Am besten so wie James Bond auf seinen Einsätzen zur Rettung der Menschheit: Im coolen Aston Martin mit Tempo 200 und quietschenden Reifen durch enge Serpentinen, immer haarscharf am neben der Straße gähnenden Abgrund entlang, je nach Situation auf der Jagd nach oder auf der Flucht vor einem halben Dutzend wild um sich feuernder Gangster. Kurz bevor der Zuschauer beim Blick auf die nächste Haarnadelkurve zu gähnen beginnt, steuern letztere regelmäßig ihr Gefährt über die Straße hinaus.
Natürlich darf bei diesen Verfolgungsjagden nie das vollbusige Bond-Girl fehlen. Es räkelt sich auf dem Beifahrersitz und zeigt auch in der brenzligsten Lage nicht den geringsten Anflug von Panik. Sie kreischt nicht erschrocken auf, wenn ihr Held den Straßenverlauf querfeldein abkürzt. Wozu auch, der Mann an ihrer Seite kann schließlich Auto fahren! Natürlich weiß sie, dass für einen James Bond weder Geschwindigkeitsbeschränkungen noch rote Ampeln existieren. Es wäre also völlig überflüssig, ihn auf solche Banalitäten hinzuweisen.
So komplizierte Dinge wie Fliehkräfte oder Bremswege interessieren die junge Dame nicht. Als das in der Schule auf dem Lehrplan stand, hat sie nicht zugehört. Wahrscheinlich war sie damals gar nicht im Physikraum. Sondern auf der Toilette, um neue Wimperntusche aufzulegen.
Wenn der Held und das Mädchen schließlich an ihr Ziel gelangt sind, strahlt sein Hemdkragen immer noch in makellosem Weiß und sitzt ihre Frisur immer noch perfekt. Somit steht einem romantischen Abend nichts mehr im Wege. Kein finsterer Mafiaboss, und erst Recht kein kleinliches Gezänk über den Fahrstil.
Ja, so läuft das bei James Bond. Und so sollte es auch bei jedem beliebigen Teenager laufen, sobald er im Besitz einer Fahrerlaubnis ist.
Aber die Welt ist gemein, besonders zu männlichen Fahranfängern.
Statt eines Aston Martin steht ihm nur Mutters Kleinwagen zur Verfügung. Geht er diesen Kompromiss mit seinen Träumen ein und steuert das „Immerhinein-Auto“ auf die Straße, muss er feststellen, dass der Otto-Meier-Weg in Kleinkleckerlesdorf weder besonders steil noch besonders kurvenreich ist. Das einzige Hindernis, das ihm den Weg versperren will, ist ein Müllauto. Um das kann er nicht einmal gekonnt herumkurven, weil Gegenverkehr kommt.
Fast das einzige, was noch an den Filmhelden erinnern könnte, ist ein weibliches Wesen auf dem Beifahrersitz. Dieses trägt allerdings statt eines knappen Tops mit offenherzigem Dekolleté eine hochgeschlossene Bluse. Kein verführerisches Lächeln spielt um erotisch volle Lippen, sondern ein angstvoll zusammengepresster Mund stößt ein „Brems doch endlich, oder siehst du den Radfahrer dort hinten nicht?“ heraus.
Spätestens jetzt muss auch der kühnste Träumer unter den Fahranfängern sich der Tatsache stellen, dass das Leben kein Film ist, und er nicht James Bond. Und dass neben ihm keine aufreizende junge Dame sitzt, die sich auf einen romantischen Abend mit ihrem Helden freut. Sondern seine Mutter, die ihren Sohn bei seinen ersten eigenen Fahrversuchen beschützen möchte.
Man kann die Befürchtungen der Mutter durchaus nachvollziehen. Für den Sohn stellen seine nunmehr 18 Jahre ein ganzes Menschenleben dar; der Mutter ist noch allzu gut in Erinnerung, wie sie vor gar nicht langer Zeit ein winziges, hilfloses Menschlein in den Armen hielt, das sie fortan vor allen Gefahren des Lebens beschützen würde.
Und eben dieser Sohn, den sie bislang so sorgfältig behütet hat, schickt sich nun an, auf vier Rädern die Welt zu erobern? Er will sich ernsthaft den Gefahren des Straßenverkehrs aussetzen? Er nimmt für ein wenig mehr Freiheit in Kauf, dass die Mutter Abend für Abend ängstlich auf seine Rückkehr wartet und sich bei jedem Klingeln des Telefons ausmalt, was ihrem Sohn jetzt zugestoßen sein könnte?
Es fällt schwer, diese Tatsache in ihrem ganzen Ausmaß zu erfassen und auch nur ansatzweise zu akzeptieren.
Dem Sohn wiederum fällt es schwer, die Befürchtungen seiner Mutter auch nur ansatzweise zu verstehen. Schließlich ist er nun endlich erwachsen, schließlich hat er die Fahrprüfung schon beim ersten Versuch bestanden, schließlich trägt er stolz den amtlichen Nachweis in der Hosentasche, dass er sehr wohl in der Lage ist, alleine ein Auto über Autobahnen oder durch dichten Feierabendverkehr zu steuern!
Immerhin hat die Mutter sich nach reichlich Fürsprache des Vaters dazu überreden lassen, das vor kurzem noch so hilfsbedürftige, unselbstständige Kind in ihrem Auto Fahrpraxis sammeln zu lassen. Aber muss sie nun ängstlich darüber wachen, dass er auch ja keinen kilometerweit entfernt auf dem Radweg fahrenden Radfahrer übersieht? Muss sie vor jeder Kurve hörbar den Atem anhalten und sich panikartig an den Türgriff klammern? Muss sie ihn vor jeder Fahrt zur Vorsicht und zur Rücksicht auf ihre angstgestressten Nerven mahnen?
Man kann sich leicht ausmalen, dass zwischen dem gerade fahrtüchtig gewordenen Sohn und seiner beschützerinstinkt-geleiteten Mutter nur selten traute Harmonie herrscht. Auch wenn der Sohn irgendwann weitere Schritte ins Leben unternimmt und zu Hause auszieht, wird dieser Konflikt beide Seiten noch lange verfolgen. Die Mutter, die nun keinerlei Möglichkeiten mehr hat, auf ihren Sohn aufzupassen, und deren Fantasie sich darum umso schlimmere Bilder ausmalt, was diesem auf seinen Fahrten so alles zustoßen könnte. Und den Sohn, der auch ohne die mahnende Anwesenheit der Mutter weiter gegen deren unterschwelligen Vorwurf ankämpft, er könne nicht richtig Autofahren.
Was wäre besser dazu geeignet, diesen Verdacht endgültig aus der Welt zu schaffen, als eine hübsche junge Dame, die ihrem Helden am Steuer bewundernde Blicke zuwirft, während dieser seinen Ford Fiesta in James-Bond-Manier mit Tempo 120 lässig über die Autobahn steuert?
Es soll Fälle geben, in denen dieses Szenario Wirklichkeit wird.
Bei Martin und mir stimmten dafür von Anfang an einige Voraussetzungen nicht: Erstens besaß Martin gar kein Auto, als wir uns ineinander verliebten. Der Fiesta war meiner. Zweitens bin ich kein Bond-Girl. Nicht nur, weil ich weder Model-Maße noch Wimperntusche besitze. Sondern auch, weil ich im Physikunterricht zumindest soweit aufgepasst habe, dass ich eine Ahnung von Fliehkräften und Bremswegen habe.
Ich halte mich trotzdem für eine gute Beifahrerin.
Immerhin habe ich meinen Liebsten ohne Zögern ans Steuer meines Wagens gelassen. Ich weise ihn nicht auf rote Ampeln hin und gebe keine Tipps zur Bedienung der Gangschaltung.
Aber ich halte in der Regel meine Augen offen. Folglich sehe ich, dass drei Autos vor uns ein Bremslicht aufleuchtet. Oder dass der LKW etwa einen Kilometer vor uns auf der Autobahn den Blinker zum Überholen gesetzt hat. Ich weiß, dass ein solches Ereignis die nachfolgenden Autos zum Bremsen veranlassen wird, und dass die kollektive Bremsaktion irgendwann auch uns erreichen muss.
Trotzdem macht der durchaus sichere Fahrer links neben mir keinerlei Anstalten, seinen Fuß vom Gas- auf das Bremspedal umzusetzen.
Was liegt da näher, als selbst auf die Bremse zu treten?
Wohlgemerkt, als Beifahrerin.
Wir haben keinen Fahrschulwagen, also kann ich so oft und so heftig in das Bodenblech treten, wie ich will, das Auto wird seine Geschwindigkeit auch nicht im Geringsten verringern.
Das einzige, das sich ändert, ist die Laune des Fahrers. Muss ich so mit den Füßen herum zucken? Ja doch, natürlich hat er den ausscherenden LKW gesehen. Aber noch ist ja gar nicht sicher, ob auch wir deswegen bremsen müssen, dafür ist der LKW viel zu weit vor uns. Ob ich ihm nicht zutraue, dass er alles im Griff hat? Ob ich tatsächlich denke, er könne nicht sicher Autofahren?
Noch bevor Martin mit seinen vorwurfsvollen Fragen fertig ist, hat meine Laune sich der seinen angepasst.
Natürlich traue ich ihm zu, dass er uns beide heil an unser Ziel bringt. Aber das Auto dort vorne hat doch wirklich gebremst! Ob er da nicht wenigstens den Fuß vom Gaspedal nehmen könnte? Und außerdem hat er ganz offensichtlich vorhin das Tempo-100-Schild übersehen, sonst würde er nicht immer noch auf der Überholspur zusammen mit allen anderen Autos 120 fahren. Ob er vielleicht irgendwann gedenkt, nach rechts zu wechseln, um uns einen Strafzettel zu ersparen?
Nein, daran denkt der Mann am Steuer nicht. Schließlich gibt es hier weder eine Radarfalle noch einen Grund für die Geschwindigkeitsbeschränkung. Und