N. Also zeugt eine schwache Sprache für die Stärke des Gefühls.
R. Wenigstens zuweilen für die Wahrheit desselben. Lesen Sie einen Liebesbrief, den ein Schriftsteller, ein Schöngeist, der glänzen will, in seinem Cabinet verfertigt hat, so wird, wenn der Mann nur Feuer besitzt, seine Feder, wie man zu sagen pflegt, in Flammenzügen schreiben; die Erwärmung wird aber nicht weiter reichen: Sie werden bezaubert sein, vielleicht bewegt; letzteres aber nicht nachhaltig und erquickend, Sie werden nichts davon zurückbehalten, als Worte. Ein Brief dagegen, den die Liebe wirklich eingegeben hat, ein Brief eines im Ernste leidenschaftlich Liebenden wird marklos, zerfahren, unordentlich, voller Weitschweifigkeiten und Wiederholungen sein. Sein Herz, das von Gefühlen überströmt, sagt immer wieder das Nämliche und kann nicht aufhören es zu wiederholen, wie eine lebendige Quelle, die ohne Ende sprudelt und sich nie erschöpft. Nichts, was überrascht, nichts, was des Merkens werth ist: man behält kein Wort, kein Bild, keine Wendung im Gedächtniß; man findet nichts zu bewundern und zu preisen. Aber man fühlt sich das Herz im Busen gerührt, man fühlt sich im Innersten bewegt und weiß nicht warum. Ohne uns durch seine Stärke zu überraschen, hat uns das Gefühl durch seine Wahrheit ergriffen; so weiß das Herz zum Herzen zu sprechen. Aber Die, welche kein Gefühl haben, welche nichts kennen als die künstlich aufgeputzte Sprache der Leidenschaft, haben keine Ahnung von Schönheiten dieser Art, die sie nur mit Verachtung ansehen.
N. Weiter!
R. Wohl! Wenn in Briefen der erwähnten Gattung die Gedanken immerhin gewöhnlich sind, ist doch die Sprache nicht die des gemeinen Lebens und kann es nicht sein. Das Wesen der Liebe ist Täuschung; sie schafft sich, sozusagen, eine andere Welt; sie zaubert Gegenstände um sich her, die nicht wirklich sind, denen nur sie allein Dasein giebt, und da sie alle ihre Empfindungen in Bilder faßt, ist ihre Sprache immer bildlich. Aber was sie bildert, ist unbestimmt und ohne Zusammenhang; sie ist gerade in ihrer Verwirrung beredt; sie beweist desto mehr, je weniger sie folgert. Der höchste Grad der Leidenschaft ist Schwärmerei. Wenn sie ihren Gipfel erreicht, so sieht sie in ihrem Gegenstand ein Bild der Vollkommenheit; sie macht ihn nun zu ihrem Abgott, hebt ihn in den Himmel; und wie die fromme Schwärmerei die Sprache der Liebe entlehnt, so entlehnt die Liebesschwärmerei die Sprache der frommen Andacht. Sie hat nichts mehr vor Augen als das Paradies, die Engel, die Tugenden der Heiligen, die Freuden des himmlischen Aufenthaltes. Kann sie in dieser Verzückung, in diesem Anschauen erhabener Bilder sich niederer Ausdrücke bedienen, um sich kund zu geben? Wird es ihr möglich sein, ihre hohen Gedanken durch alltägliche Redensarten herabzuwürdigen und zu entweihen? Wird sie nicht ihrer Sprache einen höheren Schwung, nicht Adel, nicht Würde geben? Was reden Sie von Briefen, von Briefstyl! Darum handelt es sich auch, wenn man an ein geliebtes Wesen schreibt! Nein, was man da schreibt, sind nicht Briefe, Hymnen sind es.
N. Bürger, lassen Sie mich Ihren Puls fühlen!
R. Nicht doch, sehen Sie den Winterschnee auf meinem Haupte! Es giebt Jahre der Erfahrung, Jahre der Erinnerung. Die Empfindung erlischt endlich einmal, aber eine gefühlvolle Seele bleibt ewig.
Ich komme auf unsere Briefe zurück. Wenn Sie sie als das Werk eines Schriftstellers lesen, der gefallen will oder sich mit seiner Schreibart zeigen, so sind sie abscheulich. Aber nehmen Sie sie als das, was sie sind, und beurtheilen Sie sie in ihrer Art! Zwei, drei einfache, aber gefühlvolle junge Leute unterhalten sich unter sich von ihren Herzensangelegenheiten; sie denken nicht daran, vor einander glänzen zu wollen. Sie kennen und lieben einander zu sehr, als daß die Eigenliebe unter ihnen noch Spielraum fände. Sie sind Ausländer: werden sie correct schreiben? Sie sind einsam aufgewachsen: werden sie die Welt und die Gesellschaft kennen? Erfüllt von dem einzigen Gefühle, welches sie in Anspruch nimmt, schwärmen sie und meinen zu Philosophiren. Fordern Sie von ihnen Beobachtung, Unheil, Ueberlegung? Lauter Dinge, auf die sie sich nicht verstehen. Sie verstehen sich darauf, lieb zu haben; sie bringen zu Allem ihre Leidenschaft mit. Ist die Wichtigkeit, welche sie allen ihren Kinderpossen beilegen, weniger ergötzlich als aller Geist, den sie etwa auskramen könnten? Sie plaudern über Alles, sie täuschen sich über Alles; man lernt durch sie nichts kennen als sie selbst; aber indem man sie kennen lernt, gewinnt man sie lieb; ihre Irrthümer sind mehr werth als alle Wissenschaft der Weisen; ihre redlichen Herzen halten in Allem, und in ihren Fehlern selbst, die Vorurtheile der Tugend fest, die ewig vertrauensvoll, ewig verrathen wird. Da ist Keines, das sie verstünde, das ihnen entgegenkäme; immer wieder müssen sie sich enttäuscht sehen. Sie verschließen sich vor den entmuthigenden Wahrheiten, und da sie nirgend ihr Gefühl befriedigt finden, ziehen sie sich in sich selbst zurück; sie lösen sich von der übrigen Welt los und indem sie sich unter sich eine kleine Welt verschieden von der unseren schaffen, stellen sie uns ein in der That neues Schauspiel dar.
N. Ich gebe zu, daß ein Mann von zwanzig Jahren und Mädchen von achtzehn, wenn auch wohl unterrichtet, nicht wie Philosophen sprechen müssen, selbst wenn sie sich einbilden, es zu sein; ich gebe auch zu (und diese Entwicklung der Sache ist mir nicht entgangen), daß diese Mädchen zu achtbaren Frauen und der Jüngling zu einem besseren Beobachter reifen. Ich will nicht den Anfang und das Ende des Werkes einander gleich stellen. Die Hingabe an das häusliche Leben macht die Jugendverirrungen wieder gut; die züchtige Gattin, die verständige Hausfrau, die würdige Mutter machen uns die strafbar Liebende vergessen. Aber eben dies giebt einen Anlaß zur Kritik: das Ende der Sammlung läßt den Anfang nur noch tadelnswerther erscheinen; man möchte sagen, es sind zwei verschiedene Bücher, die nicht von denselben Personen gelesen werden müssen. Sollen vernünftige Menschen gezeigt werden, warum treten sie auf, bevor sie es geworden sind? Die Kindereien, welche den Weisheitslehren vorangehen, machen, daß man gar nicht bis zu diesen gelangt; man muß sich an dem Schlechten ärgern, ehe man dazu kommen kann, sich an dem Guten zu erbauen; kurz, der Leser wird aufgebracht und wirft unwillig das Buch gerade da von sich, wo es nützlich zu werden anfängt.
R. Ich denke im Gegentheil, daß das Ende dieser Briefsammlung für diejenigen Leser überflüssig ist, welche der Anfang abgestoßen hat, und daß der Anfang gerade Denen angenehm sein muß, für die das Ende von Nutzen sein kann. So werden diejenigen, welche das Buch nicht auslesen, nichts verlieren, da es nicht für sie gemacht ist, und diejenigen, welche Nutzen davon ziehen können, würden es nicht gelesen haben, wenn es ernsthafter angefangen hätte. Wenn das, was man sagen will, nützlich werden soll, so muß man vor allen Dingen sich Eingang bei Denen verschaffen, welche den Nutzen ernten sollen.
Ich habe mit dem Mittel, nicht mit dem Gegenstande gewechselt. Als ich es versuchte, zu den Erwachsenen zu reden, hat man mich nicht hören wollen; vielleicht, wenn ich mich an die Kinder wende, finde ich mehr Gehör; die Kinder nehmen aber die nackte Wahrheit nicht besser ein als Arzueien, die man nicht gut versteckt hat.
Cosi all' egro fanciul porgiamo aspersi Di soave licor gli orli del vaso; Succhi amari ingannato in tanto ei beve, E dall inganno sua vita riceve.
[So reichen wir dem kranken Kind Arzueien, Des Bechers Rand mit süßem Saft bestrichen; Getäuscht den bittern Trank in raschem Zuge Schlürft es und dankt sein Leben dem Betruge. Tasso's