Pächter der Zeit. Thomas Flanagan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Flanagan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711483978
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Volk und eurem eigenen Land. Und wenn ich euch befehle, auf die Männer abzufeuern, die unseren Feinden dienen, dann erteile nicht ich den Befehl, dann sprechen durch mich die Worte unseres Eides. Denkt an den Eid.«

      Denkt an den Eid. Die Gelehrten des Mittelalters, die Realisten und die Nominalisten, erschöpften einander in Disputen darüber, ob Wörter und Ideen eine eigene Existenz haben, so wie Stühle und Sterne und Berge. Ned hätte dieses Rätsel für sie lösen können, Sein ganzes Leben lang war der Eid, den er auf die Irische Republik abgelegt hatte, für ihn so wirklich und gewiß wie Nerven und Gewebe seines eigenen Körpers. Wir dachten damals nicht weiter darüber nach, wie sein Leben durch den Eid geformt werden würde, oder warum, aber die Macht, die der Eid seinen Worten verlieh, stand außer Frage. Als ob wir uns alle in einer geheimen Bruderschaft verbunden hätten, deren unsichtbares Netz sich weit über unsere Berge hinaus erstreckte, geheiligt und absolut.

      Sie klangen uns noch immer in den Ohren, hallten in seiner rauhen, mitleidslosen Stimme wider, als er die Jungs entließ. Sogar Vincent, unser Scherzbold vom Dienst, fröhlich und nett, war eine Zeitlang stumm. Er ging mit Bob und Ned und mir zur Straße, und das tat auch Pat Dunphy, während die anderen Männer aus Lackan hinten auf ihn warteten und uns ohne Überraschung oder Neugier nachschauten, als ob nur zu erwarten gewesen wäre, daß Pat diese Verantwortung anvertraut würde. Und es waren nicht nur die Männer aus Lackan, die Ned in dieser Nacht gewonnen hatte. Ned, wie mir später aufging, als ich ins Bett ging und mir vor dem Einschlafen alles noch einmal durch den Kopf gehen ließ, hatte erkannt, daß er Eindruck auf uns machen mußte, und dieser Aufgabe hatte er sich gewachsen gezeigt. Er hatte Pat so eingesetzt wie ein wahrer Kommandant, aber seine Abschiedsrede hatte von mehr als nur von Geschick gezeugt. In Ned steckte Eisen, und er hatte es für uns aufblitzen lassen.

      Vincent ging neben uns und führte sein Pferd am Zügel, und als wir eine Weile gegangen waren, blieb er stehen und zog eine Taschenflasche aus seinem Mantel, die ich schon kannte, einen schönen Gegenstand aus gehämmertem Silber, mit einem Muster aus Kreisen und Spiralen. Er drehte den Stöpsel los und trank einen Schluck, dann reichte er die Flasche an Pat weiter. »Sergeant Dunphy«, sagte er. Dunphy nahm ohne zu zögern an, als er sie aber fast bis an die Lippen gehoben hatte, hielt er plötzlich inne und sah sich zu Ned um. Aber Ned nickte, Dunphy trank, wischte die Öffnung dann sorgfältig mit dem Ärmel ab und reichte sie an Bob weiter, und so wanderte sie um durch unseren kleinen Kreis. Es war viel besserer Whiskey als an Conefrys Tresen ausgeschenkt wurde, nur die besten Sorten, die in den Kilpeder Arms in Reserve gehalten wurden, konnten ihm gleich kommen, er war weich und hatte nur einen ganz leisen Rauchgeschmack, der Gaumen und Zunge liebkoste.

      Ned trank als letzter von uns, und ehe er trank, sah er uns alle der Reihe nach an, dann nahm er einen tieferen Schluck als irgendeiner von uns anderen, obwohl Dunphys harter Schädel in Bezug auf Schnaps geradezu legendär war. Dann ließ er die Flasche sinken, wischte sich die Lippen ab wie vorhin Pat, und hielt sie in der offenen Hand, während die Finger seiner anderen Hand in der Dunkelheit über die unsichtbare Gravur fuhren.

      »Das ist ein schöner Behälter für solchen Whiskey, Vincent«, sagte er. »Die Getränke von Kilpeder können zu keiner Klage Anlaß geben.«

      »Von wegen Kilpeder«, erwiderte Vincent. »Das stammt aus meines Vaters Privatvorrat, von dem er ein Glas serviert, wenn er einen Bischof oder Monsignore zu Besuch hat. Wenn er wüßte, daß wir damit auf unsere Organisation angestoßen haben, dann würde er einen Herzschlag erleiden, der arme Mann.«

      »Feiner Whiskey«, sagte Ned. »In einer kalten Winternacht in Silber transportiert. Er kam gerade richtig. Aber damit, Vincent, hat es ein Ende. Niemals, niemals, egal aus welchem Grund, darf Whiskey zu einer Versammlung oder einer Aktion der Organisation von Kilpeder mitgebracht werden.« Er gab Vincent die Flasche zurück. »Und kein Mitglied der Kolonne darf sich zum Einsatz melden, wenn er Whiskey getrunken hat. Ist dir das klar, Pat?«

      »Jawohl«, antwortete Pat fest, wenn auch leicht verwirrt von Neds Art, sich seitwärts an dieses Thema heranzuschlängeln.

      »Denn das ist deine Verantwortung. Ich übernehme die Verantwortung für unsere Offiziere, aber die Männer sind deine Verantwortung. Wenn ich herausfinde, daß ein Mann im Einsatz Schnaps getrunken hat, bei Jesus, dann lasse ich ihn auspeitschen, und dir drücke ich dazu das Seil in die Hand.«

      »Jawohl«, sagte Pat.

      »Jawohl ist in Ordnung als Antwort auf einen Befehl, aber ich will, daß du dir merkst, was ich gesagt habe. Wir sind eine Armee ohne Uniformen und Abzeichen und den ganzen Rest, aber bei Jesus, an Disziplin wird es uns nicht fehlen. Und, wie gesagt, Vincent, das ist feiner Whiskey.«

      Und damit stopfte er die Hände wieder in die Tasche und ging los, und wir mußten uns beeilen, um ihn einzuholen. Vincent beobachtete ihn mit einem halben Lächeln, irgendwo zwischen Amüsement und Bewunderung, dann verstaute er die sündhafte Taschenflasche in ihrem angestammten Versteck in seiner eleganten Bekleidung, wo immer sich dieses nun befinden mochte.

      Damals fanden Bob und ich, denen diese Demütigung erspart geblieben war, Ned habe kühl und soldatenhaft gehandelt, und unser Respekt vor seiner exotischen militärischen Art hob sich noch um ein Grad, denn Bob hätte, als er uns kommandierte, niemals so mit Vincent reden können, und wenn er es versucht hätte, dann hätten Vincent und ich zweifellos losgeprustet. Erst später erfuhr ich aus halben Sätzen, die er nur widerstrebend aus sich herauslocken ließ, mehr über Neds wahre Gefühle über den Alkohol.

      Ich sah einen Jungen neben seinem Vater stehen, neben einem geliebten und verehrten Riesen, in einem vom Gaslicht hell erleuchteten Schankraum, mit Sägespänen auf dem Boden, vielleicht nach einer öffentlichen Versammlung, Echos der Redekunst, die er und seine Freunde vorgeführt hatten, sollten nun mit einem guten Schuß amerikanischen Whiskeys gefeiert werden. Sie standen im Halbkreis da, ein halbes Dutzend, und der junge Barmann mit den roten Haaren des County Leitrim ließ jede dritte Runde aufs Haus gehen, sein eigenes Glas war züchtig unter dem Tresen verborgen, die Kameradschaft war wärmer und behaglicher als die vom Zigarrenrauch trübe Luft. Neds Vater dominierte, Thomas Justin Nolan, einer der Helden von 48, ein YoungIreland-Mann, nicht wie seine Kameraden, die Hungeriren, durch Mißernten und Räumungen nach Amerika getrieben, sondern verbannt aufgrund seiner Überzeugung, ein Freund Dohenys und Meaghers, ursprünglich Schulmeister, sein Kopf vollgestopft mit Poesie, mit patriotischer Rhetorik. Bei der vierten oder vielleicht bei der fünften Runde kam seine Zunge jedoch ins Stolpern, seine Gesten wurden großartiger. Ein Sturzbach von Worten. Sie sprachen über die Heimat, die ganze unerbittliche Nacht von Manhattan hindurch, vielleicht stützte ein Freund seines Vaters ihn, und dieser Freund erzählte Ned dann von allem, was sein Vater für Irland erlitten hatte, feuchte Lippen und tränende Augen, Wunden und weißgewordene Narben, das alles waren die Orden vergangener Schlachten. Morgens aber saß der Vater still und gelassen vor seinem kalten Tee, seine Hand zitterte leicht, wenn er die Tasse berührte. »Eine lange dreckige Nacht, Ned. Gut, daß wir nicht oft ausgehen, wie mein eigener Vater zu sagen pflegte, dein Großvater.« Seine verblümte Entschuldigung, die Worte heruntergeleiert wie die Worte einer Litanei. Und der junge Ned wartete geduldig darauf, daß der geliebte Riese am späten Nachmittag wieder da war, voller Geist, lässiger Charme lag bei ihm in einer schlichten Schulterbewegung.

      Nicht, daß Ned um die Flasche immer einen Bogen gemacht hätte, wie ich in den frühen Stunden des folgenden Morgens herausfinden sollte, aber sie war für ihn eine stumme und einsame Waffe gegen sich selber, und ich habe niemals gesehen, daß er sich wie ein Betrunkener benommen hätte, und das auch niemals von jemand anderem gehört. Es gibt Menschen, für die Schnaps nicht Trost, sondern Bestrafung ist, und ob wir sie für unglücklicher oder für glücklicher halten sollen als uns andere, kann ich nicht sagen.

      Es war lange, nachdem wir in die Chapel Street zurückgekehrt waren und uns vor meiner Schlafzimmertür gute Nacht gewünscht hatten. Mary schlief natürlich schon, und ich zog mich leise in der Dunkelheit aus, legte mich neben sie und fühlte, wie mich die Wärme ihres Körpers willkommen hieß. Im Schlaf drehte sie sich halb zu mir um, und ich konnte ihr Gesicht im schwachen Licht desselben verschleierten, blassen Mondes erkennen, der uns in Knockmany beschienen hatte, dessen Strahlen nun aber auf stille, verletzliche und vertrauensvolle Schönheit fielen. Ihre offene Hand lag neben