Gesammelte Werke. Ernst Wichert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Wichert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027237517
Скачать книгу
nicht zu ändern. Weigern wir uns, seiner Einladung zu folgen, so wird er uns mit Recht Ungehorsam vorwerfen und die Feindseligkeit wieder beginnen. Auch muß man uns in der Stadt feige nennen und die Schuld geben, daß wir den Ausgleich verhindert haben. Jedenfalls müssen wir hören, was der Komtur begehrt. Wir können uns dann danach achten.

      Sie schritt eine Weile schweigend neben ihm her. Dann blieb sie stehen, legte den Kopf an seine Brust und sagte: Ich bin sonst so närrisch nicht. Heute aber liegt mir's schwer auf dem Herzen. Mag sein: es ist kein Grund zu solcher Befürchtung. Aber weil ich dich heute ungern von mir lasse, so bleib. Es ist genug, wenn die andern gehen.

      Er streichelte ihr Haar. Wie sprichst du nur so wunderlich, Anna? Ich höre gar nicht meine tapfere und kluge Frau, Letzkaus Tochter. Geht dein Vater und soll dein Mann zu Hause bleiben? Wäre wirklich Gefahr, so dürft' ich am letzten mich ausschließen, sein Schwiegersohn. Aber sorge nicht; in wenigen Stunden bin ich wieder zurück. Er hob die kleinen Mädchen auf und küßte sie zärtlich.

      Da er nun so umständlich Abschied nahm, glaubten die Kinder, daß er verreisen wolle, und trugen allerhand Sachen herbei, die er sonst in solchem Falle mitzunehmen pflegte, darunter auch ein Dolchmesser in lederner Scheide. Er wies es lächelnd ab. Frau Anna aber sagte: Sieh's als einen Wink des Himmels an, daß die Kinder dir die Waffe bringen, und stecke sie zu dir. Es ist viel schlechtes Volk im Schlosse, das der Krieg vollends verwildert hat, und es gefällt diesen Gesellen vielleicht, mit euch Bürgern Händel zu suchen, da sie euch für wehrlos halten und Strafe schwerlich zu befürchten haben.

      Ich tu's zu deiner Beruhigung, antwortete er und steckte das Dolchmesser unter das Wams. Seine Frau begleitete ihn bis zur Tür. Er wandte sich dort noch einmal zurück und umarmte sie. Da er nun ging, merkte er, daß es ihm schwer auf der Brust lag, als hätte er einen eisernen Harnisch zu tragen, und seine Füße bewegten sich wie in Fesseln. Der Wein wirkt nach, überredete er sich, hob den Hut auf und ließ den kalten Wind um seine Stirn streichen.

      Als Huxer nach Hause kam, fand er die Tür zum Vorderstübchen nur angelehnt. Innen sprach eine männliche Stimme, die ihm nicht bekannt war. Er öffnete leise und sah drei Personen im Erker. Frau Barbara stand ihm zunächst, den Rücken gegen das Zimmer gewandt, und schien aufmerksam zuzuhören. Auf dem Sessel im Erker saß ein Mann in polnischer Tracht, den ihre breite Figur teilweise verdeckte. Vor ihm auf einem gepolsterten Schemel kniete Maria, sah mit gespannten Blicken und halb geöffnetem Munde zu ihm auf und hatte ihm beide Hände gereicht. Was war das? Benutzte man so seine Abwesenheit? Er verhielt sich eine Weile still und lauschte.

      Ein andermal, setzte der Mann seine Rede fort, erzähle ich Euch, wie ich mit Mühe aus dem polnischen Schloß entkam. Ich war bis jetzt ein Gefangener und mußte aus dem Turm durchs Fenster entspringen. Auf dem Holzfloß versteckte ich mich und wurde nicht verfolgt. Das waren kümmerliche Tage und Nächte auf dem breiten reißenden Strom in Gesellschaft der Juden und Dszimken. Das Wetter blieb kalt, der Wind ging nach Norden um, und wir konnten unser Segel nicht brauchen. Die Strohhütte gewährte nur unzureichenden Schutz, und oft lag ich an allen Gliedern zitternd da und glaubte mich vom Fieber geschüttelt. Dann sprang ich wohl auf, ergriff eine der langen Stangen, stieß sie gegen den Grund, stemmte die Brust an und lief das Floß zurück, es rascher vorwärts zu schieben. Mitunter landeten wir abends, wenn eine Ortschaft in der Nähe war, holten Lebensmittel und übernachteten im Weidenstrauch bei einem Feuer. Gegenüber Schwetz hielt ich's bei der langsamen Fahrt auf dem Fluß nicht länger aus, ließ mich in dem ausgehöhlten Baumstamm, den sie ein Boot nennen, ans Land setzen und fand bei einem lieben Manne, dem Ratmann Clocz, freundliche Aufnahme. Er hätte mich gern länger als Tag und Nacht beherbergt, aber ich sehnte mich fort nach Danzig – Ihr könnt denken, weshalb. Er versorgte mich aber mit Geld und gab mir ein Pferd, auch einen warmen Mantel aus seinem Vorrat für die Reise, und so bin ich in drei Tagen hierher geritten. Ich nahm mir nicht Zeit, erst ein ander Kleid zu beschaffen. Euch wiederzusehen, war mein heißestes Verlangen. Und so schüttelte ich nur in meiner Herberge den Staub ab und kam zu Euch, wie ich war, und schreckte Euch durch mein verwildertes Aussehen. Aber Ihr erkanntet mich doch gleich, und ich sah wohl, daß ich nicht vergessen war. Hatte auch keinen Zweifel daran, seit Euer Ringlein wieder –

      Hier unterbrach ihn Huxer durch ein ärgerliches Hüsteln, indem er zugleich den Fuß polternd auf die Stubendiele setzte. Barbara schrie auf und bekreuzte sich. Maria zog eilig ihre Hände zurück und blickte erschreckt nach der Stubentür. Der Mann aber stand auf und trat aus dem Erker vor. Nun erkannte Huxer den Junker von Waldstein, zeigte aber deshalb kein freundlicheres Gesicht. Was geht denn hier vor? fragte er knurrig. Man könnte das Haus forttragen, und ihr würdet's nicht merken.

      Barbara schlich in eine Ecke und machte sich dort abgewandt etwas zu schaffen. Maria faßte sich aber rasch und eilte auf ihren Vater zu und sagte: Kennst du den Junker von Waldstein nicht, der dir im vorigen Jahr ein gutes Schiff gerettet hat? Man hat ihn für tot vom Tannenberger Schlachtfelde getragen und in polnische Gefangenschaft gebracht. Nur durch ein Wunder ist er am Leben. Durften wir einen solchen Gast ausweisen und auf deine Rückkehr vertrösten?

      Heinz reichte ihm die Hand. Nehmt's nicht für ungut, bat er, daß ich so Euer Haus stürmte. Hatte es mich doch sonst gastlich aufgenommen! Und wenn Ihr wüßtet, wie sehnlich –

      Er schwieg und sah mit gesenktem Kopf zu Maria hin, deren rundes Gesichtchen glühte. Der Alte hüstelte wieder, nahm aber doch die dargebotene Hand. Seid auch jetzt willkommen, sagte er mürrisch. Wenn Ihr Geschäfte in Danzig habt, diene ich Euch gern mit Rat und Tat, wie ich kann. Ihr findet mich stets des Morgens in meiner Kontorstube und später gegen Mittag im Artushof.

      Ich habe keine Geschäfte, versicherte Heinz etwas verlegen, komme nicht, zu kaufen noch zu verkaufen – bringe nichts als mich selbst, was denn wohl wenig genug sein mag.

      Hm – hm! So – so, knurrte Huxer, Ihr seid freilich kein Kaufmann, und das Kriegshandwerk beschäftigt Euch zur Zeit nicht, da der Frieden geschlossen ist. Da gedenkt Ihr nun wohl wieder zu Schiff nach Lübeck und von dort in die Heimat zurückzukehren? Kapitän Halewat ist segelfertig und will morgen ausgehen. Wenn Euch ein Platz in seiner Kajüte genehm ist, Junker –

      Heinz schüttelte den krausen Kopf. Ich danke Euch herzlich für Euer freundliches Anerbieten. Keinem lieber vertraute ich mich an als dem braven Kapitän Halewat – aber mein Sinn steht jetzt nicht nach der Heimat. Ich habe sie für immer aufgegeben und hoffe mir hier in Preußenland Heimatsrecht erwerben zu können. Der Herr Hochmeister, der mich berief, hat noch viel zu tun, um sich seiner Feinde zu erwehren und wird allemal einen kräftigen Arm und ein tapferes Schwert brauchen können.

      Ihr gedenkt Euch wieder in Gefahr zu begeben? fragte Maria ängstlich.

      Muß ich's nicht? antwortete er. Ich habe nicht Haus und Hof, und was ich werden soll, das muß ich selbst aus mir machen. Aber wenn der Herr Hochmeister hält, was der Komtur von Schwetz versprochen hat, so kann mir's an einem guten Fortkommen nicht fehlen.

      Wolltet Ihr aber zu ihm, bemerkte Huxer, so hattet Ihr einen näheren Weg als über Danzig. Er ist in Elbing, wie wir erfahren haben, und wollte dieser Tage nach Königsberg aufbrechen. Beeilt Ihr Euch, so könnt Ihr in seinem Gefolge reisen.

      Ich hab's so eilig nicht, meinte der Junker. Eh ich mich ihm zeige, muß ich wieder in ein deutsches Wams kommen und die nötigen Waffenstücke anschaffen. Dazu wird sich in Danzig Gelegenheit finden. Wollt Ihr mir nicht auf ein paar Tage Erholung gönnen nach dieser beschwerlichen Reise?

      Er verdient's gewiß, versicherte Maria mit freundlichem Kopfnicken.

      Die Stirn des Reeders hatte sich in tausend Fältchen gelegt. Er blinzelte zu Heinz hinüber und kraute mit den Fingern seinen Bart unterm Kinn. Je nun – ich kann Euch den Aufenthalt hier in der Stadt nicht wehren, sagte er unsicher, bleibt meinetwegen, solange es Euch gefällt – aber vergeßt nicht, daß meinem Hause – die Hausfrau fehlt, und überlaßt mir's, Euch zu Gast zu bitten. Ich mag nicht, daß es unnütz Gerede gibt unter den Leuten, und Euch selbst kann es nur lieb sein, wenn Ihr mich und mein Haus in Ehren haltet. Er wandte sich zu Barbara. Nun sorgt für einen Imbiß. Hungrig und durstig soll der Junker nicht von uns gehen.

      Barbara rasselte sogleich mit dem Schlüsselbunde an ihrem Gürtel und verließ das