N. Warum also, wenn ich Sie frage, ob Sie der Verfasser dieser Briefe sind, weichen Sie meiner Frage aus?
R. Eben deshalb, weil ich nicht lügen will.
N. Aber Sie weigern sich doch auch, die Wahrheit zu sagen.
R. Und auch dies heißt der Wahrheit die Ehre geben, wenn man erklärt, daß man sie verschweigen wolle: Sie würden leichteren Kaufs bei einem Manne davon kommen, der Sie belügen wollte. Uebrigens täuschen sich denn die Geschmacksrichter über die Feder eines Verfassers? Wie? Scheuen Sie sich nicht, eine Frage aufzuwerfen, deren Entscheidung Ihre Sache ist?
N. Ich möchte sie in Betreff einiger Briefe allerdings für entschieden halten; die, welche ich meine, sind sicherlich von Ihnen; aber in den übrigen erkenne ich Sie nicht, und ich zweifle daran, daß man sich so verstellen könne. Die Natur, die nicht zu besorgen hat, daß man sie verkenne, nimmt bisweilen ein fremdartiges Ansehen an, und die Kunst verräth sich oft dadurch, daß sie natürlicher sein will als jene; Sie erinnern sich des Grunzers in der Fabel, der die Stimme des Thieres besser von sich qiebt als das Thier selbst. In Ihrer Sammlung sind eine Menge so ungeschickter Sachen, daß der elendeste Sudler sie vermieden hätte: Wortschwall, Weitschweifigkeiten, Widersprüche, ewiges Wiederkäuen derselben Gedanken. Welcher Mensch, der fähig ist, es besser zu machen, könnte sich entschließen, es so schlecht zu geben? Giebt es Jemanden, der den anstößigen Vorschlag hätte stehen lassen, den dieser verrückte Eduard Julien macht? Oder der nicht die Lächerlichkeit vermieden hätte, daß Ihr liebes Männchen immerfort sterben will und alle Welt fleißig davon benachrichtigt, zuletzt aber sich stets bei bestem Wohlsein befindet? Oder der sich nicht von vorn herein gesagt hätte: man muß die Charaktere scharf unterscheiden und jeden in seinem Style sprechen lassen? Unfehlbar würde er es bei diesem Vorhaben besser gemacht haben als die Natur selbst.
Bei einem sehr innigen Umgang, habe ich bemerkt, nähern sich die Menschen einander im Styl wie im Charakter und Freunde verschmelzen mit dem Verschmelzen ihrer Seelen auch ihre Art zu denken, zu fühlen und zu reden. Diese Julie muß, so wie sie ist, ein bezauberndes Geschöpf sein; Alles, was ihr naht, muß ihr ähnlich, Alles um sie her muß Julie werden; alle ihre Freunde müssen nur einen und denselben Ton haben. Das sind Dinge, die sich wohl fühlen, aber nicht erfinden lassen. Wenn sie Jemand ersonnen hätte, würde er sie nicht niederzuschreiben wagen: er braucht vielmehr Züge, die sich der Menge aufdrängen; was durch seine Feinheit wieder einfach wird, paßt ihm nicht. Gerade in solchen Dingen ist der Stempel der Wahrheit; in ihnen sucht und findet ein aufmerksames Auge die Natur.
R. Nun, und was folgern Sie daraus?
N. Nichts. Ich zweifle, und dieser Zweifel hat mich, beim Lesen Ihrer Briefe, ich kann nicht sagen wie sehr gequält. Gewiß, wenn Alles nur Dichtung ist, so haben Sie ein schlechtes Buch gemacht. Sagen Sie aber: diese beiden Frauen haben gelebt! und ich lese diese Sammlung alle Jahre bis an mein Ende.
R. Und wenn sie gelebt haben, was hilft's? Sie würden sie doch vergeblich auf der Erde suchen: sie sind nicht mehr.
N. Sie sind nicht mehr? Also waren doch?
R. Bedingungsweise, ja. Gesetzt, sie waren, so sind sie nicht mehr.
N. Unter uns, gestehen Sie, daß mit solchen kleinen Subtilitäten mehr ausgesagt als in Zweifel gestellt wird.
R. Nein, ich stelle sie, wie ich sie stellen muß, um mich weder zu verrathen noch zu lügen.
N. Wahrhaftig, stellen Sie sich wie Sie wollen, man wird Sie wider Ihren Willen errathen. Sehen Sie denn nicht, daß schon Ihr Titel allein Alles sagt?
R. Ich sehe, daß er über den fraglichen Punkt nichts sagt: denn wer kann wissen, ob ich in der Handschrift den Titel so gefunden oder ob ich ihn gemacht habe? wer kann sagen, ob ich mich nicht in dem nämlichen Zweifel befinde wie Sie, ob dieser ganze Anstrich von Heimlichthun nicht vielleicht eine Finte ist, um Ihnen meine eigene Unwissenheit über das, was Sie gern wissen wollen, zu verbergen?
N. Aber genug, Sie kennen die Orte; Sie sind in Vevay, sind im Waadtlande gewesen; wie?
R. Mehrmals, und ich kann Ihnen sagen, daß ich daselbst nie von einem Baron von Étange oder der Tochter eines solchen gehört habe. Der Name Wolmar ist dort nicht im Entferntesten bekannt. Ich bin in Clarens gewesen, aber ich habe dort kein solches Haus gesehen, wie es in den Briefen beschrieben wird. Ich habe, als ich aus Italien zurückkam, das Jahr des traurigen Ereignisses selbst dort zugebracht und man beweinte dazumal keine Julie von Wolmar, oder eine ihr ähnliche Person, soviel ich weiß. Endlich noch habe ich, soweit ich mich der Gegend erinnern kann, in diesen Briefen Ortsverwechslungen und topographische Irrthümer bemerkt, sei es nun, daß der Verfasser nicht recht Bescheid wußte oder daß er seine Leser geflissentlich irre führen wollte. Das ist Alles, was Sie von mir über diesen Punkt erfahren können, und seien Sie überzeugt, daß Andere mir nicht ablocken werden, was ich Ihnen nicht habe sagen wollen.
N. Alle Welt wird meine Neugier theilen. Wenn Sie dieses Werk bekannt machen, sagen Sie wenigstens dem Publikum, was Sie mir gesagt haben. Noch mehr; schreiben Sie unsere Unterredung auf und stellen Sie sie als Vorrede voran: es liegen alle nöthigen Aufklärungen darin.
R. Sie haben Recht; es ist mehr werth, als was ich aus meinem Kopfe gesagt haben würde. Uebrigens aber richtet man mit derartigen Apologien nichts aus.
N. Nein! wenn man sieht, daß der Verfasser sich darin schont. Aber ich habe dafür gesorgt, daß man an dieser diesen Fehler nicht finden wird. Nur würde ich Ihnen rathen, die Rollen zu vertauschen. Stellen Sie es so dar, als ob ich in Sie dränge, die Sammlung bekannt zu machen und Sie sich dagegen sträubten. Geben Sie sich die Einwürfe und mir die Antworten. Das wird bescheidener sein und wird mehr Effect machen.
R. Wird es auch in dem Charakter sein, wegen dessen Sie mich zuvor gerühmt haben?
N. Nein. Ich habe Ihnen eine Falle gestellt; lassen Sie Alles, wie es ist.
Erste Abtheilung.
Erster Brief.
An Julie.
Ich muß Sie fliehen, Mademoiselle, ich fühle es wohl. O, hätte ich doch nicht so lange damit gewartet, oder vielmehr hätte ich Sie nie gesehen! Aber nun, was thun? wie mich benehmen? Sie haben mir Freundschaft zugesagt. Sehen Sie meine Qual und rathen Sie mir!
Sie wissen, daß ich nur auf die Einladung Ihrer Frau Mutter in Ihr Haus eingetreten bin. Weil sie wußte, daß ich einige angenehme Talente angebaut hatte, glaubte sie, daß dieselben an einem Orte, wo es gänzlich an Lehrern fehlt, zu der Erziehung der Tochter, welche sie anbetet, einige Dienste leisten könnten. Ich, stolz darauf, eine so schöne Anlage mit einigen Blüten schmücken zu dürfen, wagte es, dieses bedenkliche Geschäft zu übernehmen, ohne die Gefahr vorauszusehen, wenigstens ohne sie zu fürchten. Ich will Ihnen nicht sagen, daß ich für meine Verwegenheit zu büßen anfange: ich hoffe, daß ich mich nie so weit vergessen werde, Reden gegen Sie zu führen, die Ihnen anzuhören nicht geziemt, daß ich es nie an der Achtung werde fehlen lassen, die ich Ihrer Sittsamkeit noch mehr als Ihrem Range und Ihren Reizen schuldig bin. Wenn ich leide, so habe ich wenigstens den Trost, daß ich allein leide, und ich würde ein Glück