*
Kehren wir zu Kolumbus zurück. Betrachten wir sein Bild. Es ist 1515 gemalt, also fast zehn Jahre nach seinem Tode. Zweifellos lagen dem Ölgemälde Skizzen zugrunde, die zu seinen Lebzeiten entstanden waren. Es hängt, im Besitze der Familie de Orchi, in einer Villa zu Como. So ist also der Atlantiküberquerer an einem lieblichen Abglanz des unheimlichen Weltmeeres vor Anker gegangen. Wir sehen ihn an. Er wirkt eigentümlich lebendig. Man meint ihn atmen zu hören, hörbar und lufthungrig. Seine bogigen Augenbrauen, seine großen, feuchten, sinnlich unterschatteten Augen, seine geweiteten Nasenflügel, der „Schaukelmund“, dessen Winkel trotz unverkennbarer Schwermut nach oben neigen, die glatte Stirn, das leicht ergraute flockige Haar, das Grübchen im kleinen vollen Kinn, die füllige Figur, das alles weist auf den W-Typ, den Warmfrontempfindlichen, den Golfstromerregten. Es ist nicht das Bild eines verbissenen Kämpfers, es ist das eines sehnsüchtigen Träumers, und erschauernd kam mir das Goethische Wort von der Macht der „sanften Gewalt“ zum Bewußtsein.
Er wuchs in Genua auf, wo sich das Meer damals – als noch nicht die Hafenmolen gebaut waren – der Stadt in den geöffneten Schoß warf und jedermann über den Nächsten hin den Blick zum Horizont richtet. Noch heute zählt Genua mehr Seeleute und Auswanderer als sonst ein Ort in Italien. Die Stadtgeschichte ist eine der blutigsten und – nach veralteter Anschauung – voll glorreicher, in Wahrheit räuberischer Eingriffe in den Besitz anderer. Es besaß Inseln und Kolonien bis in die Vorstädte Konstantinopels und an den Küsten des Schwarzen Meeres, hatte aber, als Kolumbus lesen lernte, kaum noch so viel, daß eine Zeile auf der Schreibtafel mit den Namen voll wurde. Doch der Ehrgeiz, Beute zu gewinnen und auf Vorteil bedacht zu sein, war in jedem Genueser noch immer groß, und auch Handel zu treiben, wohin immer der Wind das Segel preßte. Altes ligurisches Blut mischte sich hier mit burgundischem, langobardischem und normannischem Wanderer- und Seefahrerblut; die roten Haare des Knaben deuten auf solche Mischung hin. Sein Vater war Tuchweber, und auch er wurde Weber. Aber die unruhige Phantasie dieses Kopfes sah das Weberschiffchen von Rahmen zu Rahmen zwischen den Küsten des Ozeans hin und her gleiten, und Kette und Einschlag wurden ihm zum Netz der Windstrahlen, wie sie auf den Portolanen und Rumbenkarten die Meere einteilen und befahrbar machten dem, der sich danach zu richten wußte.
In Genua gab es Leute genug, die solche Karten zu zeichnen verstanden, und sie hatten keinen Mangel an Kunden. Noch immer gab es Firmen, deren Handel sich nicht nur weit übers Mittelmeer verzweigte. Man konnte von manchen nicht nur schottische Krüge und Isländisch Moos, friesischen Bernstein, norwegische Eisfuchsfelle und portugiesischen Stockfisch beziehen, sondern sogar weiße Falken, die schon der große Sohn der Normannenfürstin Konstanze, der König von Jerusalem und Sizilien, Kaiser von Deutschland und Italien, Friedrich II., in seinem Jagdbuch gelobt hatte und die nur aus Grönland zu bekommen waren.
Seit hundert Jahren erzählte man auch von zwei Genueser Matrosen namens Benedetto Vivaldi und Perivalla Stancona; sie waren – wahrscheinlich nach einem Schiffbruch im Beiboot – über die Kanaren westwärts bis angeblich nach Indien glatt übers Wasser gelangt. Man hatte zwar dem Heimkehrer Stancona das Garn nicht recht glauben können, was er da von braunen nackten Weibern und goldenen Nasenblechen, von Kopfputz aus Vogelfedern und Mahlzeiten aus Schildkröteneiern gesponnen und daß sie bis zu den Azoren ohne Segel zurückgetrieben waren. Er war nur ein einfacher Mann, der keine beredten Sätze zu formen wußte, und sein einziger Zeuge war, von der langen Fahrt erschöpft, unterwegs gestorben.
Mit zwanzig Jahren vertauschte Cristoforo die zarten Fäden des Webstuhls mit dem harten Tauwerk eines Frachters, der mit Stückgut, Wein, Pinienkernen und Marmor nach Bristol und Leith segelte und allem Anschein nach Rückfracht bis von Island her zusammenholte. Sein Ohr wird begierig den kargen Schnäcken durchsalzener Janmaaten aller seefahrenden Nationen gelauscht haben, denen sogenanntes Land hinter der Westkimm ein selbstverständlicher Begriff war. Aber sie wußten nicht viel Gutes darüber zu berichten, knurrten von Nebel und Eisbergen, schlechten Landeplätzen, Unmengen Fliegen, häßlichen, in Felle gekleideten Einwohnern und keiner Möglichkeit, anständigen Proviant zu übernehmen. Wenn nicht die lohnenden Kabeljaufänge wären, würde kein Hund jene ungastlichen Striche je wieder ansteuern.
Sicher war der Stockfischhandel kein schlechtes Geschäft. Aber der Genueser Überlegung schienen schon allzuviel Partnerschaften daran beteiligt. Und nach den poetischen Bemerkungen in seinen Tagebüchern war Kolumbus ein für Schönheit empfängliches Gemüt, das Blumen und Nachtigallen liebte und Gefallen hatte an hübschen Mädchen. Die Kabeljauküste konnte ihn nicht locken. Von levantinischen Kaufleuten wußte er, daß gewisse Sachen, die noch lohnender als Stockfisch waren, nur unter dem Äquator recht gedeihen, als da sind: Gold, Perlen, Edelsteine, Elfenbein, Schildpatt, Ingwer, Pfeffer, Muskat. Man bezog derlei wohl aus Afrika. Die Portugiesen besaßen da ein Monopol und diktierten die Weltmarktpreise. Man hatte vormals, bevor die Türken die Dardanellen und die Suezenge sperrten, diese gewinnbringenden Luxusgüter auch aus Asien bezogen, aus Indien und aus Catai und Zipangu – wie damals China und Japan in Europa genannt wurden.
Der junge Kolumbus hatte das Zeug, Kaufmann zu werden. Jedenfalls konnte er gewandte Briefe verfassen. Er konnte sogar Latein. Wo er das alles gelernt hat und wann, ist schwer festzustellen, wahrscheinlich aber in der Klosterschule der Minoriten zu Genua. Er hat diesem Orden eine rührende Anhänglichkeit bezeigt. Das zeugt von dem Hang zur Schwärmerei, der, gepaart mit der bedeutenden Fähigkeit des W-Typs zu folgerichtigem Denken – kraft der besseren Hirndurchblutung pyknischer Konstitution –, ihn über den einfachen Ex- und Importeur hinausführen mußte. Er verliert aber keine Zeit mit irgendwelchen Gemeinschaftsstudien, wie man sie auf Universitäten treibt. Er ist Praktiker und Selfmademan, vernimmt aus einem Klosterklatsch, daß der Oxforder Minorit Roger Bacon und selbst der französische Kardinal Alliacus die – keineswegs in der Bibel belegbare – Ansicht hegten, die Erde sei eine Kugel. Das bestätigt ihm die Auffassung des Florentiner Arztes, Physikers und Kräuterkrämers Toscanelli, der – das hat sich herumgesprochen – schon von den Portugiesen zu Rate gezogen worden war. Man hatte vergilbte Papyrus- und Pergamentrollen in ehrwürdigen Bibliotheken aus dem Staube gefischt, soweit Goten, Wandalen, Normannen und Sarazenen nicht schon ihre Wachtfeuer damit angeheizt. Man hatte bei Aristoteles, Strabo und Seneca Anhaltspunkte gefunden, daß man die begehrten Gewürz- und Edelsteinländer in Fernost nicht nur über die verlustreichen Wüstenstrecken der Seidenstraße, nicht nur über die gesperrten Land- und Wasserengen am Ostausgang des Mittelmeeres erreichen konnte, ja daß sogar der mächtige Umschlagplatz Alexandria mit seinen unerträglichen Provisionen und Zöllen zu umgehen sei, indem man über den Buckel der runden Erde stracks durchs Meer gen West segeln würde.
Dottore Paolo dal Pozzo Toscanelli hatte es sogar unternommen, genaue Entfernungen zu berechnen.
Bartolomeo Colombo ist Kartenzeichner zu Genua. Eines Tages bekommt sein Prinzipal aus Florenz von Maestro Toscanelli den Auftrag, mehrere Kopien einer Karte anzufertigen, die höchst säuberlich den Ozean darstellt, eingeteilt in ein Gradnetz, so daß er wie eine holländische Kachelwand aussieht. An der einen Kante finden sich die Küsten von Spanien und von Afrika, und letzteres ist durch eine Art Krokodil und eine Palme gekennzeichnet. Auf der andern Seite liegt das Festland Asien, von einem Drachen bewacht, davor eine Menge Inseln. Im übrigen reicht die Karte von einer Andeutung Norwegens über England bis zum Äquator. Das Meer ist mit weniger Ungeheuern belebt, als bislang üblich war. Man findet in Höhe der Azoren einen sanften Schwan, der wohl – als dessen Sinnbild – an den irischen Missionar Brandon erinnern soll. Er hat früh – wie die Sage berichtet (und welche Sage hätte nicht einen wahren Kern?) – das Evangelium über den Atlantik getragen; denn nicht Rom, sondern Irland war auf fast mystische Weise das Zentrum, von dem aus seit dem Jahre 600 Nordeuropa das Christentum bis hinauf nach St. Gallen empfing. Wie denn Irland seit je ein atlantisches Asyl der Kultur gewesen ist, schon lange vor unserer Zeitrechnung. Dort berührt der Golfstrom zum erstenmal die Flanke Europas, und sein unruhiger Puls ist zweifellos der Erreger der unaufhörlichen Unruhe der Grünen Insel, ihrer Hungersnöte, Revolutionen, Auswanderungen und ihrer geistigen Fruchtbarkeit, vom ungewöhnlich reichen Schatz der Folklore bis zu Bernard Shaw.
Auf