Der Staatsminister reist aufs Land. Bo Balderson. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bo Balderson
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711459713
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er bekanntermaßen überzeugend zu tun versteht – und bezahlte die Zollgebühren.

      Die Angelegenheit wäre damit normalerweise aus der Welt gewesen, hätte der Zollbeamte sich nicht – ob aus Pflichtgefühl oder Geltungsdrang, das ließ sich hinterher nicht mehr klären – an eine der einschlägigen Abendzeitungen gewandt und von seinem Fang berichtet. Der diensttuende Redakteur der Abteilung Menschenhatz rief umgehend den Staatsminister an, um Hintergrundinformation einzuholen. Und der Staatsminister, der ungern schweigt, erzählte ihm so dies und das von seinen und den Essgewohnheiten seiner Kinder. Der Journalist machte sich Notizen, bedankte sich und rief danach den Ministerpräsidenten an, der wiederum nicht so leicht zu erreichen war, da er an einem Kongress der Guttempler in Jönköping teilnahm. Er hatte einen ermüdenden Tag und eine noch viel ermüdendere Tagung hinter sich, mit endlosen Vorträgen über den Teufel Alkohol und das Elend der Welt. Ganz davon abgesehen war es ein Uhr nachts, als er in seinem Hotelzimmer vom Klingeln des Telefons aus dem Schlaf gerissen wurde. Er kriegte nur mit, dass der Expressen am Apparat war und es mal wieder um den Staatsminister ging. Während der Redakteur durch eine rauschende und knackende Leitung von den Holzkisten erzählte, kämpfte der Ministerpräsident sich Stück für Stück aus dem Schlaf empor, und als Stockholm verstummte, hatte er abgespeichert, dass der Staatsminister mit sechzehn Kisten finnischem Wodka, Koskenkorva oder so ähnlich, vom Zoll erwischt worden war.

      »Das darf doch nicht wahr sein! Das darf doch, verdammt noch mal, nicht wahr sein!«, schrie er und war endgültig wach.

      »Aber wenn ich’s doch sage«, erwiderte der Redakteur und wunderte sich ein wenig, weshalb der Kerl wegen dem bisschen Konfekt für die Kinder so einen Aufstand machte. »Ich habe eben erst mit ihm gesprochen und mir die Geschichte von ihm bestätigen lassen. Ist doch eine hübsche Anekdote.«

      »Wie viel, sagten Sie?«

      »Sechzehn Kisten.«

      »Sechzehn Kisten? Sechzehn Kisten? Verkauft er ... Mein Gott, ist er etwa so zu Reichtum gekommen ...?«

      »Er sagte, es wäre für die Kinder gewesen.«

      »Für die Kinder?«

      »Ja. Einmal pro Woche, am Samstag, gibt’s was für alle. Er hält es für sinnvoller, ihnen einmal eine ordentliche Ration zu geben, als ständig was zwischendurch. Auf diese Weise hat er auch viel besser im Blick, was sie zu sich nehmen. Bei ihren Freunden kriegen sie schon genug dubioses Zeug. Salzlakritzschlangen und Schaumratten, das kann doch nicht gesund sein. Er kauft nur Qualitätsware, sagt er. Selbst das Baby ist verrückt danach und fängt an zu schreien, wenn es nicht genauso viel wie die anderen bekommt. Und hinterher achtet er darauf, dass sich alle gründlich die Zähne putzen.«

      »Die Zähne? Glaubt er, es nützt was, sich hinterher die Zähne zu putzen?«

      »Er selbst leert auch eine Kiste pro Woche, behauptet er.«

      »Eine Kiste pro Woche ... Aha, jetzt verstehe ich, wieso er sich so merkwürdig benimmt! Und alles, was er sagt ... Warum bin ich nicht viel eher darauf gekommen ...«

      »Werden Sie Maßnahmen ergreifen, Herr Ministerpräsident?«

      »Selbstverständlich! Er muss natürlich zurücktreten! Nicht einen Tag länger ... Sechzehn Kisten ... Selbst das Baby ... Eine Kiste pro Woche ...«

      »Herr Ministerpräsident, halten Sie diese Reaktion nicht für etwas zu drastisch? Meinen Sie nicht, das könnte von den Wählern möglicherweise ...?«

      »Es ist mir scheißegal, wie das aufgefasst wird! Nach so einem Skandal kann er doch unmöglich weiter in der Regierung bleiben. Der Kerl ist ja kriminell, der gehört doch hinter Gitter ... Sechzehn Kisten ... Lieber eine ordentliche Ration pro Woche ... Zähne putzen ... Koskenkorva ...«

      Am nächsten Tag walzte der Expressen mit fetten gewichtigen Schlagzeilen, die sich durch ihr eigenes Gewicht vom Papier zu lösen schienen, die gesamte Konkurrenz platt:

      Der ministerpräsident:

      Staatsminister

      Wegen geleekonfekt

      Seiner kinder

      Im gefängnis!

      2

      Der Staatsminister kam ohne Zwischenfälle mit seiner Zeitung zurück.

      Wir fuhren weiter durch die grüne, frühlingsfrische Landschaft.

      Während der Staatsminister irgendwas von einer Hündin faselte, die trotz mehrerer Versuche keine Welpen kriegte, schweiften meine Gedanken zu unserem Nachtquartier ab. Wir hatten uns im Stadthotel in Mellanstad einquartiert. Ob es wohl eher von der älteren, knarrenden oder von der modernen, hellhörigen Sorte war?

      Mit einem Seufzer überließ ich das Stadthotel der Zukunft und notierte mir im Gedächtnis, dass ich mir unbedingt die Domkirche ansehen wollte, insbesondere den mittelalterlichen Taufstein ...

      »Ich habe dir doch mitgeteilt, dass ich die Hotelzimmer abbestellt habe?«, unterbrach der Staatsminister meine Überlegungen. »Wir wohnen stattdessen bei Johan Åkerblom. Das ist viel netter, persönlicher.«

      Das war mir neu.

      Ich konnte mich nicht erinnern, einen Johan Åkerblom zu kennen.

      Also fragte ich nach.

      »Du weißt nicht, wer Johan Åkerblom ist? Du bist ihm bestimmt schon mal begegnet. Oder hast zumindest von ihm in der Zeitung gelesen. Er ist Reichstagspräsident. Stellvertretender Vizepräsident. Dritter Vizepräsident, um genau zu sein. Ein alter Parteigenosse. Von mir, versteht sich. Hat sich zwanzig Jahre lang in Västmanland aufstellen lassen. Davor war er Volksschullehrer. Da könnt ihr pädagogische Erfahrungen austauschen, ist das nicht wunderbar? Er wohnt bei Mellanstad. Ganz in der Nähe unserer Immobilienobjekte. Praktisch, oder?«

      »Weiß er davon?!«

      Meine hochgeschraubte Stimmlage war durchaus berechtigt, hatte der Staatsminister mich doch schon des Öfteren in spontane Besuchsüberfälle verwickelt, Morde inklusive, die jeden Hotelaufenthalt in den Schatten stellten.

      »Aber natürlich weiß er Bescheid! Man kann die Leute doch nicht einfach überfallen, ohne sich vorher anzukündigen! Ich habe ihn heute Morgen angerufen, und er klang hocherfreut. Na ja, zumindest nicht ablehnend. Die Kinder sind aus dem Haus, und seine Frau macht gerade eine Rundreise und besucht sie. Da fühlt er sich doch sicher einsam und langweilt sich. Du hast sogar ein eigenes Zimmer! Ich habe gesagt, dass du nur unter der Bedingung mitkommen würdest.«

      Mit Familienanschluss untergebracht zu sein ist fast noch schlimmer, als im Hotel zu wohnen, weil man sich dem Tagesrhythmus der Gastgeber und ihren häufig sehr eigenartigen Gewohnheiten anpassen muss. Bei einem unserer Ausflüge musste ich beispielsweise um sechs Uhr morgens aufstehen, um unserem Gastgeber zu seinem achtzigsten Geburtstag ein Ständchen zu bringen. (Der zu dem Zeitpunkt bereits tot war.) Für einen empfindlichen Magen kann auch die Nahrungsaufnahme zum echten Problem werden. Wie oft habe ich mich schon von trockenen Keksen oder Zwiebäcken ernährt, die ich heimlich in meinem Zimmer gegessen habe, weil es bei den Mahlzeiten ausschließlich fette Fleischwürste, gebratene Leber oder klumpige Puddings gab. Besonders schwer zu ertragen sind die Familien mit Kindern. Die Kleinsten halten einen die ganze Nacht mit ihrem Gebrüll wach, die älteren mit nächtlichen Musikorgien. Was habe ich schon mit Stöcken an Decken und Wände geklopft, aber das Gejohle der Idole übertönt alles. Die meisten Eltern entwickeln im Laufe der Jahre eine Widerstandskraft, die schon an Immunität grenzt und sie gegen jede Art von Klagen taub macht. Und für einen Gast geziemt es sich ja wohl kaum, diesbezüglich ein Machtwort zu sprechen.

      In diesem Fall waren die Kinder bereits ausgeflogen. Aber wer konnte schon wissen, welchen nächtlichen Ausschweifungen sich der Präsident in Abwesenheit seiner Frau hingab?

      Ich näherte mich Mellanstad mit sehr widersprüchlichen Gefühlen. Der Countdown der Schilder von 110 über 90 auf 70 bis 50 km/h ging schnell, danach passierten wir den unvermeidlichen Gürtel aus Tankstellen, die sich auf die übliche vulgäre Weise darboten. In dem alten Stadtkern