(66) In Roms besten Tagen haben unsere erlauchtesten Männer ihren Stolz und ihre Ehre darein gesetzt, auswärtige Freunde und ebenso die ausländischen, dem Schutze Roms überlassenen Nationen vor Unbill zu schützen und in ihrem Wohlstande zu erhalten. Kein Geringerer als der weise Cato hat sich mit einer Menge einflußreicher Personen überworfen, um den Spaniern, die er von seinem Konsulat her kannte, vor Gericht Hilfe zu leisten. (67) Noch ist es nicht lange her, da zog Gnaeus Domitius den Marcus Silanus zur Rechenschaft, weil er einen einzigen Menschen aus befreundeter Familie, einen gewissen Aegritomar infam behandelt hatte. XXI. Nichts kann nun einen rechten Unheilstifter mehr erbittern, als daß wir jetzt diese schöne Sitte früherer Generationen nach langer Pause wieder in Aufnahme bringen; wenn die Bündner sich beschweren, werden sie nicht mehr an den ersten besten, der nicht zu reden versteht, gewiesen, sondern von einem zuverlässigen und sorgfältigen Anwalte verteidigt. (68) Das macht den Menschen Angst; da wühlen sie nun dagegen, daß nur ja dieser Brauch nicht aufkomme oder vielmehr nicht wiederkehre. Sie fürchten, wenn er erst zur Regel wird, dann wird die gesamte Rechtspflege anständig und energisch ausgeübt, nicht mehr von grünen Jungen oder Winkelkonsulenten. (69) Unsere Väter bedauerten den Brauch durchaus nicht, als Publius Lentulus, damals der erste in der Senatorenliste, im Verein mit Gaius Rutilius Rufus den Manius Aquilius verklagte, oder als der unvergleichliche Scipio Africanus, der schon zweimal Konsul und Censor gewesen war, den Lucius Cotta vor Gericht lud. Damals genoß die römische Rechtspflege den höchsten Ruhm, man hielt aller Orten das Recht für die gewaltigste Stütze unseres Staates. Gewiß wird niemand bei dem großen Africanus einen Schritt wunderlich finden, über den man sich jetzt bei meiner Wenigkeit – angeblich wundert, in Wahrheit ärgert. (70) »Was fällt ihm ein,« rufen sie, »will der Verteidiger jetzt plötzlich zum Kläger werden? Und noch dazu in diesem Alter? Er bewirbt sich ja schon um das Polizeipräsidium!« 29 – Ich finde dagegen, daß man in meinem oder auch in sehr viel höherem Alter und in jeder amtlichen Stellung die Gemeinheit verfolgen und das Elend lindern kann. Einem schwerkranken, nahezu aufgegebenen Staatsorganismus hilft dies Heilmittel oder keines; wo die Gerichtshöfe bestochen und durch die Nichtswürdigkeit einzelner Schurken entehrt werden konnten, müssen nur die anständigsten, bewährtesten Juristen die Rechtspflege in die Hand nehmen, sonst ist alles verloren. (71) Anderseits ist es ein Zeichen gesunder Verhältnisse, wenn der Kläger jedesmal seine moralische Existenz aufs Spiel setzen muß, wie der Beklagte sein materielles Dasein; die tüchtigsten Ankläger waren ja auch immer diejenigen, die das Gefühl hatten, es handle sich um ihren eigenen guten Ruf. 30
XXII. Aus alledem muß der Gerichtshof die Folgerung ziehen: Quintus Caecilius, über den sich bisher überhaupt noch keine öffentliche Meinung gebildet hat und der auch in der bevorstehenden Verhandlung keinerlei Interesse erregen kann, der weder einen guten Ruf zu erhalten, noch irgend eine Hoffnung auf seine Zukunft zu bestärken hat – der wird einen solchen Prozeß wahrlich nicht mit der nötigen Schärfe, Energie und Gewissenhaftigkeit führen. Er hat im Fall einer Blamage nichts zu verlieren; sollt er mit Schimpf und Schande abziehen, so braucht er nichts zurückzuerobern. (72) Von mir dagegen hält Rom so manches moralische Pfand in Händen und ich muß all meine Kraft einsetzen, um es mit Ehren einzulösen. Ein solches Pfand ist die Bewerbung um ein hohes städtisches Amt; oder die Hoffnung auf meine weitere Entwicklung; oder ein mit saurer Arbeit bei Tag und Nacht mühsam erworbener Ruf. Dies alles wird Rom mir sicher erhalten und fördern, wenn ich im vorliegenden Prozesse mein Wollen und Können bewähre; passiert mir dagegen nur das kleinste Mißgeschick, der unscheinbarste Fehltritt, so ist es vorbei, und alles, was langsam Stück für Stück gesammelt war, ist mit einem Schlage für immer verloren. (73) Ihr, meine Herren, möget nach eigener Wahl entscheiden, wer zu diesem mächtigen Prozeß die nötige Einsicht, Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Stellung mitbringt. Zieht ihr mir den Caecilius vor, so kann ich doch nicht annehmen, daß er mir an Wert überlegen sei; Rom aber – dürfte in diesem Falle annehmen, daß eine so ehrenhafte und sachgemäße Anklage euch und eurem ganzen Stande nicht eben erwünscht kommt; danach möget ihr euch einrichten.
Erste Verhandlung. Einleitungsrede
I. (1) Hoher Gerichtshof!
Wir stehen vor einem großen Augenblick. Ein von uns allen aufs tiefste empfundenes Bedürfnis, dessen Befriedigung im Interesse eures so bösartig gefährdeten Rufes 31 wie im Interesse der arg kompromittierten Gerichtshöfe überhaupt auf das allerdringendste zu wünschen war, scheint jetzt befriedigt werden zu sollen. Daß euch jetzt, wo unser Staat eben eine Krisis durchmacht, eine solche Gelegenheit geboten wird, darin steckt nicht menschliche Einsicht, das ist göttliche Fügung. Es hat nämlich die für uns alle gefährliche, für den Staat aber geradezu unheilvolle Vorstellung allenthalben in Rom wie im Auslande Platz gegriffen, von unseren jetzigen Gerichtshöfen könne ein Mensch, der recht viel Geld hat, auch auf die schlimmsten Verbrechen hin nicht verurteilt werden. Diese Idee ist nicht nur allgemein verbreitet, sondern sie hat schon Wurzel gefaßt; sie spielt die Hauptrolle im Gerede