Hiermit aber wird gesagt, daß er ein Golfstromgetriebener war und damit der erste Amerikaner. Zwei Begierden trieben ihn – so, wie Wind und Gefälle den Golfstrom antreiben –: die Sucht, sich zu kühlen, und die Sucht, sich zu verlieren, das eine am Golde, das andre in Gott. Und wie es im Liede heißt, soll dieses der Schlüssel zu Gottes Herrlichkeit sein, indes Gott das Gegenteil aller Höllen und Fegefeuer bedeutet. Der Gefahr, sich schon am Golde zu verlieren, ist selbst Kolumbus nicht entgangen, und jene, die nach ihm kamen, erst recht nicht.
Sprach nicht die erste Reklame für die Neue Welt von Gold, Weibern und einem Leben in Freiheit und Bequemlichkeit? Es ist das Ideal jenseits des Golfstroms geblieben. Mag sein, daß es sich heute mehr auf die romanische Seite beschränkt. Wie hübsch floriert doch das Geschäft der Totos, Spielbanken und Lotterien z. B. in Argentinien! Dort gibt es ein Sprichwort, das heißt: Der Kluge lebt von den Dummen, und die Dummen leben von der Arbeit.
Es bleibt ein Wunder, welche Unmenge Arbeit die „Dummen“ drüben geleistet haben, wenn auch vor allem in USA, an Wolkenkratzern, Straßen, Brüchen, Drugstores, Bibliotheken, Museen, Forschungsinstituten, Hochschulen, Kirchen, Autofabriken, Aircruisers, Auslandshilfen, inwendigen und auswärtigen Kriegen und Atombomben.
Es ist dort eine große Stetigkeit der Leistung zu beobachten, nachdem sich langsam das mitgeschleppte europäische Golfstromfieber gesetzt hat. Denn drüben liegt man jenseits der unruhigen Wirkung, dort ist das Klima geographisch normal. Zu beiden Seiten des Nordkontinents zumal baut eine kalte Strömung den kalten Wall gegen die Unruhe unnatürlicher Temperaturerhöhung. Man sagt, die Isotherme zwischen 4 und 12 Grad Celsius Jahresmittel verbinde rings um die Erde alle Zentren menschlicher Aktivität, also etwa New York, London, Paris, Hamburg, Belgrad, Tokio, S. Paulo. Wie weit die Klimaregler der Meeresströmungen dabei eine natürlich oder unnatürlich fördernde oder aber hemmende Rolle spielen, wäre der Untersuchung wert. Der Arzt hegt immer dann am meisten Bedenken, wenn der Patient eine nur leichte Abweichung von der Normaltemperatur dauernd mit sich herumschleppt. Übermaß wechselt da leicht mit Lähmung, Heißhunger mit Verzicht zu unrechter Zeit, Laune, Übertriebenheit und Stumpfheit mischen sich abrupt, und diese Unruhigen bringen sich und andere in Schwierigkeiten, so daß eine ständige Kontrolle nicht zu umgehen ist, die, wenn der Betreffende sie selber verliert, notgedrungen von andern übernommen werden muß.
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Was ist dem Fremden heute reizvoll an Spanien? Die Kulturreste der Sarazenen. Was an Westindien und Mittelamerika? Die Reste der Indianerkulturen. Warum deucht den Fremden die Gegenwart überall langweilig trotz aller Autobusse, Luxuskabinen und First Class Grand Hotels?
Du lächelst, Tlaloca! Du meinst, es liegt an den Fremden? An der Unfähigkeit, sich selber ernstzunehmen oder vielmehr, sich selbst zu durchschauen? Sie durchschauen nicht einmal einander trotz aller gegenseitigen Abneigung. Ein ungeheures Gähnen läuft um den Atlantik trotz aller Emsigkeit. Und ebenso ungeheuer ertönt die Stimme eines gigantischen Feldwebels: Eins – zwei! Eins – zei! Zack – zack! Genau im Tempo des fließenden Golfstroms, einen knappen Meter die Sekunde: im Schritt! Ein zwei – ein zwei ...
Ich weiß nicht, Tlaloca, warum das so ist. Aber es ist so. Und darum sprechen wir vorerst besser wieder über die Vergangenheit. Nur einen Augenblick wollen wir noch hinhorchen. Dort droben in den Sphärenströmen fliegen einige Großinsekten mit Überschallgeschwindigkeit. Wie bestaunen wir sie! Welche Fülle sinnreicher, gewagter und genialer Einrichtungen, Schalter und Hebel! Welch waghalsige Piloten! Fast möchte man sie Helden nennen. Sicher sind es brave Jungens. Und tüchtig. Ein – zwei! Ein – zei! Merkwürdig, auf die große Entfernung hin klingt das Düsentempo nicht schneller als das des Golfstroms. Gewiß kommen sie trotzdem rascher um den Erdball, wenn auch nicht so sicher. Manchmal klingt die Feldwebelstimme besonders schneidig. Eins – zei! Ein – zei! Aber das Echo scheint es nicht richtig aufzufassen. Was denn soll das heißen: En – zei, en – zwei? Hallt es etwa wie: Entzwei?
Als die Amerikaner im zweiten Weltkrieg bei uns landeten, fühlten sie sich als Missionare, als die Bewahrer des besseren Teils unseres europäischen Selbst, das freiheitssüchtig vormals unserer Dämonenbrutanstalt entflohen war und sich die Bocks- und Teufelshörner, Abenteuergelüste und Seelenbedrängnisse in den Weiten der Prärien abgeschliffen hatte. Sie schienen mit Behagen die Rolle der heimkehrenden weißen Götter zu spielen. Das ist die gerechte Strafe für beide Teile und zugleich die beste Basis, sich zu verständigen und das Kriegsbeil für alle Zeiten rund um den Atlantik zu begraben. Die Notwendigkeit der atlantischen Ergänzung ist heute jedem Neger klar. Aber keineswegs klar ist, daß die atlantische Lebensader nicht nur von Florida bis London, Calais, Lissabon, Cadix, Bremen, Kopenhagen, Göteborg, Tromsö, Dakar, Mogador, Barcelona, Genua, Stambul und Port Said pulst und auch von Kapstadt bis Recife, sondern auch ums Nordkap herum bis nach Nowaja Semlja.
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Alle Erkenntnisse, seien sie noch so klar, haben ihre Rückschläge. Stimmt es nicht nachdenklich, daß Kolumbus, der eben den Beweis für die Kugelgestalt der Erde erbracht hatte, später behauptete, die Erde sei wie die Brust eines Weibes gebaut, mit einer Warze darauf, das sei das Gebirge von Trinidad? Er hatte diese Insel der Dreieinigkeit gewidmet, nachdem er die Strömung in der Drachenmaul-Enge als so gefährlich erkannt, daß er sie nicht zum zweiten Male aufsuchte. Erotik, mit Gottesfurcht gepaart, hinderte die Spanier nicht, diese Insel restlos zu entvölkern. Sie war so von Verwesungsgeruch und von den Geistern der Erschlagenen erfüllt, daß kein Siedler dort aushielt. So wurde sie für eine Weile der Unterschlupf von Seeräubern. Denn an der gigantischen Klippenkante, dem Antillengürtel der Neuen Welt, brach sich der Gischt des Jahrhunderts. Hier schwemmte in der Atlantikströmung aller Auswurf Europas zusammen und verschaffte der Karibischen See den Namen des Blutmeeres.
Ein Italiener hat jene Gefilde entdeckt und die Pforte aufgestoßen für den unabsehbaren Schwall Menschheit, der sich von da an jahrhundertelang in den neuen Doppelkontinent und seine Landbrücke und Inseln ergoß.
Ein Italiener auch ist der erste Biograph der neuen Gebiete, der am Lago Maggiore geborene Pietro Martire Anshiera, gewöhnlich Peter Martyr genannt. Sechzig jährig, als Prior von Granada die beschauliche Klosterruhe mit geographischen Studien füllend, schreibt er seine berühmten Dekaden, die Chronik des Ozeans und der Neuen Welt. Er ist der erste, der den Äquatorialstrom als solchen nennt und Vermutungen über das Strömungssystem des Atlantiks und seine Ursachen anstellt, die vorgreifend Erkenntnisse äußern, wie sie nach ihm für Jahrhunderte wieder vergessen wurden und erst in neuerer Zeit sich bestätigen sollten. Er vermutet zum Beispiel, daß die Gleicherströmung, passatgetrieben, große Wassermassen an der Brasilienküste aufhäufe, die dann entweder durch irgendwelche Passagen in den Pazifik abflössen oder aber durch das Festland in den Atlantik zurückgeworfen würden, und daraus bilde sich die Ostströmung bei Florida. Und nur diese letztere Annahme, fügt er hinzu, habe Aussicht auf Anerkennung durch die Wissenschaft, weil (es war das Jahr 1518) bislang ein Durchlaß von keinem Seefahrer entdeckt worden sei. Es lohnt sich, hier die Übersetzung einer besagter Chronik voraufgegangenen Briefstelle folgen zu lassen. Sie richtet sich an den königlichen Brotgeber Ferdinand und lautet:
„... da alle spanischen Seeleute einmütig versichern, die See laufe dort von Osten nach Westen, und zwar so schnell wie ein Fluß, der von den Bergen kommt, so halte ich für angemessen, eine so merkwürdige Sache nicht ohne Erwägung zu lassen. Doch finde ich mich, indem ich dies überdenke, in nicht geringe Zweifel und Schwierigkeiten verwickelt und weiß nicht zu sagen, wo jene Gewässer, die so beständig daherfließen, eigentlich bleiben. Sie gehen dahin und kehren nicht wieder, und dennoch wird der Westen nicht von ihnen gefüllt und der Osten nicht geleert. Manche glauben, daß in dem Winkel des großen Landes, das achtmal größer ist als Italien (!), gewisse breite Durchfahrten sein müssen und daß diese Kanäle westlich der Insel Kuba liegen und alle jene Strömungen aufnehmen und in den südlichen Ozean (Pazifik) entleeren und irgendwie in den nördlichen (Atlantik) zurückführen. – Andere aber glauben, der Golf sei geschlossen, und das Land hinter Kuba rage weit nach Norden hin bis an die Gegenden, die am Nordpol von der gefrorenen See umgeben sind, und alle diese Gebiete