Am nächsten Nachmittag holte er Nico vom Kindergarten ab. Dieser war noch draußen im Sandkasten und so nutzte er die Gelegenheit und fragte eines der Kinder aus Nicos Gruppe, warum sein Sohn geärgert wurde. Erst wollte es nicht so recht mit der Sprache herausrücken, doch Ulrich hatte einen Bestechungs-Lolli dabei.
Schmatzend verkündete der Junge: „Joschi ärgert Nico, weil er Angst vor Monstern hat.“
Ulrich bedankte sich, zog seinem Sohn, der mittlerweile reingekommen war, die Jacke an und sie fuhren nach Hause. Noch während sie im Auto saßen, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er dachte für sich: „Na klar! Der Mon-Stern! Die nächste Aufgabe ist, seine Angst vor Monstern zu besiegen.“
„Papa, worüber denkst du nach?“, fragte da sein Sohn, doch noch bevor er antworten konnte, löste sich eine Kopie des Sterns vom Blatt, das auf dem Beifahrersitz lag.
Ulrich reichte den funkelnden Stern zu seinem Sohn nach hinten. „Hier bitteschön! Das ist der Lä-Stern!“, freute er sich.
„Oh wow … Danke, Papa …“, flüsterte Nico.
Ulrich verstand die Welt nicht mehr. Der Junge hatte nun schon zwei Sterne und er war immer noch nicht zufrieden! Na ja, vielleicht war er es, wenn er erst den Mon-Stern hatte.
Abends brachte er seinen Sohn ins Bett. Vorsichtig sagte er: „Du, Nico, mir hat einer im Kindergarten gesagt, dass du nachts manchmal Angst hast.“
Nico rief erschrocken: „Nein! Ich hab keine Angst vor Monstern!“
Ulrich fragte: „Monstern? Ich hab doch gar nichts von Monstern gesagt. Hast du davor Angst?“ Als der Kleine nichts sagte, erzählte der Große ihm etwas. „Als ich so klein war wie du, da hatte ich immer Angst, dass nachts ein Gespenst kommt und mich erschrickt. Da dachte ich mir: So geht das nicht! Ich verkleidete mich als fürchterliche Bestie und dann erschreckte ich das Gespenst auch mal so richtig. Von da an ist es nie wiedergekommen.“
Nico sah beeindruckt aus: „Können wir das auch machen? Also die Monster erschrecken?“
„Natürlich“, lächelte Ulrich, dann verkleideten sich die zwei und warteten ab.
Als Nico am nächsten Morgen wach wurde, sah er sich um. Die Kuscheltiere lagen wild durcheinander auf dem Boden, der Schreibtischstuhl war umgekippt und die Bilder hingen schief an der Wand. Er rannte zu Ulrich. „Papa! Papa! Das Monster war da!“
Ulrich setzte sich im Bett auf und sagte: „Aber Nico, weißt du denn nicht mehr, wie wir mit den Monstern gekämpft haben? Du hast sie mit den Kissen gehauen und ich hab Kuscheltiere nach ihnen geworfen!“
Jetzt sah der Junge aber verdutzt aus. „Ehrlich?“, fragte er zögernd.
„Na klar! Du hast sie vertrieben, die kommen nie wieder!“, rief Ulrich. Da knisterte das Sternenbild auf dem Nachtisch und es erschien ein dritter echter Stern. „Da mein Sohn, das ist der Mon-Stern!“, sagte er lächelnd und überreichte ihn Nico.
„Mh … danke“, murmelte dieser wie auch bei den anderen Sternen und verließ das Zimmer.
Ulrich hielt es nicht mehr aus. Er schimpfte wütend das Sternenbild an: „Jetzt hat der Bengel schon ganze drei Sterne, drei Stück! Und er ist immer noch unzufrieden! Was ist nur los mit ihm? Ich sollte ihm ein paar hinter die Löffel hauen!“
Wieder löste sich der Stern ganz vom Blatt ab und sagte: „Denk so etwas nicht! Dein Sohn wünscht sich eben noch einen ganz besonderen Stern, den du bis jetzt nicht entdeckt hast. Suche ihn und Nico wird glücklich sein.“
„Wie kann ich ihn finden?“, drängte Ulrich.
„Welchen Monat haben wir?“, fragte der Stern zurück.
„März“, überlegte der Mann laut. „Aber da ist kein Stern drin!“ Er lief auf und ab, da fiel sein Blick auf das Bild, das Nico ihm letztens gemalt hatte, mit Blumen und einem bunten Ei und … „Ostern!“, rief Ulrich laut. „Ostern! Er wünscht sich den O-Stern!“
Weise lächelnd verschwanden Mund und Augen von dem Stern und er blieb heller leuchtend als die anderen drei auf Ulrichs Nachtisch liegen. Das Blatt daneben war leer. Als er es in die Hand nahm, fielen ihm plötzlich die Worte auf, die auf der Rückseite geschrieben standen: „Mein O-Stern von Ulrich Münzer.“ Lachend rannte er zu Nico. „Guck mal! Der O-Stern!“, rief er. Dann hob er den Jungen auf und drückte ihn fest. „Es tut mir so leid, dass ich die letzten Jahre immer vergessen habe, mit dir Ostern zu feiern“, sagte er und wuschelte ihm durch die Haare. „Es wird nie wieder vorkommen, dass mir meine Arbeit wichtiger ist als du!“
Als sie zu zweit am Ostersonntag am Frühstückstisch saßen, gab Nico seinem Papa einen Kuss und sagte: „Das ist toller als jeder Stern der Welt!“
Ulrich war glücklich und lachend aßen sie ihre Ostereier.
Jaqueline Wisse wohnt in Hamm und wurde am 20.09.1991 hier geboren. Bisher wurden von ihr Kurzgeschichten und ein Gedicht veröffentlicht. Ihre Hobbys sind das Dichten und das Geschichtenschreiben, außerdem liest, zeichnet und fotografiert sie gerne. Zweimal im Monat leitet sie eine Schreibwerkstattgruppe. Diese Ostergeschichte schrieb sie für ihren kleinen Bruder zum Einschlafen.
*
Die verstummte Osterglocke
Gähnend trat Rita, die kleine Feldmaus aus ihrer Erdhöhle heraus. Sie reckte sich und streckte dabei die Arme nach oben. Sogleich bemerkte sie jedoch, dass es immer noch furchtbar kalt war.
„Huh!“, sagte sie, schüttelte sich und wäre am liebsten wieder in ihrem Mäusebett, ganz weit unter der angewärmten Decke verschwunden. Doch das ging nicht. Jedenfalls heute nicht. Sie hatte einen Auftrag zu erledigen. Einen wichtigen Auftrag.
Und so trottete Rita fröstelnd und verschlafen den Hügel hinauf. Dort oben wollte sie wie jedes Jahr am Ostersonntag die Osterglocke läuten und somit allen Bewohnern des Wald- und Wiesenlandes verkünden, dass Ostern und damit das Frühjahr gekommen war.
Als Rita die Osterglocke erreichte, lag immer noch schwere Müdigkeit auf ihren Augenlidern. Durch einen schmalen Spalt erblickte sie den Stängel der stolzen Blume und zog an ihm. Hin und her.
Doch irgendetwas war komisch. „Bloß was?“, überlegte die kleine Maus. Da fiel es ihr auf. Na klar! Es fehlte ganz einfach der Ton! Trotzdem sie am Stiel gezogen hatte, blieb die frühe Narzisse stumm.
Rita probierte gleich noch einmal und zog nun ein wenig heftiger am Stängel. Nichts. Kein Bimmeln war zu hören. Und dieses Sonderbare ließ aus dem verschlafenen, ein hellwaches Mäuschen werden. Rita blickte nach oben zum gelben Blütenkopf, aus dem sonst immer der glockenhelle Klang des Frühlings schallte. Doch der war verschlossen. Noch nicht aufgeblüht. Der konnte nicht bimmeln.
Da fragte eine Stimme direkt hinter Rita: „Was ist denn los? Warum läutest du nicht?“
Selbst noch verwundert und erschrocken drehte Rita sich um und blickte dem Osterhasen direkt auf die Stupsnase, und dann auf seine bibbernden Hasenzähnchen.
„Beeil dich!“, forderte der Osterhase weiter. „Ich will endlich anfangen!“, und zeigte auf den mit bunten Eiern gefüllten Korb auf seinem Rücken.
„Aber das geht nicht“, antwortete Rita kopfschüttelnd und zeigte auf das Köpfchen der Glockenblume. „Der Winter. Er möchte einfach nicht gehen und hält unsere Osterglocke gefangen.“
„Darum ist mir so kalt“, entfuhr es dem Osterhasen und er begriff, warum er und seine Zähne so zitterten.
„Was sollen wir nur tun?“, fragte Rita. „Keiner wird erwachen. Mir selbst ist es schwergefallen aufzustehen. Aber wenn die Glockenblume nicht läutet, werden die anderen Ostern und das Frühjahr verschlafen.“
Ratlos zog der Osterhase seine Schultern nach oben und genau so ratlos ließ er sie