mit ebensoviel Strenge gegen die Schuldigen wie Rücksichtslosigkeit gegen mein eigenes Wohlbefinden zu verfolgen verspreche, diese Schmach kannst du von vornherein abwehren, Manius Acilius Glabrio, wenn du das Gewicht deiner arbeitsamen, hocherfahrenen Persönlichkeit für die gute Sache einsetzest. Tritt ein für die Hoheit der Gerichte; tritt ein für die Sache der strengen Rechtlichkeit, der Treue und des Gewissens. Tritt ein für den Senat, auf daß er aus diesem Prozesse rein hervorgehe, vor dem Volke glänzend dastehe und fürderhin mit ihm in herzlichem Einvernehmen lebe. Bedenke, auf welchem Platze du stehst, was du der Nation bieten kannst, welche Ehrenschuld du an deine Ahnen abzutragen hast; bedenke, daß es ein Acilius war, dem wir das Gesetz gegen die Erpresser verdanken, dieses Gesetz, von dem die Nation unter den weisen Sprüchen strenger Richter schon so reichen Segen geerntet hat. (52) Schau um dich: auf allen Seiten wirst du von verehrten Stimmen den mahnenden Ruf vernehmen: »sei eingedenk der Größe deines Hauses; denke bei Tag und bei Nacht an die Kraft deines Vaters, die Weisheit deines Großvaters, vergiß auch deinen würdigen Schwäher nicht!« Wenn du diesen Stimmen folgst, wenn du die gewaltige Energie deines Vaters Glabrio zeigst um freche Menschen niederzuducken, dazu die Klugheit deines Großvaters Scaevola, um schlauen Intriguen zuvorzukommen, endlich noch die Ausdauer deines Schwiegervaters Scaurus, um dich durch kein Mittel der Welt vom Pfade der Wahrheitsliebe und Überzeugungstreue verdrängen zu lassen: dann wird das römische Volk zu der Erkenntnis gelangen, daß vor einem Präsidenten von vollendeter Reinheit des Charakters, vor einem auserlesenen Kollegium von Richtern die ungeheuren Reichtümer des Angeklagten wirkungslos bleiben und für ihn nicht einen Ausweg zur Rettung, sondern eine Verstärkung des Verdachtes bedeuten.

      XVIII. (53) Für mich steht es fest, daß ein Personenwechsel im Präsidium und Richterkollegium für diesen Prozeß unter keinen Umständen stattfinden darf. Ich werde nicht dulden, daß man die Sache bis zu einem Zeitpunkte verschleppe, wo die Sicilianer, die bisher von den Sklaven eines designierten Konsuls zwar unerhörterweise sämtlich gerufen, aber in keiner Weise beschieden wurden, nachher von den Bütteln der regierenden Konsuln citiert werden: das könnte meinen Gegnern wohl passen, daß diese armen Menschen, einst die Freunde und Verbündeten unseres Volkes, jetzt schutzflehende Bettler, von ihnen gewaltsam nicht bloß um ihr Recht und alles Eigentum, sondern auch um jede Möglichkeit einer Beschwerde gebracht werden. (54) Nein, ich werd' es nicht zulassen, daß man, nachdem ich meine Sache vorgetragen habe, eine Pause von vierzig Tagen einschiebt und mir erst dann antwortet, wenn meine Anklage abgestanden und vergessen ist; ich werde auch nicht erlauben, daß es erst dann zur Entscheidung komme, wenn diese Zuhörermenge, die jetzt aus ganz Italien herbeigeströmt ist, Rom wieder verlassen hat; ist sie doch aus allen Landen für diesen Moment hergekommen, um zu wählen, um Festspiele zu schauen und um sich einschätzen zu lassen. Jeder hat bei diesem Prozesse seinen Anteil: die Frucht des Erfolges (und anderseits die Gefahr der Erniedrigung) sind euer; die Arbeit, Mühe und Sorge ist mein; die Kunde von den Vorgängen und die dauernde Erinnerung an die verschiedenen Reden und Aussagen bleibt das Gemeingut aller. – (55) Wenn ich nun die Zeugen sogleich vernehmen lasse, so führ' ich damit keine Neuerung ein, sondern folge nur dem Beispiele der jetzigen Führer unseres Staatslebens. 48 Meine Neuerung dagegen besteht darin, daß ich das Zeugenverhör anders verteile: jeden einzelnen Klagepunkt setz' ich erst vollständig auseinander, und hab' ich ihn durch Fragen, Beweise und Zusammenfassung sicher gestellt, so laß ich gleich die auf ihn bezüglichen Zeugen ins Verhör nehmen. Auf diese Weise giebt es zwischen jenem längst gebräuchlichen Anklageverfahren und diesem von mir eingeführten weiter keinen Unterschied, als daß damals die Zeugen erst vernommen wurden, wenn alles vorgetragen war, während sie in unserem Falle bei jedem einzelnen Klagepunkt auftreten sollen; so hat auch hier der Gegner volle Freiheit, seine Fragen, Beweise und Reden anzubringen wie früher. Wer etwa nach einer Anklage in der herkömmlichen Form der zusammenhängenden einheitlichen Rede Verlangen trägt, der wird eine solche beim zweiten Termine zu hören bekommen; für jetzt wird ein jeder die