Gesammelte Werke von Cicero. Марк Туллий Цицерон. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Марк Туллий Цицерон
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027209569
Скачать книгу
weiter schüren wollen 32 : da bietet sich euch plötzlich die günstigste Gelegenheit zur Rehabilitierung, man bringt euch den Gaius Verres auf die Anklagebank. Dieser Mensch ist zwar durch seine ganze Lebensführung, durch alles, was er gethan, ja sogar durch die öffentliche Meinung schon gerichtet; aber wenn es nach seinen ungeheuren Geldern und seinem zuversichtlichen Auftreten geht, so wird er freigesprochen werden. In diesem Prozeß habe ich nun unter allgemeiner Spannung und Zustimmung der Nation die Rolle des Klägers übernommen, nicht um den üblen Leumund eures Standes noch zu verschlimmern, sondern um euch Hilfe gegen den allgemeinen Klatsch zu bringen. Ich führe euch einen Menschen vor, der euch Gelegenheit giebt, den schon vernichteten Ruf der Gerichtshöfe wiederherzustellen, euch selbst mit dem römischen Volke zu versöhnen und den berechtigten Wünschen der Ausländer Genüge zu leisten; es handelt sich um nichts Geringeres als um fortgesetzten Diebstahl an der Staatskasse, um Aussaugung der Provinzen Kleinasien und Pamphylien, um betrügerische Führung der Gerichtsbarkeit in Rom, endlich um den grauenvollen Ruin der Provinz Sicilien. (3) Wenn ihr über einen solchen Menschen mit gewissenhafter Strenge richtet, so wird das eurem Stande jederzeit zukommende Prestige aufrecht erhalten werden; wenn dagegen der unermeßliche Reichtum des Angeklagten über das Gewissen und die Wahrheitsliebe der Gerichtshöfe den Sieg davon trägt, so wird mein Bemühen wenigstens den Erfolg haben, daß, wenn auch der Staat ohne Gerichtshof, immerhin der Richter nicht ohne Delinquenten, der Delinquent nicht ohne Kläger bleibt.

      II. Wenn ich mir eine persönliche Bemerkung erlauben darf, so gesteh ich: wohl hat Gaius Verres gegen mich gar manchen Anschlag zu Wasser und zu Lande ausgeheckt, den ich dann bald durch eigene Umsicht, bald durch die Güte aufmerksamer Freunde zunichte machte; aber so oft auch mein Leben bedroht war, nie empfand ich dermaßen das beklemmende Gefühl, mich in wirkliche Gefahr zu begeben, wie jetzt hier vor Gericht. (4) Was mich so sehr aufregt, ist nicht eigentlich die gewaltige hier versammelte Menschenmenge und die gespannte Erwartung, die sie meiner Anklage entgegenbringt – obwohl schon diese Momente mich im Innersten erschüttern –: vielmehr sind es hauptsächlich die nichtswürdigen Intriguen dieses Menschen da 33 , mit denen er gleichzeitig mir, euch, dem Gerichtspräsidenten Manius Glabrio, den verbündeten und auswärtigen Regierungen, namentlich aber dem Prestige des Senates zu Leibe gehen will. Er sagt sich nämlich: »Gefahr ist bloß für solche Leute vorhanden, die stehlen was sie für sich allein brauchen; ich habe aber soviel zusammen gestohlen, daß es für eine ganze Masse Menschen ausreicht; es giebt keine Festung, die mein Geld nicht bezwingt, es giebt kein Heiligtum, das mein Geld nicht entweiht.« (5) Wenn dieser Mensch seine Pläne so versteckt anlegte, wie er sie unverschämt ausführt, so hätt' er uns vielleicht noch in dem einen oder anderen Punkt anführen können; nun trifft sich's aber außerordentlich günstig für uns, daß er mit seiner unglaublichen Dreistigkeit eine ganz eigenartige Dummheit verbindet. Wie er seine Kassendiebstähle offen und ohne Scheu betrieb, so legt' er seine Pläne und Versuche zur Bestechung des Gerichtshofes in durchsichtigster Weise aller Welt vor. Ein einziges Mal in seinem Leben, so erklärt er, hab er Angst bekommen, nämlich damals, als ich die erste Klage wider ihn erhob; er kam frisch aus seiner Provinz, aber nichts weniger als frisch war der Makel der Ehrlosigkeit, der an ihm haftete; seit langem lasteten unausgesetzt Schimpf und Schande auf ihm: da lag der Zeitpunkt für die Bestechung des Gerichtshofes ungünstig. (6) Er fand folgenden Ausweg: als ich mir eine, übrigens sehr knapp bemessene Frist behufs eigener Nachforschungen in der Provinz Sicilien ausgebeten hatte, trieb er einen Menschen auf, der, angeblich zum Zweck ähnlicher Untersuchungen in der Provinz Achaia, eine um zwei Tage kürzere Frist forderte. Natürlich hatte dieser Scheinkläger nicht die Absicht, mit redlichem Fleiß auf ein Resultat hinzuarbeiten, das ich mit wahrhaft selbstverleugnender Anstrengung erreicht habe. Denn der Mann, der in Achaia nach Material forschen sollte, ist nicht einmal bis Brundisium gekommen 34 , ich dagegen habe in fünfzig Tagen ganz Sicilien bereist und dabei alle für die Klage verwendbaren Gemeindeakten und Privatschriftstücke gesammelt; somit ist es für jedermann klar, daß der Mensch von Verres angestiftet worden war, nicht um ihn vor den Richter zu citieren, sondern um mir meinen Termin weg zu schnappen. III. (7) Jetzt denkt der freche Tollkopf folgendermaßen. Ein Kläger tritt gegen ihn auf, derartig mit Beweismaterial ausgerüstet, daß er seine Raub- und Schandthaten förmlich festnagelt, sie aller Welt nicht zu Gehör, nein geradeswegs zu Gesichte bringt. Er steht unter den Zeugen seiner Roheit viele Senatoren, viele römische Ritter, ferner zahlreiche Bürger unseres, sowie der verbündeten Staaten, die persönlich unter seiner Faust entsetzlich gelitten haben. Er sieht zahlreiche Gesandtschaften seitens befreundeter Regierungen zu seiner schweren Belastung mit amtlichen Zeugnissen offiziell auftreten. (8) Unter solchen Umständen bleibt ihm nur ein Trost, nämlich seine niedrige Vorstellung vom Charakter aller anständigen Menschen, seine Idee von der jämmerlichen Verkommenheit und Verwahrlosung der senatorischen Gerichtshöfe; darin geht er so weit, daß er ohne alle Umstände erklärt, nicht ohne Grund hätt' er eine solche Geldgier bethätigt, denn er kenne aus Erfahrung den sicheren Schutz, den das Geld gewährt: er habe, was sehr schwer zu bewerkstelligen, sogar den Termin für seine Gerichtsverhandlung gekauft, um dann alles weitere um so leichter kaufen zu können. Da es gegen die Wucht des Angriffes nun einmal kein Entrinnen gab, so wollt er wenigstens dem Unwetter des Termines aus dem Wege gehen. (9) Hätt' er nun seine Hoffnung, wo nicht auf den normalen Verlauf des Prozesses, so doch immerhin auf irgend ein ehrenhaftes Moment basiert, hätt' er auf einen beredten Anwalt, auf persönliche Beziehungen und dergleichen gerechnet, wahrlich, er würde nicht so emsig nach allen diesen Aushilfsmitteln haschen; er würde die hochmütige Verachtung des Senatorenstandes nicht dermaßen auf die Spitze treiben, daß er aus der Mitte der Senatoren jemand für die Anklage auswählen ließe, der dann, während Verres alles Nötige für sich besorgte, inzwischen vor ihm seinen Prozeß abwickeln sollte! – (10) Ich durchschaue ja mit Leichtigkeit, worauf das alles hinaus soll, was für Hoffnungen er sich noch macht; aber wie er sich einreden kann, noch irgend etwas durchzusetzen, unter diesen Umständen, vor diesem Präsidenten und diesem Richterkollegium – das geht über meinen Verstand. Nur das eine versteh ich (und Rom hat durch die Zurückweisung gewisser Richter dasselbe Urteil ausgesprochen), daß nämlich Verres sich mit der letzten Hoffnung schmeichelte, ein Rettungsmittel ausschließlich im Gelde zu besitzen: war diese Schutzwehr ihm einmal entrissen, so gab es, das wußte er, nirgend mehr einen Ausweg.

      III. Wo sollt er ihn denn auch hernehmen? Was könnt ihm denn helfen? Wo giebt es denn eine so ungeheure Beredsamkeit, die imstande wäre, diese Schandexistenz, dieses Luderleben, über das die öffentliche Meinung längst einstimmig ihr Verdammungsurteil gesprochen hat, auch nur in irgend einer Hinsicht zu verteidigen? 35 (11) Ich spreche gar nicht von dem schmutzigen, skandalösen Treiben seiner frühen Jugendjahre; aber das erste Amt, das er erhielt, die Quästur, was gewährt sie uns für einen Anblick? – Da sehen wir den Quästor mit Staatsgeldern durchgehen; den Konsul Gnaeus Carbo von seinem Quästor bestochen und verraten; wir sehen den Quästor von der Armee desertieren, aus seiner Provinz weglaufen, die Heiligkeit des Loses entehren, alles Pflichtgefühl mit Füßen treten. 36 – Dann ward er Legat: seine Amtsführung war das Verhängnis für ganz Kleinasien und Pamphylien, wo er zahlreiche Privathäuser, die meisten Städte und sämtliche Göttertempel ausplünderte; was ihm einst gegen seinen Konsul recht gewesen, das war ihm jetzt gegen seinen Prätor billig, und so brachte er den Gnaeus Dolabella, den er als Legat und stellvertretender Quästor hätte stützen sollen, erst durch seine Schurkenstreiche in den bösesten Ruf, dann aber verließ er ihn nicht nur in der Stunde der Gefahr, sondern trat selbst als verräterischer Feind gegen ihn auf. – (12) Weiter kam er zur Stadtprätur, d. h. zur Unterschlagung von Kirchengütern und verschiedenen, für öffentliche Bauten bestimmten Staatsgeldern; zugleich nahm er seine Richterstellung dazu wahr, um über bedeutende Privatbesitztümer gegen alles Recht und Gesetz nach Willkür zu verfügen. Aber die fürchterlichsten Denkzeichen seines ganzen verbrecherischen Thuns, unvergleichlich an Zahl und Größe, hinterließ er in der Provinz Sicilien. Drei Jahre hindurch hat er die unglückselige Insel wahrhaft gepeinigt und sie schließlich dermaßen heruntergebracht, daß eine Wiederherstellung ihres früheren Wohlstandes überhaupt unmöglich ist; kaum daß in einer langen Reihe von Jahren, unter dem steten Regimente uneigennütziger Statthalter eine teilweise Erholung herbeigeführt werden kann. (13) So lange Verres die Insel verwaltete, halfen den Sicilianern weder ihre eigenen Gesetze, noch unsere Senatsbeschlüsse, noch das Völkerrecht;