Der große Fluss im Meer. Hans Leip. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Leip
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711467176
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Kabeljau- oder Feigenfahrt wollten

      und sich nach Winland verirrten,

      und weiß der Satan, was alles sonst noch

      an unzufriedenen Seelen auf Westkurs ging,

      denen die Grütze zu Haus

      und das Gefasel der Zeitgenossen

      zu blöd und zu mager war.

      Bis sie dann merkten,

      es ist überall Topf wie Henkel,

      und dann Gegenkurs nahmen,

      taschen- oder nasevoll oder nicht,

      und wieder ankamen auf dem lauen Geruschel,

      wenn es sie nicht mit einem Zwölfjackenpuster

      zu den Haien geschickt.

      Die, die an der Mole geblieben,

      dachten sowieso längst,

      die sind versoffen.

      Bedeck dich, Kuddl!

      Es fängt an zu wehen,

      und Bootsmann pfeift.

      Rauf auf die Bram und Reuels!

      Setzt Bonnets, Jungs!

      Homeward bound alle Lappen!

      Dat weiht as’n Katt

      so gulfy,

      so moi.

      Der golfstrom fliesst ins bewusstsein der welt

      Wo sind die kretischen Segelhandbücher? · Das Fuchsloch zum Atlantik · Erster Kapitänsbericht · Seemannsgarn bis zur Spule · Beamtenwürde und Drachenblut · Vom Weberschiffchen zur Karavelle · Das Gesicht des Weitfahrers · Gibt es einen Golfstromtyp? · Die erste Europa-Union mißglückt · Gold oder Kabeljau · Der vergebliche Erdapfel · Depression auf der Fichteninsel · Das Mönchische und der Mord · Golfstromüberwinder · Das gewandelte Paradies und die Racheschlänglein · Dennoch spanische Grandezza

      Es wird nun Zeit, Tlaloca, zu berichten, wie der Golfstrom nach und nach ins Bewußtsein der Menschheit gedrungen ist, wie also die Neugier sich seiner bemächtigte und – man kann es auch anders sagen – wie der Mensch lernte, seine Erfahrungen anderen nicht vorzuenthalten.

      Entschieden waren die ersten Wikinger des Mittelmeeres nicht die Phönizier, sondern die Kreter, deren Lebensstandard uns durch die Ausgrabungen zu Mykenä und Tiryns bekannt wurde. Er steht an Eleganz und Solidität denen moderner Großstädte nicht nach. Wir wissen auch, daß die Kapitäne, die den Ägyptern Zinn aus den spanischen und vielleicht sogar britischen und Gold aus irischen Minen besorgten, zumeist Kreter waren, aber ihre Segelhandbücher sind nicht aufbewahrt, und nur wenig mehr wissen wir von den Phöniziern, die das ägyptisch-kretische Seefahrtserbe antraten. Der Ahne aller wissenschaftlichen Unterhaltungsschriftsteller, Herodot, hat von einer ägyptisch-phönizischen Umschiffung Afrikas berichtet, die auf Befehl des Pharaonen Necho II. ausgeführt wurde, vom Roten Meer startete und nach zwei Jahren die Straße von Gibraltar (die späteren Säulen des Herkules) erreicht haben soll. Welche Erfahrungen die Schiffe mit den Küstenströmungen gemacht haben, ist nicht berichtet. Sie laufen durchweg höchst günstig auf diesem Kurs, bis bei den Kapverden die Plackerei gegen den Strom und gegen den Wind beginnt. Das mag um das Jahr 650 vor Christus mit den Ruderschiffen und der primitiven Besegelung schwieriger gewesen sein als heute, und die Besatzungen werden aufgeatmet haben, als sie endlich das Kommando: Hart Steuerbord! vernahmen und die spanische Küste über die Kimm blinzelte, als der Atlantik ein Einsehen hatte und sie mit stetigem Schwunge in das alte Fuchsloch, die Gaditanische Enge – wie der Wasserpaß zwischen Afrika und Europa hieß, ehe die Griechen und dann endgültig die Mauren andre Namen prägten –, ins heimische Mittelmeer schob.

      Der erste Kapitänsbericht, der auf uns gekommen, ist der des karthagischen Admirals Hanno. Er leitete um 530 v. Chr., in der punischen Blütezeit, einen Transport von Auswanderern, die einige Stützpunkte an der afrikanischen Atlantikküste besiedeln sollten. Die Flotte scheint aus sechzig Schiffen zu je fünfzig Ruderern bestanden zu haben, mit insgesamt dreißigtausend Fahrgästen, darunter Frauen, und scheint nach Absetzung der Siedler an sechs Stellen bis nach Kamerun vorgestoßen zu sein. Es wird in der Aufzeichnung ein feuerspeiender Berg namens „Götterwagen“ erwähnt, und da angeblich die Eingeborenen den Kamerunberg heute noch so nennen, so wäre das wohl ein Beweis für die Echtheit jener Reise (falls nicht ein gebildeter Missionar sich als Überlieferungsträger eingeschaltet hat). Hanno ist angeblich wegen Proviantmangel umgekehrt. Wahrscheinlich aber wird ihm der Guineastrom in die Quere gekommen sein. Auch schwenkte die bis dort günstige Drift gen Westen in den allzu offenen Ozean, und der gute Nordostpassat drehte auf Süd.

      Leider ist uns die Votivtafel, die Hanno nach glücklicher Heimkunft mit der Schilderung des Reiseverlaufs zu Karthago im Tempel des phönizischen Heimatgottes Melkart oder wahrscheinlich dem einer Meeres- und Mondgöttin hat anbringen lassen, nur in einer griechischen Abschrift überliefert. Deren einziges Exemplar befindet sich als wertvollstes Dokument nautischer Geschichte in der Universitätsbibliothek zu Heidelberg. Diese Abschrift, vom Verfertiger als Periplus des Hanno bezeichnet, was Segelanweisung einer „Umschiffung“ bedeutet und irreführend ist, enthält allerlei Flüchtigkeitsfehler und offenbare Mißverständnisse und sieht so aus, als stamme sie von einem Geheimagenten, der in der Sorge, beobachtet zu werden, seine Notizen eilig hingekritzelt oder gar aus dem Gedächtnis festgehalten hat.

      Uns aber, Tlaloca, atmen diese Notizen die erste, fast unmittelbar überlieferte Begegnung mit dem Strömungssystem des Nordatlantiks. Griechische Geographen jener Zeit erzählen auch von einem undurchdringlichen Meere voll Tang, das die Karthager gekannt hätten. Es handelt sich zweifellos um jenes Gebiet inmitten des nordatlantischen Beckens, das heute unter dem Namen Sargassosee bekannt ist. Wir werden es noch näher kennenlernen.

      Periplus ist ein griechisches Wort und verrät, daß sich die griechische Schiffahrt in Sicht der Küsten hielt. Die Phönizier und ihre Kolonisten, die Punier, haben uns leider keine direkten Segelanweisungen hinterlassen. Wir wissen aber, daß sie weit in den freien Ozean hinausfuhren und Faktoreien auf den Kanarischen Inseln, auf Madeira und wahrscheinlich sogar auf den Azoren besessen haben (wenn man den Topf punischer Münzen, der vor einigen Jahrzehnten dort in einer Strandruine von der Brandung freigespült wurde, als Beweis gelten lassen will). Sie scheinen sogar Bernstein aus Friesland geholt zu haben. Da sie die Straße von Gibraltar aber Hunderte von Jahren hindurch für jede Konkurrenz zu sperren und den Mund zu halten verstanden, gelangten nur dunkle Gerüchte von den „Inseln der Seligen“ oder auch den „Glücklichen Inseln“ hinaus und überdies von siedenden Fluten, schwimmenden Krautdickichten, in denen ein Schiff unentrinnbar verloren sei, genau wie in gewissen zähen Schlammgefilden, die plötzlich von jedem Wasser verlassen wären.

      Dringt man diesem Seemannsgarn auf die Spule, so findet man unschwer den Faden der Tatsachen: Nebel, Hurrikane, Golfkraut, Watt und Schlicksände, Ebbe und Flut. Und die dampfspeienden Ungeheuer, von denen man erzählte, entpuppten sich als „Walfische“. Die Phantasie der Griechen war größer als ihre Neigung, die Munkeleien von Weitfahrten anderer selber nachzuprüfen. Das Meer war ihnen mit Recht mehr unheimlich als verlockend; ihr Seeheld Odysseus ist vor allem ein wahrer Märtyrer des Salzwassers.

      Erst als die nüchterner denkenden Römer sich – ebenfalls ohne große Begeisterung – gezwungen zu sehen meinten, den Karthagern mit Gewalt die Handelsmonopole abzuknöpfen, und also in die griechischen Werft- und Reedereikontore eintraten, wurde man seetüchtiger und weitgreifender in Schiffsbau und Unternehmungsgeist. Das Ende war die völlige Ausrottung der Karthager. Die Römer hatten damals noch keinen Nerv für anderer Leute Kultur. Kein Tacitus hat über die Punier berichtet. Und selbst die Ruinen scheinen nochmals zerstört worden zu sein, ehe Römer und Araber und Christen sie überbauten.

      Unter den einträglichen Handelsgütern stand Purpurfarbe im Altertum mit an höchster Stelle. Ornat und Würde der höheren Beamtenschaft rings ums Mittelmeer hingen davon ab. Die ursprüngliche Lieferantin, die Purpurschnecke, reichte nicht mehr aus, den Markt zu befriedigen. Da entdeckten die punischen Superkargos