Auf der Wochenstation haben alle Schwestern Bauklötze gestaunt, als sie dich gesehen haben. Ein Baby von der Intensivstation hatten sie hier noch nie zu Besuch!
Ich habe mich wirklich gefreut, dich zu sehen. Aber als du dann auf meinem Bauch gelegen bist … du ahnst es sicher schon: Der Bauch tat so weh. Vielleicht zehn Minuten lang habe ich versucht, dich so in den Arm zu nehmen, dass es für mich erträglich würde. Nur hat der Bauch in jeder erdenklichen Stellung viel zu sehr weh getan. Also hat dein Papa dich wieder genommen und sich mit dir im Arm neben mein Bett gesetzt. So konnten wir uns wenigstens sehen.
Wenn alles gut geht, kann ich dir vielleicht schon morgen mit einem Rollstuhl einen Gegenbesuch abstatten. Und zwar auf der Kinderklinik. Denn Intensivüberwachung brauchst du nicht mehr. Nur dein Kopf muss regelmäßig untersucht werden. Bis jetzt können die Ärzte aber nicht mit Sicherheit sagen, ob das Nervenwasser darin zunimmt.
Vielleicht geschieht ja tatsächlich noch ein Wunder, und du brauchst gar kein Ventil …
Deine Mama
1. März 1995
Lieber Jacob,
die Ärzte überlegen immer noch, ob sie deinen Wasserkopf operieren müssen. Als sie nicht mehr mit dem Ultraschall durch die Fontanelle in deinen Kopf schauen konnten, hat der Neurologe sogar einen kleinen Apparat konstruiert, mit dem man am Rest der Fontanelle den Hirndruck messen kann!
Der Druck auf dein Gehirn ist etwas höher als normal, aber noch deutlich unter der Grenze, ab der es gefährlich für dich werden würde. Das Problem ist, dass er ganz langsam zunimmt. Deshalb muss jetzt allmählich eine Entscheidung fallen, ob du ein Ventil brauchst oder nicht.
Für mich ist dabei etwas ganz anderes wichtig: Bis jetzt muss ich alle drei Tage mit dir ins Krankenhaus kommen und deinen Hirndruck kontrollieren lassen. Außerdem soll ich mit dir zum Augenarzt, und die normalen Untersuchungen beim Kinderarzt muss ich ja auch machen lassen.
Das heißt jedes Mal: Dich wecken, warm anziehen, dich und deinen Kinderwagen ins Auto packen, ins Krankenhaus fahren, dabei öfter mal viel zu lange im Stau stehen, am Ziel erst mal keinen Parkplatz finden, dann dich wieder wecken und samt Kinderwagen aus dem Auto holen, rein in die Klinik und warten, bis du dran bist. Wenn man zwei Mal geweckt wird, bekommt man Hunger; da machst du keine Ausnahme. Dafür nehme ich immer ein Fläschchen mit Milchpulver und eine Thermoskanne mit heißem Wasser mit. Aber manchmal bist du schon wieder eingeschlafen, bevor ich dein Fläschchen fertig habe. Also muss ich dich wieder wecken und versuchen, ein völlig verschlafenes Kind zu füttern. Das kann ja nicht wirklich gut gehen! Bis wir zum Arzt hinein dürfen, bist du nicht nur müde und knatschig, sondern auch noch hungrig, weil deine Milch kalt geworden ist, bevor du sie ausgetrunken hast. Und auch ich bin alles andere als gut gelaunt.
Der Arzt untersucht dich dann, zieht die Stirn in Falten, überlegt, ruft einen Kollegen an, um sich mit ihm zu beraten. Und dann sagt er, dass man heute noch nichts entscheiden kann. Wir sollen in drei Tagen wiederkommen.
Diese ganze Fahrerei und Warterei, für die ich dich ständig aus dem Schlaf reißen und durch nasskalten Nieselregen tragen muss, dieses ganze Geschlabber mit der Milch – das geht mir inzwischen ziemlich auf die Nerven. Wie sollen wir bei alledem die Ruhe bekommen, die wir so dringend brauchten? Und einen einigermaßen geregelten Tagesablauf finden?
Aber keine Angst, ich werde trotzdem weiterhin brav alles tun, was die Ärzte von mir wollen. Es soll dir ja auf keinen Fall etwas passieren.
Ich wäre nur froh, wenn die ganze Unsicherheit und diese ständigen ärztlichen Kontrollen irgendwann vorbei wären.
Deine Mama
3. März 1995
Lieber Jacob,
so, jetzt hat die ganze Hängepartie endlich ein Ende!
Heute haben zwei Chefärzte, drei Oberärzte und zwei Stationsärzte über drei Stunden lang beraten, was sie nun machen sollen. Wir konnten so lange nur zu Hause sitzen und auf ihren Anruf warten. Angerufen hat aber immer nur die Oma, die wissen wollte, was die Ärzte nun entschieden hätten.
Schließlich war doch die Klinik am Apparat: Du bekommst ein Ventil eingesetzt, um jede Gefahr von deinem Gehirn fern zu halten. Danach, so hoffen wir, kannst du dich ganz normal entwickeln.
Ach, wäre das schön …
Deine Mama
10. Januar 1996
Lieber Jacob,
nun bist du schon ein ganzes Jahr alt. Und leider, leider haben sich unsere Hoffnungen nicht ganz erfüllt. Deine Entwicklung läuft auf allen Gebieten deutlich langsamer als bei einem Durchschnitts-Kind.
Wenn ich die Bücher anschaue, in denen genau beschrieben wird, was ein Baby mit zehn oder zwölf Monaten alles können sollte, dann wird mir ganz anders. Denn davon erfüllst du fast gar nichts. Deshalb bekommst du Krankengymnastik, um deine Entwicklung zu fördern. Es wird trotzdem noch eine ganze Weile dauern, bis du laufen kannst.
Zum Glück gibt es so manches, was in all den Entwicklungsbüchern gar nicht steht: Meistens bist du ein sehr zufriedenes Kind und strahlst deine Welt so fröhlich an, dass man fast automatisch zurückstrahlt. Man kann wunderbar mit dir toben, je heftiger, desto lieber. Darüber freut sich dein Papa ganz besonders. Und du lässt dich von jedem auf den Arm nehmen, ohne gleich nach der Mama zu schreien. Das schont meine Kraft und hat dir schon viele Freunde verschafft.
Wir sind einfach froh darüber, dich bei uns zu haben. Da können die angeblich so schlauen Bücher sagen, was sie wollen. Ich werde sie halt nicht mehr so oft anschauen. Sondern dich lieber bäuchlings auf meinen Bauch legen, dich auf die Unterarme stützen lassen (damit haben wir ein Pensum Krankengymnastik schon erledigt) und dir etwas erzählen.
Aber jetzt decken wir erst einmal den Tisch für deine Geburtstagsgäste, okay?
Deine Mama
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