N. Knechtisch allerdings ist die Ihrige nicht. Aber geht sie nicht nach der entgegengesetzten Seite zu weit? Ist es genug, daß sie den Schaden bei der Wurzel fasse? Fürchten Sie nicht, daß sie selbst Schaden thue?
R. Schaden? Wem denn? Soll man in Zeiten der Pest und der Ansteckung, wann Alles von Kindheit auf mit dem Uebel befallen ist, den Absatz der den Kranken dienlichen Arzueien verbieten, weil ihr Mißbrauch den Gesunden schaden könnte? Mein Herr! wir denken so verschieden über diesen Punkt, daß ich fest überzeugt bin, wenn sich nur einige Verbreitung dieser Briefe hoffen ließe, so würden sie mehr Gutes wirken als manches bessere Buch.
N. Es ist wahr, Sie haben eine vortreffliche Predigerin. Ich bin nur froh, daß ich Sie mit den Frauen wieder ausgesöhnt sehe, denn es that mir leid, daß Sie ihnen verwehren wollten, uns den Text zu lesen [In dem Briefe an M. d'Alembert (über dessen Artikel Genève in der Encyclopèdie, worin er die Gründung eines Theaters in Genf anempfohlen hatte; s. „Bekenntnisse" Th. 7, S. 12) kommt R., nachdem er mancherlei erwähnt hatte, worin die Bühne ein böses Beispiel für das Leben aufstelle, auch auf die Intriguenstücke, und sagt bei dieser Gelegenheit: „Die Liebe ist das Reich der Frauen, Sie sind darin nothwendig die Gesetzgeberinnen, weil ihnen, nach der Ordnung der Natur, der Widerstand eignet, der nur auf Kosten ihrer Freiheit von den Männern überwunden werden kann. Eine natürliche Folge dieser Art Stücke ist daher, daß sie die Herrschaft des andern Geschlechtes ausdehnt, Frauen und junge Mädchen zu Lehrern des Publikums macht und ihnen denselben Einfluß auf die Zuschauer verschafft, welche sie auf ihre Liebhaber ausüben." Auf diese Stelle ist oben im Texte angespielt. D. Ueb.].
R. Sie schieben mir die Sache in's Gewissen; da muß ich still sein. Ich bin weder so thöricht, noch so weise, allezeit Recht zu haben. Lassen wir diesen Knochen der Kritik zum Abnagen!
N. Recht gern, damit es ihr nicht fehle! Aber hätte man wegen alles Uebrigen jedem Anderen nichts vorzuwerfen, sagen Sie, wie kann man dem unerbittlichen Verurtheiler des Schauspiels die verliebten Auftritte und die leidenschaftlichen Gefühle durchgehen lassen, von denen diese Sammlung strotzt? Zeigen Sie mir doch in irgend einem Theaterstück eine Scene, welche denen im Gebüsch von Clarens [Sprich: Klarang.] und im Schlafcabinet gleich kommt. Sehen Sie Ihren Brief über die Schauspiele wieder an und dann diese Sammlung .... Sie müssen consequent sein oder Ihre Ansichten aufgeben .... was soll man denken?
R. Der Kritiker, mein Herr, soll selber consequent sein, und nicht richten, ehe er untersucht hat. Sehen Sie die Schrift, die Sie erwähnen, genauer wieder an, sehen Sie auch die Vorrede zum „Narcisse" an, Sie werden darin die Antwort auf den Vorwurf der Inconsequenz finden, den Sie mir machen. Jene Oberflächlichen, die mich ihrer wegen des Devin du village ziehen, werden hier ohne Zweifel noch weit mehr Ursache dazu finden. Jene werden thun, was ihres Amtes ist. Aber Sie ....
N. Ich erinnere mich zweier Stellen [In der Vorrede zum „Narcisse“ wirkt R. die Frage auf: wenn einmal ein Volk bis zu einem gewissen Punkte verderbt ist, mögen nun die Wissenschaften dazu beigetragen haben oder nicht, muß man diese dann verbannen oder es vor ihnen behüten, um es zu bessern oder um zu verhindern, daß es noch schlechter werde? und er antwortet: Nein. Denn die Künste und Wissenschaften könnten, nachdem das Uebel einmal vorhanden ist, als Arzuei dienen, wenigstens, wenn sie die Menschen nicht gut machen können, sie doch durch Zerstreuung und angenehme Beschäftigung von dem Schlechten abziehen. Ebenso spricht sich R. in dem Briefe an d'Alembert aus. D. Ueb.] .... Sie denken gering von Ihren Zeitgenossen.
R. Mein Herr, ich bin ja doch auch ihr Zeitgenoß. O, warum bin ich nicht zu einer Zeit geboren, wo ich diese Sammlung hätte in's Feuer werfen müssen!
N. Sie übertreiben, wie gewöhnlich; aber bis auf einen gewissen Punkt ist Ihre Methode ziemlich richtig. Zum Beispiel, wenn Ihre Heloise immer ordentlich gewesen wäre, würde das Buch weit weniger lehrreich sein; denn wem würde sie zum Vorbild dienen? Gerade in den verderbtesten Zeiten liebt man die Lehren der vollkommensten Moral: sie vereiteln den Gedanken an Nachahmung und man befriediget im müßigen Lesen den Rest von Neigung, welchen man noch für die Tugend hat, auf wohlfeile Weise.
R. Ja, ihr hochfliegenden Schriftsteller, stimmt eure Ideale ein wenig herab, wenn ihr wollt, daß man ihnen nachzuahmen trachte. Wem preiset ihr die Reinheit, die noch nie befleckt worden? Ei, zeigt uns die, welche sich wieder erlangen läßt; vielleicht ist es dann wenigstens möglich, daß Jemand auf euch höre.
N. Ihr Jüngling hat diese Bemerkung schon ausgesprochen. Indessen es hilft nicht; man wird es Ihnen nichtsdestoweniger zum Verbrechen machen, daß Sie sagen, was man thut, um hinterher zu zeigen, was man thun sollte. Gar nicht davon zu reden, daß man die bestehende Ordnung über den Haufen wirft und die platte Moral, welche die Philosophie verbannt hat, zurückführt, wenn man den jungen Mädchen Liebe und den verheirateten Frauen Zurückhaltung an's Herz legt. Sagen Sie was Sie wollen, bei einem Mädchen ist die Liebe unanständig und skandalös, und nur ein Ehemann berechtigt ein Frauenzimmer zu einem Liebhaber. O wie ungeschickt, Nachsicht für die Mädchen zu zeigen, die Sie nicht lesen sollen und Strenge gegen die Frauen, welche Sie richten werden! Wahrhaftig, wenn Sie Furcht haben, mit Ihrem Buche Glück zu machen, so beruhigen Sie sich; Sie haben zu gute Vorkehrungen getroffen, um nicht vor einer solchen Kränkung ganz sicher zu sein. Wie dem nun sei, ich werde Ihr Geheimniß bewahren; seien Sie wenigstens nur zur Hälfte Tollkopf. Wenn Sie meinen, ein nützliches Buch in die Welt zu schicken, gut! Aber hüten Sie sich, sich dazu zu bekennen.
R. Mich dazu zu bekennen? Wie, mein Herr? Versteckt sich ein ehrlicher Mann, wenn er zu dem Publikum spricht? Darf er drucken lassen, was er sich nicht anzuerkennen getraut? Ich bin der Herausgeber dieses Buchs und werde mich als Herausgeber nennen.
N. Sie werden sich nennen? Sie?
R. Ja wohl, ich.
N. Wie? Sie wollen Ihren Namen auf den Titel setzen?
R. Allerdings.
N. Ihren wahren Namen? Jean Jacques Rousseau, Wort für Wort?
R. Wort für Wort: Jean Jacques Rousseau.
N. Ich bitte Sie aber, was wird man von Ihnen denken?
R. Was man will. Ich nenne mich an der Spitze dieser Sammlung, nicht um sie mir beizulegen, sondern um dafür einzustehen. Wenn etwas darin schlecht ist, daß man es mir zurechne; nicht, wenn Gutes darin ist, daß ich es mir zur Ehre mache. Wenn man das Buch an sich selbst schlecht findet, so ist das nur ein Grund mehr, meinen Namen darauf zu setzen. Ich will nicht für besser gelten, als ich bin.
N. Diese Antwort finden Sie genügend?
R. Ja, in einer Zeit, wo es Niemandem möglich ist, gut zu sein.
N. Wie? Und die „schönen Seelen“?
R. Die Natur schuf sie, aber euere Einrichtungen verderben sie.
N. Vor einer Liebesgeschichte wird man also lesen: „Von Jean Jacques Rousseau, Bürger von Genf."
R. Bürger von Genf? Nein, das nicht. Ich profanire den Namen meines Vaterlandes nicht! den setze ich nur auf Schriften, die ihm meiner Meinung nach zur Ehre gereichen können.
N. Sie haben selbst einen Namen, der nicht ungeehrt ist und Sie haben auch etwas zu verlieren. Sie schicken ein schwaches und plattes Buch in die Welt, das Ihnen schaden wird. Ich möchte Sie davon abhalten; wenn Sie aber einmal die Dummheit begehen, so finde ich es gut, daß Sie es offen und ehrlich thun; Sie werden wenigstens Ihrem Charakter hierin treu sein. Aber, apropos, werden Sie auch Ihre Devise [Vitam impendere vero. ,,Das Leben dem Dienste der Wahrheit opfern"; s. z. B. „Bekenntn. Th. 9. S. 11 Anm. D. Ueb.] auf das Buch setzen?
R. Mein Buchhändler hat schon diesen Scherz gemacht, und ich habe ihn so gut gefunden, daß ich versprochen habe, ihn ihm zu lassen. Nein, mein Herr, ich werde