Der Staatsminister reist aufs Land. Bo Balderson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bo Balderson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711459713
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hatte. »Haben Sie Kinder? ... Das ist gut, hier sollten Kinder sein, das Haus ist viel zu groß für einen einsamen Menschen. Aber wir sind nicht hier, um die Zeit zu verplaudern, Sie sind spät dran. Der Kommissar besteht auf Pünktlichkeit. Außerdem ist er ungehalten wegen der Mauerbesteigung. Im Haus ist der Alarm so laut, dass man den Verstand verlieren könnte. Wenn ich nur wüsste, wozu der Alarm gut sein soll, wo es hier doch überhaupt keine Wertsachen gibt. Jedenfalls nicht, soweit ich weiß. Und dann der Revolver, den er die ganze Zeit mit sich rumträgt und mit dem er drinnen wie draußen rumballert! Irgendwann passiert noch ein Unglück, so wahr ich hier stehe. Zum Glück kommt ihn ja kaum noch jemand besuchen. ›Wie will der Herr Kommissar das Haus verkaufen, wenn die Wände voller Einschusslöcher sind?‹, frage ich ihn immer wieder. ›Häng einfach ein Bild davor‹, sagt er dann. Aber die Bilder reichen nicht mehr aus, also hab ich angefangen, Wandbehänge zu weben. Nein, hier entlang bitte!«

      Wir liefen Gartenwege entlang, die so mit Unkraut überzogen waren, dass man sie kaum von dem umgebenden Rasen unterscheiden konnte, und unter Bäumen hindurch, deren Kronen die Sonne und den Himmel beinahe gänzlich abschirmten.

      »Es ist eine Schande, wie es hier aussieht. Aber ein einzelner Mensch kann sich unmöglich um das Haus und den Garten kümmern. Es ist alles so übermäßig groß. Und der Kommissar muss auch den lieben langen Tag beaufsichtigt werden. Nein, Pålle, sei still! Dass du aber auch jeden ausbellen musst, den du nicht kennst. Ja, natürlich, du langweilst dich. Du darfst nicht auf die andere Seite der Mauer, und hier kommt nie jemand vorbei. Wissen Sie, ich habe Pålle letzten Winter von meinem Bruder aus Stockholm bekommen. Er fand, ich hätte ein wenig Gesellschaft nötig. So ist brav, Platz, mach Platz!«

      Aus dem hohen Gras war ein kleiner Pekinese hervorgeschossen und kläffte uns grell und hartnäckig an. Jetzt verzog er sich mit einem vorwurfsvollen Blick auf uns Eindringlinge in sein überwuchertes Revier zurück.

      Wenige Schritte später standen wir vor dem Haus.

      4

      An den unterschiedlichsten Orten des Landes hatte ich diese Sorte Häuser schon gesehen, die von den Anzeigen des Staatsministers aus ihrem Dornröschenschlaf in der Dornenhecke geweckt wurden. Dieses prangte groß und weiß und kapitalhungrig inmitten der grünen Pracht, wie eine in die Jahre gekommene Braut in Erwartung ihres nicht auftauchenden Bräutigams.

      Wir stiegen die Treppe zu einer höher gelegenen Veranda hoch, die sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte. Ich drehte mich um, um mir einen Überblick über den Garten zu verschaffen. Aber außer Bäumen und Büschen, die überall dort wucherten, wo sich der Garten eigentlich den Blicken und Promenierwilligen öffnen sollte, sah ich nichts.

      »Hier muss aber eine Menge abgeholzt werden«, nuschelte der Staatsminister.

      Das Wohnzimmer war so dunkel, wie es von einem Wohnzimmer im Dschungel nicht anders zu erwarten war. Ich hielt nach Einschusslöchern Ausschau, wobei ich nur mit Mühe den gestickten Text auf dem Wandbehang entziffern konnte, der in Knöchelhöhe an die Wand genagelt war. (Vermutlich hatte der Kommissar auf eine Ratte geschossen.) Sprich freundlich mit dem müden, das ist wie medizin. Das klang wie der verzweifelte Schrei einer gemarterten Haushälterinnenseele. Oder einer angeschossenen Ratte.

      »Der Kommissar erwartet Sie in seinem Zimmer«, sagte Fräulein Elmgren und führte uns durch die Eingangshalle, wo ich meinen Mantel ablegen konnte. Von der gegenüberliegenden Wand starrten uns drei Eichentüren an. Die Haushälterin klopfte an die mittlere.

      »Herr Kommissar, der Herr aus Stockholm ist jetzt da!«

      »Hat er den Brief vorgezeigt? Und seinen Ausweis? Was hatte er auf der Mauer zu suchen? Ist der Immobilienexperte auch dabei?«

      Die Fragen wurden in schneller Folge abgeschossen. Die Stimme klang scharf, gereizt.

      »Jawohl, er hat sowohl Brief als auch Ausweis vorgezeigt. Und der Immobilienexperte ist ebenfalls anwesend. Er war der Akrobat auf der Mauer. Wollte wahrscheinlich überprüfen, ob sie solide gebaut ist.«

      »Hat er sich auch ausgewiesen?«

      »Hat er. Aber von dem ist nichts zu befürchten. Dazu ist er viel zu alt und schwächlich. Kraftlos, würde ich sagen. Er hat einen ganz ungesunden Teint.«

      »Stellen Sie ihn so vor die Tür, dass ich ihn sehen kann!«

      Fräulein Elmgren fasste mich am Arm und zog mich vor ein ähnliches Guckloch wie das im Eingangstor. Ich wurde neuerlich einer Observierung unterzogen. Das war ja schlimmer als beim Arzt.

      »Ich verbürge mich für seine Harmlosigkeit!«, schrie der Staatsminister übereifrig.

      Allmählich reichte es aber. Immerhin war ich in meiner Jugend zwischen Vaxholm und Skäggaudd hin und her gerudert, eine Strecke von gut und gerne drei Kilometern. Ich spannte den Brustkorb und streckte den Rücken.

      »In der Tat, eine halbe Portion«, war nun eine geradezu amüsierte Stimme von der anderen Seite der Eichentür zu vernehmen. »Den schaffe ich ja mit einem Arm auf dem Rücken.«

      Das Schloss klackte.

      Die Haushälterin öffnete die Tür.

      Er saß reglos vor uns und starrte uns an, und er saß im Rollstuhl. Trotzdem war mein erster Eindruck: Stärke. Alles an dem Mann, der dort vor uns saß, wirkte kräftig, massiv: Kopf, Schultern, Nacken. Er hatte ein breites Gesicht mit markanten Falten zwischen Mundwinkel und Nasenflügel. Die Stirn schlug zwei Kerben in das graue, kurz geschnittene Haar. Hände und Gesicht waren sonnengebräunt. Ich schätzte ihn auf fünfundfünfzig, sechzig Jahre.

      Wir standen vor der Türschwelle, und er saß auf der anderen Seite in seinem Rollstuhl. Wir nahmen uns gegenseitig ins Visier, möglicherweise starrten wir sogar, aber irgendwann war die Inspektion abgeschlossen, und Kommissar Wallman rollte den Rollstuhl rückwärts in den Raum hinein und machte uns Platz. Auch in dieser Bewegung, die man ungewollt mit Krankheit und Schwäche assoziierte, strahlte er eine ungeheure Kraft aus.

      »Setzen Sie sich«, sagte er, ohne zu lächeln. Er trug eine Art Overall aus weichem, braunem Stoff, der bis zum Hals geschlossen war.

      Wir stellten uns mit Namen vor und tauschten ein paar Begrüßungsformeln aus.

      Ich sah mich in dem Raum um, der als kombiniertes Schlaf- und Arbeitszimmer diente. In der einen Ecke stand ein Bett, in der anderen ein Tresor, dazwischen ein Schreibtisch. Die Jalousien vor den zwei Fenstern waren runtergelassen, sodass der Raum im Halbdunkel lag.

      »Wie Sie sehen, bin ich behindert«, sagte der Mann barsch ohne den Anflug eines Lächelns, wie man es sonst häufig bei Menschen sieht, die an den Rollstuhl gefesselt sind, mit dem sie die uneingeschränkten und gesunden Menschen entlasten und sich für die eigene Schwäche und Hilfsbedürftigkeit entschuldigen wollen. In der Körperhaltung und Mimik dieses Mannes fanden sich allerdings nur Trotz, Bitterkeit und Aggressivität.

      »Ich bin nicht als Krüppel geboren worden. Mein ganzes erwachsenes Leben war ich Polizist, die letzten Jahre Polizeichef in Mellanstad. Vor vier Jahren wurde ich im Dienst von einem Verbrecher angeschossen. Am vierzehnten Juni sind es vier Jahre. Die Kugel hat das Rückenmark beschädigt, meine Beine sind seitdem gelähmt. Andere Körperfunktionen sind nicht betroffen. Ich hätte problemlos als Polizeichef Weiterarbeiten können. Die Arbeit besteht sowieso zum größten Teil aus Schreibtischarbeit, und mit meinem Rollstuhl komme ich überall hin, wo ich will. Aber man wollte mich ganz offensichtlich loswerden. Ich war schon immer sehr gründlich, und davon fühlten sich die hohen Herren offenbar auf ihre empfindlichen Zehen getreten. Also haben sie mich abgeschoben, in die Frührente entlassen, wie einen wert- und nutzlosen Gegenstand. Nach fünfunddreißig Jahren! Obwohl ich im Dienst verletzt wurde! Im Dienst!«

      Die letzten Worte unterstrich er mit ein paar harten Schlägen auf die Stuhllehne. Er klang bitter, hasserfüllt. Sein Blick ruhte auf mir, aber in Gedanken war er bei den Ungerechtigkeiten der Vergangenheit. Mit sichtbarer Anstrengung kehrte er in die Gegenwart zurück. Seine kräftigen Hände klammerten sich um die Metalllehnen.

      »Na, das wird Sie sicher herzlich wenig interessieren.