Der Staatsminister reist aufs Land. Bo Balderson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bo Balderson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711459713
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der Stadt.

      Der Staatsminister reckte den Hals und murmelte Straßennamen vor sich hin, und nach ausgedehntem, verwirrendem Herumgekurve, vorbei an kleinen, roten Backsteinhäuschen in kleinen, gepflegten Gärten, erreichten wir waldigeres Gebiet. Die Villen auf den Lichtungen boten einen eindeutig individuelleren Anblick.

      »Hier muss es sein!«, rief der Staatsminister und bog in einen schmalen Weg ein, der sich gleich darauf auf einen Kiesplatz mit einem großen »Schutzbaum« in der Mitte öffnete.

      Es war ein stattliches Haus, das Präsident Åkerblom sein Eigen nannte. Wie einer der Gutshöfe aus der Zeit Gustav Vasas, in dem jener in seiner stürmischen Jugendzeit häufig Schutz suchte. Braun gebeiztes Fachwerk, Laubengänge, kleine Sprossenfenster und ein insgesamt rustikaler Stempel. Wohl kaum der Ort, an dem ein einsamer Vizepräsident die ganze Nacht hindurch Hardrock hörte, dachte ich und schnallte mich los.

      Da trat Präsident Åkerblom aus seinem Haus.

      Er war auch eher von der rustikaleren, altmodischeren Sorte.

      Nicht, dass er sonderlich alt gewesen wäre, Mitte fünfzig, vielleicht. Und die Augen hinter der Goldrahmenbrille blinzelten lebhaft. Aufrechte Haltung und energischer Gang. Aber seine Erscheinung strahlte etwas leicht Angestaubtes aus. Vielleicht lag es an der grauweißen Ponytolle, die ihm in die Stirn fiel. Oder an seiner Kleidung. Er trug ausgebeulte, fischgrätengemusterte Knickerbocker, einen Pullover mit großen Karos, Strickstrümpfe mit kleinen Karos und Lederwanderschuhe. (Dieser Aufzug, wohl mit Ausnahme der Lederwanderschuhe, war gerade topmodern, wie ich später erfuhr. Trotzdem bin ich überzeugt, dass Johan Åkerblom zu der zeitlosen Spezies Mensch gehört, die alle zehn Jahre für eine kurze Saison modern sind, ganz ohne eigenes Zutun.)

      »Herzlich willkommen!«, rief Åkerblom und strich sich die grauweiße Tolle aus der Stirn. »Nein, ich nehme das Gepäck! Immer rein mit euch in die gute Stube! Das Essen ist gleich fertig. Elsa ist verreist, ihr werdet euch also mit dem begnügen müssen, was ich zu bieten habe. Nein, nicht in die Küche, da ist es zu unordentlich!«

      Das Durcheinander im Wohnzimmer war auch nicht von schlechten Eltern. Besonders beeindruckend fand ich die Zeitschriftenstapel, die über den ganzen Boden verteilt lagen und Stühle, Sofas und Tische unter sich begruben, sodass sie aussahen wie nachlässig zugedeckte Leichen. Dazwischen lagen diverse Reichstagshandouts und ungeordnete Unterlagen, die wie aufgescheuchte Hühner aufflatterten, als wir den Raum durchquerten.

      Ich räumte einen Stapel Regierungsvorlagen von einem Bauernstuhl, setzte mich und blätterte in dem kleinen Zeitungshügel zu meinen Füßen. Die älteste Ausgabe war eine Woche alt. Daraus schloss ich, dass Frau Åkerblom an diesem Tag das Haus verlassen hatte.

      »Wenn ich nur wüsste, wo Elsa den Küchenfreund versteckt hat!«

      Unser Gastgeber stapfte in einer Wolke Essensdünste aus der Küche ins Wohnzimmer und ließ seinen Blick verzweifelt über das Zeitungschaos schweifen. Hier kam offensichtlich jede Hilfe zu spät: ein Mann, der im Wohnzimmer nach dem Pfannenwender sucht, hat eindeutig die Kontrolle über sein Zuhause verloren.

      Der Staatsminister sagte, ein Vorlegemesser täte es auch, worauf der Präsident mit einem dankbaren Grunzen zurück in die Küche entschwand.

      »Ich verstehe gar nicht, wie es so schnell so unordentlich werden kann«, sagte er wenig später beim Abendessen, zu dem etwas zäh Gebratenes serviert wurde, bei dem man nicht unnötig lange verweilen sollte. »Dabei bin ich doch eigentlich nur samstags und sonntags zu Hause. Unter der Woche übernachte ich in meinem Zimmer im Reichstag in Stockholm.«

      Er kratzte sich in der weißen Mähne und sah uns aufrichtig verzweifelt durch den Goldrahmen an.

      »Ich vermute, die Zeitungen sind an allem schuld«, fuhr er fort. »Ich muss sie ja alle lesen, überregionale und lokale Zeitungen. Und die kommen, ob ich zu Hause bin oder nicht. Am Wochenende muss ich sie dann durcharbeiten und gucken, ob sich etwas auszuschneiden lohnt. Aber kaum schlage ich eine Zeitung auf und fange an zu blättern, werde ich von einem Anruf unterbrochen oder einem Besuch, und so bleiben sie liegen!«

      Er zeigte mit einer hilflosen Geste über das bedeckte Mobiliar.

      »Es hat etwas so Demoralisierendes, wenn die Zeitungen sich immer weiter ausbreiten, und dann fange ich an, mit dem Aufräumen und dem Abwasch zu schlampern, und überhaupt. Ich war richtig froh, als euer Anruf kam, dass ihr hier wohnen wollt. Das zwingt mich sozusagen dazu, den Zeitungen den Garaus zu machen! Dachte ich. Aber dann konnte ich die Schere nicht finden und musste mit den Vorbereitungen fürs Abendessen anfangen.«

      »Wie wäre es mit einer Haushaltshilfe?«, schlug der Staatsminister vor.

      Johan Åkerblom sah ihn erschrocken an. Die Hand strich über die Stirntolle.

      »Um Himmels willen, das geht auf keinen Fall! Sie würde sich bloß auf die Zeitungen stürzen, sie zusammenfalten und stapeln. Wie soll ich da jemals wiederfinden, was ich ausschneiden wollte. Außerdem kann man einer Putzfrau ein Chaos wie dieses kaum zumuten.«

      Damit wollte er wohl ausdrücken, dass der Zustand in seinem Heim bereits die Grenze überschritten hatte, wo man noch guten Gewissens Hilfe von außen in Anspruch nehmen konnte. Und ich konnte ihn verstehen, er in seiner Position war angreifbar, er musste an seinen Ruf bei seinen Wählern denken. Wenn bekannt wurde, dass der Präsident nicht in der Lage war, in seinen eigenen vier Wänden für Ordnung zu sorgen, dass es in seinem Haus aussah wie in einem Schweinestall ...

      »Ist Elsa lange fort?«, fragte der Staatsminister.

      »Wir haben fünf Kinder, und sie bleibt drei, vier Tage bei jedem von ihnen. Mit drei Wochen muss ich schon rechnen. Und jetzt ist gerade mal die erste vorbei.«

      Ich stellte fest, dass das Blättern in dem Zeitungsstapel mich der Wahrheit sehr nah gebracht hatte.

      »Ach, fünf Kinder sind schon eine Menge«, seufzte Johan Åkerblom. »Natürlich war es auch oft anstrengend, als sie noch alle zu Hause wohnten. Aber eigentlich finde ich es viel anstrengender, seit sie nicht mehr da sind. Im Herbst zieht Björn, unser Ältester, für ein paar Jahre mit seiner Familie nach Japan. Ich habe mich noch nicht getraut, Elsa zu fragen, ob sie ihn dort auch besuchen will. Da wäre sie ja Monate unterwegs!«

      Der Staatsminister schlug dem Präsidenten vor, bei einem der vielen Ausschüsse des Reichstags eine Reise dorthin zu beantragen, an der er natürlich selber teilnehmen würde. Aber jetzt würde er, der Staatsminister, erst mal einen Kaffee ansetzen, bevor sie gemeinsam die Zeitungsberge in Angriff nehmen würden.

      Beim Kaffee erwähnte ich, dass die Autofahrt mich sehr erschöpft hätte. Johan Åkerblom sprang auf.

      »Wo bin ich bloß mit meinen Gedanken! Ihr wollt natürlich sehen, wo ihr untergebracht seid! In den Kinderzimmern war niemand mehr, seit Elsa weg ist, da ist es also sauber und aufgeräumt. Aber die Betten müssen noch bezogen werden. Meine Güte, wo mag Elsa bloß die Bettwäsche haben?«

      Der Staatsminister rettete die Situation, indem er verkündete, dass seine Frau Margareta uns Bettzeug eingepackt hätte. Ich wurde in mein Zimmer geführt, wo ich meine Taschen auspackte und mein Nachtlager bereitete. Dann legte ich mich mit den »Beiträgen zur Erforschung der Kämpfe zwischen König Sigismund und Herzog Karl 1598–1599« ins Bett, einer Abhandlung, die mich mit ihrem umfangreichen Anmerkungsapparat schon lange reizte.

      3

      Um neun Uhr am nächsten Morgen betrat der Staatsminister mit einem Teetablett mein Zimmer und teilte mir mit, dass wir in einer Stunde mit Kommissar Wallman verabredet seien.

      Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, was das bedeutete.

      »Mord!«, rief ich und zerkrümelte den Frühstückskeks.

      »Mord?!«, echote der Staatsminister enthusiastisch. »Wer wurde ermordet? Warum hast du mich nicht geweckt! Raus aus den Federn, wir müssen die Spuren sichern!«

      Nach einem ausdauernden Hin und Her verwirrter Rufe in beide Richtungen stellte sich glücklicherweise heraus, dass keiner von uns eine Leiche