Wenn Sie doch sehen könnten, welche Marter diese Kälte mir bereitet! Sie würden mich nur zu sehr bestraft finden. Wie gern, wie gern möchte ich die Vergangenheit wiederherstellen, möchte machen können, daß Sie niemals diesen unglückseligen Brief gesehen hätten. Nein! aus Furcht, Sie abermals zu beleidigen, würde ich auch diesen nicht schreiben, wenn ich nicht den ersten geschrieben hätte, und nicht verdoppeln will ich meinen Fehler, sondern wieder gut machen. Muß ich, um Sie zufrieden zu stellen, Ihnen sagen, daß ich mich selbst betrog? Muß ich betheuern, daß es nicht Liebe war, was ich für Sie fühlte? .... Ich, ich sollte den verhaßten Meineid aussprechen? Ist elende Lüge eines Herzens würdig, in welchem Sie regieren? Ha! daß ich unglücklich sei, wenn es sein muß. Weil ich vermessen gewesen, deshalb will ich doch kein Lügner und Schurke sein, und das Verbrechen, das mein Herz begangen hat, meine Feder kann es nicht verhehlen.
Ich fühle im Voraus das Gewicht Ihres Unwillens und ich erwarte die letzten Wirkungen desselben wie eine Gunst, die Sie mir in Ermangelung jeder andern schuldig sind, denn die Glut, die mich verzehrt, verdient Strafe, aber nicht Verachtung. Erbarmen Sie sich und überlassen mich nicht mir allein; thun Sie wenigstens dies, verhängen Sie mein Schicksal; sagen Sie, was Ihr Wille ist. Was Sie mir auch vorschreiben mögen, ich werde nur zu gehorchen wissen. Legen Sie mir ein ewiges Stillschweigen auf, und ich werde mich zu zwingen wissen, daß ich es beobachte. Verbannen Sie mich aus Ihrer Gegenwart, ich schwöre, daß Sie mich nicht wiedersehen sollen. Heißen Sie mich sterben, ach, es wird nicht das Schwerste sein. Kein Befehl von Ihnen ist, in den ich nicht willige, außerdem einen, Sie nicht zu lieben: auch darin würde ich gehorchen, wenn es mir möglich wäre.
Hundert Mal des Tages bin ich versucht, mich zu Ihren Füßen zu werfen, sie mit meinen Thränen zu benetzen, an dieser Stelle den Tod oder meine Verzeihung zu empfangen; stets macht ein Todesschauer meinen Muth gefrieren; meine Kniee zittern und wagen nicht sich zu beugen: das Wort erstirbt auf meinen Lippen und meine Seele findet nichts, was sie vor der Furcht, Sie zu erzürnen, sicher stellte.
Giebt es auf der Welt einen schrecklicheren Zustand als den meinigen? Mein Herz fühlt so sehr, wie strafbar es ist, und kann doch, kann nicht aufhören es zu sein; Schuld und Gewissensangst durchwühlen es um die Wette; und in der Unwissenheit über mein Loos schwebe ich in unerträglicher Ungewißheit zwischen der Hoffnung auf Milde und der Furcht vor Strafe.
Aber nein! Ich hoffe nichts, ich habe zu hoffen kein Recht. Die einzige Gnade, die ich von Ihnen erwarte, ist, daß Sie mein Todesurtheil beschleunigen. Befriedigen Sie eine gerechte Rache. Ob das nicht Unglück genug ist, sie selber erflehen zu müssen? Bestrafen Sie mich, Sie dürfen nicht anders; aber wenn Sie nicht erbarmungslos sind, so legen Sie diese kalte, unzufriedene Miene ab, die mich zur Verzweiflung bringt: wenn man einen Verbrecher in den Tod schickt, so zeigt man ihm keinen Zorn mehr.
Dritter Brief.
An Julie.
Werden Sie nicht ungeduldig, Mademoiselle; es ist das letzte Mal, daß Sie von mir belästigt werden sollen.
Als ich anfing Sie zu lieben, o wie weit war ich davon entfernt, alle die Qualen vorauszusehen, die ich mir zubereitete. Ich fühlte zuerst nur die Qual einer hoffnungslosen Liebe, die die Vernunft wohl mit der Zeit besiegen kann; ich lernte sodann eine größere kennen in der Pein, Ihr Mißfallen auf mich zu ziehen; und jetzt erfahre ich die grausamste von allen, in dem Gefühle, daß Sie selber leiden. O Julie! Ich sehe es mit Schmerz, meine Klagen trüben Ihre Ruhe; Sie beobachten ein unüberwindliches Schweigen, aber Alles enthüllt meinem lauernden Herzen Ihre geheime Aufregung. Ihre Augen verdunkeln sich, sind unstät, haften an der Erde; dann und wann fällt ein verwirrter Blick auf mich; Ihre frische Farbe schwindet, eine ungewohnte Blässe bedeckt Ihre Wangen; Ihre Heiterkeit ist von Ihnen gewichen; eine tödtliche Traurigkeit hat Sie befallen, und nur Ihre unwandelbare Seelengüte bewahrt Sie, daß Sie nicht ein wenig Laune verrathen.
Sei es Gefühl, sei es Verachtung, sei es Bedauern für meine Leiden, Sie sind davon ergriffen, ich sehe es; ich fürchte, zu den Ihrigen beizutragen, und diese Furcht betrübt mich weit mehr, als die Hoffnung, die daraus entspringen könnte, mir zu schmeicheln vermag; denn ich täusche mich entweder selbst, oder Ihr Glück ist mir theurer als das meinige.
Jedoch, indem ich dann wieder auf mich zurückgehe, fange ich an zu erkennen, wie falsch ich mein eigenes Herz beurtheilt hatte, und zu spät gewahre ich, daß das, was ich für einen vorübergehenden Rausch gehalten, das Schicksal meines Lebens entscheiden wird. Die Zunahme Ihrer Traurigkeit hat mir das Wachsthum meines Uebels fühlbar gemacht. Nie, niemals hätte das Feuer Ihrer Augen, der Schimmer Ihrer Farbe, nie hätten die Annehmlichkeiten Ihres Geistes und alle Grazien Ihrer alten Fröhlichkeit eine solche Wirkung auf mich geübt, wie jetzt Ihre Niedergeschlagenheit. Zweifeln Sie nicht daran, göttliche Julie, wenn Sie sehen könnten, welch einen Brand in meiner Seele diese acht Tage des Schmachtens entzündet haben, Sie würden selber die Uebel beseufzen, welche Sie mir zufügen. Es giebt kein Heilmittel mehr, und ich fühle verzweifelnd, daß das Feuer, das mich verzehrt, erst im Grabe verlöschen wird.
Wohl! Kann man nicht glücklich werden, so kann man wenigstens verdienen, es zu sein, und ich werde Sie einen Mann zu achten zwingen, den Sie nicht der kleinsten Antwort gewürdigt haben. Ich bin jung und kann eines Tages die Ehrerbietung verdienen, deren ich jetzt nicht würdig bin. Für jetzt gilt es, Ihnen die Ruhe zurückzugeben, die ich auf ewig verloren habe, und die ich Ihnen hier wider meinen Willen raube. Es ist billig, daß ich allein die Strafe des Verbrechens trage, dessen ich allein schuldig bin, Leben Sie wohl, allzu schöne Julie, leben Sie ruhig und werden Sie wieder heiter und froh; von morgen an werden Sie mich nicht wieder sehen. Aber sein Sie überzeugt, daß die heiße, reine Liebe, von welcher ich für Sie entbrannt bin, in meinem Leben nicht verlöschen wird, daß mein Herz, erfüllt von einem so würdigen Gegenstande, sich hinfort nie wird erniedrigen können, daß es immerdar nächst Ihnen nur der Tugend huldigen wird und daß keine andere Flamme jemals den Altar entweihen wird, auf welchem Julie verehrt wurde.
Billet von Julie.
Nehmen Sie nicht die Meinung mit hinweg, Ihre Entfernung nothwendig gemacht zu haben. Ein tugendhaftes Herz würde sich zu bezwingen oder zu schweigen wissen und wäre vielleicht zu fürchten. Aber Sie .... Sie können immerhin bleiben.
Antwort.
Ich habe lange geschwiegen, Ihre Kälte hat mich endlich zum Reden gebracht. Wenn man sich auch bezwingen kann um der Tugend willen, so erträgt man doch nicht die Verachtung deren, die man liebt. Ich muß fort.
Zweites Billet von Julie.
Nein, mein Herr, nach dem, was Sie zu fühlen schienen, nach dem, was Sie mir zu sagen gewagt haben, geht ein Mann, wie Sie zu sein vorgeben, nicht fort; er thut mehr.
Antwort.
Ich habe nichts vorgegeben als eine mäßige Leidenschaft in einem Herzen, welches voll Verzweiflung ist. Morgen werden Sie zufriedengestellt sein, und was Sie auch sagen mögen, es wird weniger sein als Fortgehen.
Drittes Billet von Julie.
Unsinniger! wenn dir mein Leben theuer ist, so lege nicht Hand an deines. Ich bin belagert und kann Sie bis morgen weder sprechen noch Ihnen schreiben, Warten Sie.
Vierter Brief.
Von Julie.