3.
Also, meine Brüder, das möchte ich euch ans Herz gelegt haben: wenn ihr fromm und christlich leben wollt, dann schließet euch an Christus an nach dem, was er für uns geworden ist, damit ihr zu ihm gelanget nach dem, was er ist und nach dem, was er war. Er kam, um für uns das zu werden (was er nicht war), indem er das für uns geworden ist, worauf die Schwachen getragen werden und das Meer der Welt überfahren und zum Vaterland gelangen; da wird es keines Schiffes mehr bedürfen, weil man kein Meer zu überfahren hat. Besser ist es also, im Geiste das nicht zu sehen, was ist, und dennoch vom Kreuze Christi sich nicht zu trennen, als dasselbe im Geiste zu sehen und das Kreuz Christi zu verachten. Gut ist es überdies und sogar sehr gut, wenn es möglich ist, daß man sowohl sehe, wohin die Reise geht, als auch an das sich halte, worauf man auf der Reise getragen wird. Dies vermochten die großen Geister der Berge, welche Berge genannt worden sind, die ganz besonders das Licht der Gerechtigkeit erleuchtet; sie vermochten es und sahen das, was ist. Denn sehend sagte Johannes: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Sie sahen das, und um zu dem zu kommen, was sie von ferne sahen, trennten sie sich nicht vom Kreuze Christi und verachteten nicht die Niedrigkeit Christi. Die Kleinen aber, welche dies nicht verstehen können, aber vom Kreuze und Leiden und von der Auferstehung Christi sich nicht trennen, werden in demselben Schiffe zu dem geführt, was sie nicht sehen, in welchem auch jene zum Ziele kommen, die sehen.
4.
Dagegen aber hat es gewisse Philosophen dieser Welt gegeben, und sie suchten den Schöpfer durch das Geschöpf, weil er durch das Geschöpf gefunden werden kann, indem der Apostel ganz klar sagt: „Das Unsichtbare an ihm wird seit der Erschaffung der Welt durch das, was geworden ist, erkennbar angeschaut; auch seine ewige Kraft und Gottheit, so daß sie unentschuldbar sind“. Und er fährt fort: „Denn obwohl sie Gott erkannt hatten“; er sagt nicht: Weil sie ihn nicht erkannt hatten, sondern: „Denn obwohl sie Gott erkannt hatten, so haben sie ihn doch nicht als Gott verherrlicht oder Dank gesagt, sondern wurden eitel in ihren Gedanken und ihr unverständiges Herz ward verfinstert“. Warum ward es verfinstert? Er sagt weiter noch bestimmter: „Denn für weise sich haltend, sind sie Toren geworden“36. Sie sahen, wohin man kommen müsse, aber undankbar gegen den, der ihnen verlieh, was sie sahen, wollten sie sich selbst zuschreiben, was sie sahen, und stolz geworden, verloren sie, was sie sahen, und sie wandten sich zu den Götzen und Bildern und zum Dienste der Dämonen, um das Geschöpf anzubeten und den Schöpfer zu verachten. Aber das haben sie getan als solche, die bereits gestrauchelt waren; daß sie aber strauchelten, kam von ihrem Stolze; da sie aber stolz wurden, hielten sie sich für weise. Diese also, von welchen der Apostel sagt: „Obwohl sie Gott erkannt hatten“, sahen das, was Johannes sagt, daß durch das Wort Gottes alles geworden ist. Denn sowohl dies findet sich in den Büchern der Philosophen, als auch, daß Gott einen eingeborenen Sohn hat, durch welchen alles ist. Sie konnten das sehen, was ist, aber sie sahen es von ferne, sie wollten sich nicht an die Niedrigkeit Christi halten und doch würden sie in diesem Schiffe sicher zu dem gelangt sein, was sie von ferne zu sehen vermochten, und wertlos ward ihnen das Kreuz Christi. Man muß über das Meer, und du verachtest das Kreuz? O stolze Weisheit! Du verhöhnst den gekreuzigten Christus; er ist es, den du von ferne gesehen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“. Aber warum ist er gekreuzigt worden? Weil dir das Holz seiner Niedrigkeit nötig war. Denn von Stolz warst du aufgebläht und weit von jenem Vaterlande verstoßen; und durch die Fluten dieser Welt ist der Weg unterbrochen, und es ist keine Möglichkeit, zum Vaterland hinüber zu gelangen, außer du werdest vom Holze (des Kreuzes) getragen. Du Undankbarer, du verhöhnst den, der zu dir gekommen ist, damit du zurückkehrest. Er ist der Weg geworden, und zwar durch das Meer. Darum wandelte er auf dem Meere37, um zu zeigen, daß es einen Weg gibt auf dem Meere. Aber du, der du nicht wie er auf dem Meere wandeln kannst, laß dich tragen vom Schiffe, laß dich tragen vom Holze; glaube an den Gekreuzigten und du wirst zum Ziele gelangen können. Deinetwegen ist er gekreuzigt worden, um Demut zu lehren, und weil er, wenn er so käme wie Gott, nicht anerkannt würde. Denn wenn er so käme wie Gott, käme er nicht für diejenigen, welche Gott nicht sehen konnten. Denn nicht nach seiner Gottheit kam oder ging er, da er allgegenwärtig ist und von keinem Raum begrenzt wird. Aber als was kam er? Als Mensch erschien er.
5.
Weil er also so Mensch war, daß in ihm die Gottheit verborgen war, so wurde vor ihm her ein großer Mensch gesandt, durch dessen Zeugnis er als mehr erfunden würde denn als Mensch. Und wer ist dies? „Es war ein Mensch.“ Und wie sollte der etwas Wahres von Gott sagen können? „Von Gott gesandt.“ Wie hieß er: „Sein Name war Johannes“. Warum kam er? „Dieser kam zum Zeugnisse, daß er Zeugnis gebe vom Lichte, damit alle durch ihn glauben möchten.“ Wie beschaffen war der, welcher Zeugnis geben sollte vom Lichte? Etwas Großes war dieser Johannes, hervorragend durch Verdienste, groß an Gnade, groß an Würde! Bewundere ihn, bewundere ihn ganz und gar, aber als einen Berg. Ein Berg aber ist in der Finsternis, wenn er nicht vom Lichte bestrahlt wird. Also bewundere Johannes so, daß du auch hörest, was folgt: „Er war nicht das Licht“, damit du nicht, indem du den Berg für das Licht hältst, Schiffbruch am Berge leidest, keinen Trost findest. Doch was sollst du bewundern? Den Berg als Berg. Erhebe dich aber zu dem, der den Berg erleuchtet, der deshalb emporragt, damit er zuerst die Strahlen empfange und deinen Augen melde. Also: „Er war nicht das Licht“.
6.
Warum also kam er? „Sondern daß er Zeugnis gebe vom Lichte.“ Wozu das? „Damit alle durch ihn glauben möchten.“ Und von welchem Lichte sollte er Zeugnis geben? „Er war das wahre Licht.“ Warum ist hinzugefügt: „das wahre“? Weil auch ein erleuchteter Mensch Licht genannt wird; aber das wahre Licht ist jenes, welches erleuchtet. Denn auch unsere Augen werden Lichter genannt, und doch, wenn nicht entweder während der Nacht eine Lampe angezündet wird oder am Tage die Sonne scheint, sind jene Lichter zwecklos offen. So war auch Johannes ein Licht, aber nicht das wahre Licht, weil er, wenn nicht erleuchtet, Finsternis wäre, aber durch Erleuchtung ist er ein Licht geworden. Würde er aber nicht erleuchtet, so wäre er Finsternis, wie alle Gottlosen, zu denen der Apostel, als sie bereits glaubten, sagte: „Ihr waret einst Finsternis“. Jetzt aber, weil sie den Glauben angenommen hatten, was (sind sie)? „Jetzt aber“, sagt er, „Licht im Herrn“38. Würde er nicht hinzusetzen: „im Herrn“, so würden wir es nicht verstehen. „Licht“, sagt er, „im Herrn“, Finsternis waret ihr nicht im Herrn. „Denn ihr waret einst Finsternis“; da hat er nicht beigefügt: „im Herrn“. Also Finsternis in euch, Licht im Herrn. So war auch jener „nicht Licht, sondern er sollte Zeugnis geben vom Lichte“.
7.
Wo aber ist das Licht selbst? „Es war das wahre Licht, welches erleuchtet jeden Menschen, der in diese Welt kommt“. Wenn jeden Menschen, der kommt, dann auch den Johannes. Er selbst also erleuchtete den, von welchem er gezeigt werden wollte. Eure Liebe verstehe. Er kam nämlich zu den matten Geistern, zu den kranken Herzen, zu dem geschwächten Auge der Seele39. Dazu war er gekommen. Und wie konnte die Seele sehen, was auf vollkommene Weise ist? So, wie es häufig vorkommt, daß man an einem beleuchteten Körper die aufgegangene Sonne erkennt, die wir mit den Augen nicht wahrnehmen können. Denn auch die, welche kranke Augen haben, sind fähig, eine von der Sonne beleuchtete und bestrahlte Wand zu sehen, oder einen Berg oder Baum oder etwas Derartiges sind sie zu sehen fähig; und in einem anderen beleuchteten Körper zeigt sich ihnen als aufgegangen die Sonne, für deren Anblick sie noch keine geeignete Sehkraft haben. So also waren alle jene, zu denen Christus gekommen war, noch nicht ganz fähig, ihn zu sehen; er bestrahlte den Johannes, und durch ihn, der bekannte, daß er bestrahlt und erleuchtet sei, selbst aber nicht bestrahle und erleuchte, wurde jener erkannt, welcher erleuchtet, wurde jener erkannt, welcher erhellt, wurde jener erkannt, welcher