„Was ist denn hier los?“ Der Chefhase kam gerade an der Fabrik an und war ganz verwundert über die riesige Versammlung, die er dort sah. Normalerweise waren die Hasen um diese Zeit längst bei der Arbeit, um Sterne herzustellen.
„Jemand hat das Schild bemalt!“, rief da einer aus der Menge. Er zeigte mit seiner Pfote nach oben zum Dach der Fabrik, wo auf einem großen Schild „STERNFABRIK“ gedruckt stand.
Der Chefhase sah nach oben, und tatsächlich – irgendein Schmierfink hatte einen dicken, runden Kreis vor den Namen der Fabrik gemalt. So etwas Unerhörtes aber auch!
„Was hat dieser Kreis zu bedeuten?“, schimpfte der Chefhase, denn es machte ihn wütend, dass jemand einfach so auf seinem Eigentum herumkritzelte.
„Vielleicht ist das die Sonne?“, schlug einer der Hasen vor.
„Oder ein Wagenrad!“, meinte ein anderer.
„Oder die Brille eines Zyklopen!“
„Nein, nein, ihr liegt alle miteinander falsch“, widersprach ein weißer Hase mit schwarzen Flecken, der ganz in der Nähe vom Chefhasen stand. „Das ist keine Sonne, das ist auch kein Wagenrad und erst recht ist es keine Brille eines Zyklopen!“
„Aber was ist es dann?“, fragten vereinzelte Stimmen.
„Das ist ein Ei!“, antwortete der weiße Hase mit den schwarzen Flecken. „Seht doch, der Kreis ist ein klitzekleines bisschen oval und nicht ganz rund. Das muss ein Ei sein.“
„Aber ja, es ist ein Ei!“, stimmten ihm nun die anderen Hasen zu.
Auch der Chefhase ließ sich davon überzeugen. „Wir sind aber doch keine Ei-Sternfabrik“, empörte er sich und schüttelte den Kopf. „Warum hat denn jemand ein Ei auf das Schild gemalt?“
Darauf wusste niemand eine Antwort. Die Hasen grübelten und zerbrachen sich ihre pelzigen Köpfchen, kamen aber zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
Schließlich war es wieder der weiße Hase mit den schwarzen Flecken, der Rat wusste: „Eier werden von Hennen gelegt“, sagte er. „Wir könnten die Hennen fragen, was das zu bedeuten hat, denn sie wissen bestimmt besser über Eier Bescheid als wir.“
Und wieder war das die beste Idee und alle waren damit einverstanden. Also ließ man so schnell wie möglich Hennen herbeirufen, ganz viele auf einmal, denn die Hasen hatten ja bemerkt, wie schwierig das Problem allein zu lösen war.
Die Hennen stellten sich tatsächlich als klug heraus, wenn auch anders, als man erwartet hatte. Als sie eingetroffen waren, erklärten die Hasen ihnen, worum es ging, und die Hennen besahen sich die Schmiererei auf dem Schild. Und sie wussten sogar sofort eine Antwort: „Aber das ist doch kein Ei“, gackerte eine der Hennen empört. „Das ist ein Buchstabe. Das ist ein O!“
Ein lautes, erstauntes „Ooh!“ raunte die Menge. Daran hatte nun wirklich niemand gedacht!
„Also steht da nicht mehr STERNFABRIK, sondern OSTERNFABRIK“, las die Henne vor.
„Aber was ist denn ein Ostern?“, fragte der Chefhase unsicher und scharrte mit seinen Pfoten unruhig auf dem Boden. „Wir stellen doch Sterne her.“
„Ostern ist ein Fest, das die Menschen feiern. Jedes Jahr im Frühling“, antwortete ihm eine andere Henne.
Wieder waren die Hasen ganz erstaunt, wie gebildet die Hennen waren. Denn von Ostern hatten sie noch nie etwas gehört.
Aber auch der Chefhase war nicht dumm und zog seine Schlüsse daraus. „Das heißt“, seufzte er mit hängenden Ohren, „die Menschen wollen unsere Sterne deshalb nicht mehr, weil sie schon lange mit neuen und anderen Festen beschäftigt sind.“
Traurig sah er zu seiner Fabrik hinüber. Da meldete sich plötzlich der häsische Geschäftssinn in seinem Geist und er hatte einen großartigen Einfall: „Wenn die Menschen aber keine Sterne mehr brauchen, können wir ja etwas anderes herstellen, was sie für ihre neuen Feste brauchen“, schlug er vor.
Die Hasen murmelten zustimmend, das war wirklich eine gute Idee. „Aber was sollen wir denn sonst fabrizieren? Was wünschen sich die Menschen für ihre Osterfeiern?“
Und schon wieder waren die Hasen ratlos.
Die gewitzten Hennen aber waren, obwohl man es ihnen nicht ansah, auch sehr geschäftstüchtige Tiere. Und so witterten sie sofort ihre Gelegenheit und gackerten: „Eier! Sie brauchen Eier für ihr Fest, viele, viele Eier!“
Weil die Hennen zuvor schon so gut Bescheid gewusst hatten, zweifelte niemand mehr daran, dass sie auch damit richtig lagen.
Auch der Chefhase bemerkte nicht die List der Hühner und sprach: „Habt vielen Dank. Nun, von jetzt an sind wir also eine OSTERNFABRIK. Und wenn sich die Menschen Eier zu Ostern wünschen, so stellen wir eben Ostereier für sie her.“
Weil aber selbst die tüchtigsten Hasen nicht imstande waren, Eier zu legen, schlossen sie einen Handel mit den Hühnern ab, die sie von nun an gegen eine großzügige Bezahlung immer zum Osterfest mit frischen Eiern beliefern sollten.
Weil der Frühling aber schon über dem Land lag und sein warmer Wind Ostern ankündigte, gerieten die Hasen in Zeitnot. Hurtig bemalten sie die ersten gelieferten Eier, damit sie festlicher aussahen. Erst am letzten Tag vor Ostern wurden sie damit fertig – viel zu spät, um die Eier den Menschen noch persönlich zuzustellen. In ihrer großen Eile verteilten die Hasen die bunten Eier in der Nacht einfach überall, wo sie hinkamen. Sie hofften darauf, dass die Eier trotzdem entdeckt würden.
Am nächsten Tag staunten die Menschen nicht schlecht, als sie zu den Osterfeiern überall versteckt bunte Eier fanden. Die Kinder lachten und jauchzten und begaben sich eifrig auf die Suche. Was eigentlich überhaupt keine Absicht gewesen war, bereitete den Kindern überall so große Freude, dass die Hasen beschlossen, an ihrer Liefermethode nichts mehr zu ändern.
Und so entstand der Brauch, dass jedes Jahr zu Ostern bunte Eier versteckt werden, damit glückliche Kinder sie finden dürfen.
Roman Seifert, geboren am 5. Februar 1989 in Waldshut, lebt derzeit in Bad Säckingen und studiert seit 2009 Deutsche Philologie und Geschichte an der Universität Basel.
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Das schwarze Ei
Die fröhliche Maja war seit ihrer Geburt blind. Darunter litt die Neunjährige kaum. Einzig beim Herumtoben im Freien brauchte sie Begleitung. Mal war es ihr älterer Bruder Mika oder ihre Mama, die sie zum nahen Spielplatz begleiteten. Sogar das Fahrradfahren beherrschte Maja. Unbändig stolz war sie gewesen, als Papa ihr das beigebracht hatte. Und wie sie das Rutschen und Klettern liebte!
Im Sommer, Herbst und Winter war Majas Welt in Ordnung. Traurig wurde Maja, wenn der Frühling nahte und mit ihm das Osterfest. Begeisterte sich doch dann alle Welt für die sprießende Natur. Erfreuten sich an blauen Traubenhyazinthen, Beeten mit roten Tulpen genauso wie an den gelben Narzissenfelder. Solche bunten Bilder blieben Maja fremd. Ebenso wenig konnte sie sich etwas Kariertes, Gestreiftes oder Einfarbiges vorstellen. Die Kleiderauswahl übernahm von klein auf ihrer Mutter. Majas Nase und ihre Ohren waren ihre Augen. Dennoch blieben Farben ihr ein unbekanntes Universum.
Von Jahr zu Jahr verwünschte sie den Frühling und das Osterfest mehr und mehr. Der Feststimmung an Ostern hätte sie sich am liebsten durch Flucht entzogen. So sehr sich ihre Eltern und Mika auch bemühten, ihr die Farben zu erklären, es blieb in ihrem Kopf dunkel. Wähnte sich Maja allein, hörten sie Maja oft genug sagen: „Mein größter Wunsch wäre es, ein einziges Mal ein Gelb, ein Grün, ein Blau, ein Rot, ein Pink zu sehen.“
Das stimmte in ihrer Familie alle traurig. Und nun stand Ostern wieder vor der Tür. Mika hatte eine Eule als Jungvogel aufgepäppelt,