Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1. Augustinus von Hippo. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Augustinus von Hippo
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659868
Скачать книгу
ist er dir zuvorgekommen, obwohl er nach dir kam? „Weil er vor mir war.“ Vor dir, o Johannes? Was soll das Großes sein, wenn er vor dir war? Gut, daß du ihm Zeugnis gibst. Hören wir ihn selbst, wie er sagt: „Ehe Abraham war, bin ich“68. Allein auch Abraham ist mitten im Menschengeschlecht geboren, viele waren vor ihm, viele nach ihm. Höre, was der Vater zum Sohne sagt: „Vor dem Morgenstern habe ich dich gezeugt“69. Der vor dem Morgenstern gezeugt ist, erleuchtet selbst alle. Es hieß nämlich einer „Morgenstern“, welcher fiel; denn er war ein Engel und ist ein Teufel geworden; von ihm sagt die Schrift: „Der Morgenstern, der frühe aufging, ist gefallen“70. Warum Morgenstern (lucifer)? Weil er, erleuchtet, hell war. Warum aber ist er dunkel geworden? Weil er in der Wahrheit nicht bestand71. Also jener war vor dem Morgenstern, vor jedem Erleuchteten, da ja vor jedem Erleuchteten der sein muß, von welchem alle erleuchtet werden, die erleuchtet werden können.

       8.

      Darum folgt: „Und von seiner Fülle haben wir alle empfangen“. Was habt ihr empfangen? „Und zwar Gnade um Gnade.“ So nämlich lauten die Worte des Evangeliums, wenn man sie mit den griechischen Abschriften vergleicht. Er sagt nicht: Und von seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade um Gnade, sondern er sagt so: „Und von seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade“ d. h. haben wir empfangen, als ob er gewollt hätte, wir sollten es so verstehen, daß wir irgend was von seiner Fülle empfangen hätten und überdies Gnade um Gnade. Wir haben nämlich von seiner Fülle erstens Gnade empfangen und dann wieder Gnade, eine Gnade nach der andern. Welche Gnade haben wir zuerst empfangen? Den Glauben. Im Glauben wandelnd wandeln wir in der Gnade. Denn woher sollen wir das verdient haben? Durch welche vorausgegangene Verdienste auf unserer Seite? Es mag sich einer nur nicht streicheln, sondern in sein Gewissen einkehren, die verborgenen Winkel seiner Gedanken durchsuchen, die Reihe seiner Handlungen betrachten; er schaue nicht hin auf das, was er ist, wenn er bereits etwas ist, sondern was er gewesen ist, um dann etwas zu sein, so wird er finden, daß er nur Strafe verdient habe. Wenn du also der Strafe würdig warst, und es kam jener, nicht um die Sünden zu bestrafen, sondern die Sünden zu vergeben, so ist dir Gnade verliehen, nicht Lohn vergolten worden. Woher hat die Gnade (gratia) ihren Namen? Weil sie umsonst (gratis) verliehen wird. Denn nicht durch vorausgegangene Verdienste hast du erkauft, was du empfangen hast. Diese Gnade also empfing der Sünder zuerst, daß ihm seine Sünden vergeben würden. Was hat er denn verdient? Er befrage die Gerechtigkeit, er findet Strafe; er befrage die Barmherzigkeit, er findet Gnade. Aber das hat Gott auch verheißen durch die Propheten; so nun hat er, da er kam zu geben, was er verheißen hatte, nicht bloß Gnade gegeben, sondern auch Wahrheit. Wie ist Wahrheit verliehen worden? Weil erfüllt wurde, was verheißen wurde.

       9.

      Was ist also das: „Gnade um Gnade“? Durch den Glauben verdienen wir Gott, und da wir nicht würdig waren, daß uns die Sünden vergeben würden, so heißt es Gnade deshalb, weil wir ein so großes Geschenk unverdienterweise empfangen haben. Was ist Gnade? Was umsonst verliehen wird. Was heißt „umsonst verliehen“? Was geschenkt, nicht vergolten wird. Wenn es geschuldet wurde, ist Lohn vergolten, nicht Gnade geschenkt worden; wenn es aber wahrhaft geschuldet wurde, dann bist du gut gewesen; wenn du aber wie es wahr ist, schlecht gewesen bist, jedoch an den geglaubt hast, der den Ungerechten rechtfertigt72 (was heißt, er rechtfertigt den Ungerechten? er macht den Ungerechten gerecht), so bedenke, was dir durch das Gesetz bevorstehen mußte, und was du durch die Gnade erlangt hast. Im Besitze der Gnade des Glaubens aber wirst du gerecht sein aus dem Glauben, denn „der Gerechte lebt aus dem Glauben“73, und wirst durch ein Leben nach dem Glauben Gott verdienen. Wenn du aber durch ein Leben nach dem Glauben Gott verdient hast, wirst du als Lohn die Unsterblichkeit und das ewige Leben empfangen. Auch das ist Gnade. Denn für welches Verdienst empfängst du das ewige Leben? Für die Gnade. Denn wenn der Glaube Gnade ist, und das ewige Leben gleichsam der Lohn des Glaubens ist, so scheint zwar Gott das ewige Leben als etwas Schuldiges zu erstatten (wem schuldig? dem Gläubigen, weil er es durch den Glauben verdient hat), allein weil der Glaube selbst Gnade ist, so ist auch das ewige Leben Gnade um Gnade.

       10.

      Höre den Apostel Paulus, wo er die Gnade bekennt und hernach den Lohn begehrt. Welches ist das Bekenntnis der Gnade bei Paulus? „Früher war ich ein Lästerer, Verfolger und Schmäher; aber ich habe“, sagt er, „Barmherzigkeit erlangt“74. Unwürdig nennt er sich, die Gnade zu erlangen, dennoch habe er sie erlangt, nicht durch seine Verdienste, sondern durch die Barmherzigkeit Gottes. Höre ihn, wo er bereits den Lohn fordert, obwohl er zuerst die Gnade unverdient empfangen hatte: „Denn ich“, sagt er, „ werde bereits geopfert, und die Zeit meiner Auflösung steht bevor. Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt; im übrigen ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt“. Schon begehrt er den Lohn, schon verlangt er das ihm Gebührende. Denn siehe nur das Folgende: „Die mir der Herr geben wird an jenem Tage, der gerechte Richter“75. Um vorher die Gnade zu erlangen, hatte er den barmherzigen Vater nötig, um den Lohn der Gnade zu erhalten, den gerechten Richter. Der den Gottlosen nicht verdammte, wird der den Gläubigen verdammen? Und doch, wenn du wohl überlegst, so hat Gott zuerst den Glauben gegeben, womit du ihn (Gott) verdientest; denn nicht durch das Deinige hast du verdient, daß dir etwas gebührte. Wenn er also nachher den Lohn der Unsterblichkeit erteilt, so krönt er seine Gaben, nicht deine Verdienste. Also Brüder, „wir alle haben von seiner Fülle empfangen“; von der Fülle seiner Barmherzigkeit, von dem Überflusse seiner Güte haben wir empfangen. Was? Nachlassung der Sünden, damit wir gerechtfertigt würden aus dem Glauben. Und was weiter noch? „Gnade um Gnade“, d. h. für die Gnade, in welcher wir aus dem Glauben leben, sollen wir eine andere erhalten, jedoch eben nur Gnade. Denn wenn ich sage, auch das sei geschuldet, so schreibe ich mir etwas zu, als ob ich ein Recht darauf hätte. Der Herr krönt aber in uns nur die Gaben seiner Barmherzigkeit, jedoch nur, wenn wir in der Gnade, die wir zuerst empfangen haben, beharrlich wandeln.

       11.

      „Das Gesetz nämlich ist durch Moses gegeben worden“, jenes Gesetz, welches die Schuldigen festhielt. Denn was sagt der Apostel? „Das Gesetz kam dazwischen, daß die Sünde zunehme“76. Dies war für die Stolzen von Nutzen, daß die Sünde zunahm; denn viel maßen sie sich bei und schrieben gleichsam ihren Kräften viel zu; und sie hätten die Gerechtigkeit nicht erfüllen können, wenn sie der nicht unterstützt hätte, der den Befehl gegeben. Da Gott ihren Stolz bändigen wollte, gab er das Gesetz, als wollte er sagen: Sehet, erfüllet es, damit ihr nicht glaubet, es gebe keinen Befehlenden. Es fehlt nicht der Befehlende, sondern es fehlt der Vollzieher.

       12.

      Wenn also der Vollzieher fehlt, warum vollzieht er es nicht? Weil er geboren ist mit dem Ableger (tradux) der Sünde und des Todes. Von Adam geboren, ging auf ihn über, was dort empfangen wurde. Der erste Mensch fiel, und alle, welche von ihm geboren sind, zogen sich durch ihn die Begierlichkeit des Fleisches zu. Es mußte ein anderer Mensch geboren werden, der keine Begierlichkeit an sich hatte. Mensch und Mensch, der eine zum Tod, der andere zum Leben. So sagt der Apostel: „Weil durch einen Menschen der Tod, darum auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten“. Durch welchen Menschen der Tod, und durch welchen Menschen die Auferstehung der Toten? Übereile nichts! Er fährt fort und sagt: „Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden“77. Wer gehört zu Adam? Alle, welche von Adam geboren sind. Welche zu Christus? Alle, welche durch Christus geboren sind. Warum sind alle in der Sünde? Weil keiner geboren ist außerhalb Adams. Daß sie aber aus Adam geboren wurden, geschah notwendig infolge der Verurteilung; durch Christus geboren werden, hängt vom Willen und der Gnade ab. Nicht gezwungen werden die Menschen, durch Christus geboren zu werden; dagegen nicht weil sie wollten, sind sie aus Adam geboren. Alle jedoch, die aus Adam geboren werden, sind mit Sünde behaftete Sünder; alle, die durch Christus geboren werden, sind gerechtfertigt und gerecht, nicht in sich, sondern in jenem. Denn in sich, wenn du fragst, gehören sie zu Adam; in jenem, wenn du fragst, gehören sie zu Christus78. Warum? Weil dieser, das Haupt, unser Herr Jesus Christus, nicht mit