Und ähnlich geht es mit zwei weiteren Fahrzeugen. Man wird ihrer Anordnung nicht gerecht, wenn man sie rein malerischen Gründen zuschreibt. Und obschon keine Meeresströmung eingetragen ist, so liegt die von der „Neuen Welt“ kommende Karavelle im oberen Sektor haargenau und dazu mit gutem Westwind im Golfstrom, indes die im unteren Abschnitt aufs günstigste die Nordäquatorialdrift gen „Indien“ bevorzugt, milde verfolgt von einem Haifisch. Der Walfisch drunten im Westen speit Wasser aus dem Maule wie ein Brunnendelphin. Er sieht böse aus, aber es war ja auch nicht angebracht, mit ihm zu spaßen, und seine Anwesenheit an der Strömungskante entspricht, ob zufällig oder nicht, den biologischen Tatsachen.
Besonders reizvoll ist ein Ruderboot weit im Norden. Es ist entschieden ein Wikingerboot und dokumentiert schlicht die Kenntnis der skandinavischen Verbindung zu jener atlantischen Küste, von der es auf dem Heimwege ist, ohne daß hier für nötig befunden wurde, einen Kabeljau einzufügen, denn die Karte sollte den Weg von Küste zu Küste aufzeigen, und es ist auch fraglich, ob dem italienischen Gelehrten die Herkunft des brettartig getrockneten Fastenfisches bekannt war, den man am Karfreitag auch zu Florenz schätzte und der über Bristol und Portugal eingeführt wurde.
Von dieser Karte scheint je eine Durchzeichnung nach Portugal und nach Deutschland gegangen zu sein, an den Domherrn Martins zu Lissabon, der sie als Beichtvater des Königs Johann II. nebst einer brieflichen Erläuterung als Antwort auf eine Anfrage nach dem Westweg gen Asien der Krone vorlegen sollte, und an den Kosmographen Regiomontanus zu Nürnberg, dessen Drukkerei im internationalen Austausch der Wissenschaften Material sammelte für Kalender, Seefahrtstabellen und „Erdäpfel“ (wie die ersten deutschen Globen genannt wurden).
Bartolomeo Colombo erzählt dem Bruder, als der gerade von See kommt, von der ihm mehr ulkig als glaubwürdig erscheinenden Karte. Cristoforo findet Einlaß in die Werkstatt, starrt auf die Projektion ungeheurer Weiten und Verlockungen. Er ist plötzlich wie betrunken, lallt die eingezeichneten Namen Antilia, Zipangu, Katai, Zailon, Namen, mit denen die Vorstellungen von dem verknüpft sind, was später Japan, China und Indien heißt. Dann besinnt er sich, prüft und vergleicht mit dem, was die windgebeizten Weitfahrer in den atlantischen Hafenschenken nach dem sechsten Glas Galgan oder Pjolter oder Aquadente an Garn zu spinnen wissen. Er rechnet die Entfernungen nach, zählt die Meilen und die Etmale, begutachtet die Segelstellung und die Kurse, die Lage von Inseln und Küsten, entdeckt Mängel und Unzulänglichkeiten. Aber eines scheint mit dem Haufen der Aussagen übereinzustimmen: die Richtungen und die Entfernungen.
Toscanelli hat die Entfernung von Europa bis Asien über West als ein Drittel des Erdumfanges angegeben. Es sind in Wahrheit zwei Drittel. Dennoch stimmt es von Küste zu Küste, nur, daß es eben nicht Asien war, was dort lag und dessen Existenz – aus vielfacher Erfahrung vage bestätigt – eben erst einmal den Arbeitstitel Asien bekam. Der Irrtum ist keineswegs beschämend. Erst kürzlich wurde eine Entfernungsunterschätzung berichtigt: man hatte bislang nicht erkannt, daß der Andromedanebel genau noch einmal so weit von uns entfernt liegt, wie bisher angenommen. Für einen künftigen Weltall-Kolumbus mag das nicht ohne Bedeutung sein; denn womöglich wird er auf der Strecke von anderthalb Millionen Lichtjahren auf halbem Wege ein anderes Amerika entdecken, das uns heute noch durch irgendwelche kosmischen Schleier verhüllt ist.
Kolumbus hat eine Kopie der Florentiner Seekarte auf seiner ersten Reise zu Rate gezogen. Er besaß auch eine Abschrift des lateinischen Briefes, der 1474 das Exemplar für Lissabon begleitet hatte. Man fand sie 1875 in einem Buche, das unzweifelhaft aus der Bibliothek des Entdeckers stammt und die Züge seiner Hand aufweist. Ob nun, wie sein Sohn Ferdinand später berichtet, Toscanelli selber – schon über achtzig – den Anfragen eines einfachen Seemannes nicht nur die portugiesische Geheimakte, sondern auch weitere Auskünfte zur Verfügung gestellt hat, oder ob Kolumbus, nach Lissabon übergesiedelt, dort erlaubten oder unerlaubten Zutritt zum Marinearchiv gefunden – schlafwandlerisch kühn und instinktsicher, wie W-Typen es vermögen –, ist völlig gleichgültig. Dem Genie dienen alle Wege zum Besten, solange es sich vor Blutschuld bewahrt.
Lissabon hat die Mündung des Tejo wie eine Kartaune auf den Atlantik gerichtet. Johann II. hatte die Stadt zur Residenz erhoben. Der Geist Heinrichs des Seefahrers war neu erwacht. Der Bedarf an Kapitänen von Rang stieg. Seit Genua von Mailand regiert wurde und von einer Welt- und Kolonialmetropole zur Landstadt herabsank, mußten sich ihre brotlos gewordenen Seeleute nach neuen Chancen umsehen. Lissabon bot sie. Ein Genueser brachte es dort bald zum Flottenchef, mit der Vereinbarung, stets mindestens zwanzig Kapitäne mit Genueser Patent für Portugal zu verpflichten. Außerdem war man nicht kleinlich betreffs Vorleben und Vorstrafen, wenn der Mann tüchtig war und sich nicht scheute, die elenden Entbehrungen auf der Suche nach dem afrikanischen Umsegelungswege gen Indien auf sich zu nehmen. An den geraden Westweg wollte niemand recht heran. Man schien Wind davon zu haben, daß dort gar nicht Indien anzutreffen sei. Und Toscanellis Brief und Karte verstaubten in der Akte der Aufgeschobenheit.
Man glaubte sogar recht genau zu wissen, was drüben zu erwarten war. Hatte doch vormals so etwas wie eine Trustgründung im Werden gelegen, ein europäisches Nutzungsbündnis atlantischer Möglichkeiten, als um 1420 König Erik von Skandinavien dem portugiesischen Hause verschwägert wurde. Er hatte gleichsam als Morgengabe seinen besten Lotsen, Abelhart, nach Lissabon geschickt, damals, als er die Base Heinrichs des Seefahrers geheiratet hatte. Abelhart hat den weitschauenden Südländer sicher mit den Fischgründen Neufundlands bekannt gemacht, die ja bis heute von portugiesischen Schonern aufgesucht werden. Auf dem Wege wurden so nebenbei Madeira und die Azoren wiederentdeckt. Aber das vorrückende Eis hatte den Nordwestkurs unerquicklich gemacht. Und was man im übrigen, auch westlicher, von den Küsten gesehen hatte, war nicht verlockend genug. Was man suchte, war Reichtum, große Beute an Werten. Neuland als solches war noch nicht gefragt. Und wenn das Kolonialamt zu Lissabon freimütig Privilegien vergab an fast jeden, der sich anbot, unbekannte Länder zu entdecken, so gehörte das seit dem weitschweifenden Heinrich sozusagen zum Bürodienst.
Aber bislang war nichts Beachtliches dabei herausgesprungen. Man hatte Staatsgelder an Prahlhänse vergeudet. Ein Krieg mit Spanien wegen irgendwelcher Ansprüche leerte die Kassen sowieso. Und als Kolumbus wegen einer bescheidenen Unterstützung anfragte, winkte man ab. Schon wieder einer, der quer ins Unbekannte wollte und behauptete, dort indische und mongolische Schätze scheffeln zu können, indes man doch zu wissen meinte, daß auf jener Strecke nichts dergleichen zu holen sei.
Außerdem mußte man sich finanziell auf sichere Ziele beschränken. Diese hießen Afrika und, um Afrika herum, der Weg nach Indien. Und hatte man seit Diego de Teive (etwa 1450) gedörrten Salzdorsch von drüben, von den Terras de Bacalhão, direkt bezogen, im Augenblick war auch das über Bristol mit englischen Schiffen billiger.
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Colons Sohn berichtet, sein Vater habe ihm erzählt, erst in Lissabon sei ihm die Möglichkeit, Indien übers Meer gen West zu erreichen, zur Gewißheit geworden. Ihn erfaßt die sengende Unruhe, die vom Golfstrom so nahe hereinspült und mit dem Portugalstrom um die Füße des Kontinents kitzelt. In Lissabon gab es einige Emigranten, deren Firmen in Genua fallit gegangen oder deren Weiterkommen im heimischen Außendienst eingeschlafen war. Sie hatten, tüchtig und vom näheren Atem des Golfstroms neu befeuert, ihre Geschäfte frisch etabliert, Weinhandel, Schiffsbedarf, Textilien, und zum Teil auch gut in die fremde Gesellschaft eingeheiratet. Die Söhne wurden Priester, Superkargos, Diplomaten, Kapitäne. Bartolomeo Perestrello zum Beispiel – seine Schwester war die Geliebte des Erzbischofs von Lissabon – brachte es zum Gouverneur von Porto Santa, der Nebeninsel Madeiras, verheiratet in dritter Ehe mit Isabel Moniz. Durch welche Beziehungen Kolumbus, eben dreißigjährig und als Weber, Kartenzeichner, Seefahrer, Zuckerhändler und Pläneschmieder bislang ohne nachhaltige Erfolge, in die hochadlige Atmosphäre der Witwe geriet und Neujahr 1479 sogar deren Tochter Felipa heiratete, wird nur aus seiner Persönlichkeit erklärbar sein. Diesem W-Typ muß der allgemeine italische Scharm eine ungewöhnlich beschwingende