Ein Windstoß streifte über meinen halb nackten Körper. „Ich sollte …“
„Keine Zeit“, sagte sie und drehte sich um. „Komm.“
Sie rannte durchs Zimmer und ich folgte ihr in den zweiten Stock. „Warte“, rief ich oben an der Treppe und rannte zurück.
„Was tust du?“
„Wir müssen Pilar holen.“ Mit dem Rücken an der Wand bahnte ich mir den Weg durch den dunklen Flur zu ihrem Zimmer, wo ich ihren Namen zischte. Nach einer Sekunde schlüpfte sie unter dem Bett hervor. Ihr Gesicht war tränennass.
„Natalia, oh mein Gott.“
„Komm“, sagte ich und bückte mich, um ihr aufzuhelfen. „Mach schnell, bist du verletzt?“
„Nein.“ Zitternd kam sie auf die Beine. Jaz bewachte die Tür, steckte den Kopf in den Flur, bevor sie uns herauswinkte.
Pilar keuchte auf. „Du bist von oben bis unten voller Blut.“
„Mir geht’s gut.“
„Wer macht so etwas?“, fragte sie. „Was wollen die?“
„Macht schon“, befahl Jaz wispernd.
Ich nahm Pilar an der Hand und ließ uns von Jaz durch das dunkle Haus führen. Ich vertraute darauf, wie gut sie sich hier auskannte. Als wir im Erdgeschoss angekommen waren, schickte sie uns vor. „Lauft, schnell. Ich decke euch den Rücken.“
Wir durchquerten das Hauptwohnzimmer und wurden langsamer, als wir in die Nähe der Küche kamen. Von dort war der schnellste Weg in den Keller zum Panikraum. Jaz hob die Waffe und ging als Erste hinein. Die Augen zu Schlitzen verengt maß sie den Raum ab.
„Alles klar“, sagte sie und nickte zur Tür, die in die Garage führte. „Hier entlang. Kennst du den Weg?“
„Ja. Was ist mit dir?“
„Bin hinter euch.“
Ich schnappte mir Pilar am Arm und rannte los. Meine nackten Füße klatschten laut auf dem Fliesenboden. Wir waren kurz vor der Tür, als Pilar stolperte und mich mit herunterriss. Mein Kopf sauste knapp an einer Tischplatte vorbei, allerdings schlug ich mit dem Wangenknochen direkt auf den Boden. Schmerz durchzog mein gesamtes Gesicht, was aber schnell vergessen war, als Pilar aufschrie. Ich sah mich um und schlug mir die Hand vor den Mund. Wir waren über Rocio gestolpert, eine Frau, die neben Fisker in der Küche gearbeitet hatte. Blut war auf dem Boden und den Schränken verspritzt und sie lag in einer Lache.
„Pst.“ Jaz riss Pilar auf die Beine und als sie nicht still wurde, sorgte Jaz dafür, indem sie ihr eine Ohrfeige gab. Dann fühlte sie Rocios Puls am Hals und sagte: „Sie ist tot.“
Mein Hals wurde eng. „Sie … sie war auch auf dem Weg zum Panikraum.“
„Vielleicht.“ Jaz bekreuzigte sich, nahm die Waffe neben Rocio an sich und blickte zum Kühlschrank hinüber. „Aber sie starb im Kampf.“
Ich folgte ihrem Blick und sah die Leiche eines Mannes. „Ist das einer von denen?“
„Es ist keiner von uns. Andere Kartelle begreifen nicht, dass wir immer kämpfen. Jeder von uns. Wir siegen oder wir sterben bei dem Versuch.“ Jaz gab Pilar die Waffe. „Aber jeder in diesem Haus kämpft.“
„Ich weiß nicht, wie man damit umgeht“, sagte Pilar und hielt die Glock so, als wäre sie eine Zeitbombe.
„Wenn dir irgendwer in die Quere kommt, betätige den Abzug“, sagte Jaz und legte Pilars Hand um die Waffe. „Du musst Natalia den Rücken decken. Sie sind höchstwahrscheinlich hinter ihr her. Und sie wird euch zusammen in den Panikraum bringen.“
„Was ist mit dir?“, fragte ich.
Jaz blickte zu Rocio. „Ich hab doch gesagt“, sie schluckte, „ich kämpfe.“
„Nein, Jaz.“ Ich zog an ihrem Arm, damit sie mich ansah. „Du verstehst nicht. Sie sind wegen uns allen hier. Sie suchen alle Frauen und sie werden dich umbringen.“
„Ich habe einen Job zu erledigen. Genau wie Rocio.“
Ich wusste immer noch nicht, wie Jaz in den Badlands gelandet war, aber ich konnte mir einiges zusammenreimen. An meinem ersten Morgen hier, hatte sie mir gesagt, dass sie Sex benutzt hatte, um zu überleben. Cristiano hatte mir erzählt, dass sie nicht viel Gutes erlebt hatte. Wenn man bedachte, dass die Badlands teilweise ein sicherer Hafen und eine Art Rehabilitationszentrum für Opfer aus dem Prostitutionsbereich, Sklavenhandel und einigem mehr waren, dann zählte Jaz sicherlich zu einer dieser Kategorien.
„Vielleicht bringen sie dich nicht um“, sagte ich. „Was ist, wenn sie dich stattdessen mitnehmen?“
Sie erstarrte, hatte offensichtlich Angst. „Ich … ich kann mich nicht da unten verstecken …, während die anderen uns verteidigen.“
„Du versteckst dich nicht, du beschützt uns.“ Ich wollte sie anbrüllen, damit sie mich verstand, aber ich hatte Probleme mit dem Sprechen, der Hals schmerzte so sehr. Ich griff nach ihren Armen und schüttelte sie, bis sie mich überrascht ansah. „Wir brauchen dich. Wenn du nicht mitkommst, bleibe ich hier bei dir.“
„Nein, bitte“, bettelte Pilar mit einem Schluchzen, geweiteten Augen und einem Blick auf Rocio. „Du kannst mich nicht allein lassen.“
Jaz schüttelte den Kopf. „Wenn du stirbst und Cristiano überlebt, dann wird er mich persönlich umbringen.“
„Also, wo meinst du, will er seinen beharrlichsten Kämpfer haben?“
„Bei dir.“ Jaz reckte das Kinn. „Okay. Lasst uns gehen.“
Wir gingen durch die Tür in die Garage und die Stufen in den Keller hinab. An der Tür zum Panikraum zitterte ich so heftig, dass es schwer war, den Daumen auf den Fingerabdruckscanner zu legen. Jaz übernahm es. Innerhalb von Sekunden leuchtete er grün auf und das Schloss öffnete sich.
Ich ließ Pilar und Jaz den Vortritt. Nach der fast kompletten Dunkelheit des Hauses blendete mich das helle Licht im Panikraum und ich sah nur noch dumpfe, graue Schatten. Ich knallte die Tür hinter mir zu und der Schlag hallte durch die komplette Stille. Selbst Pilar hatte aufgehört zu weinen. Eingeschlossen in einem Keller, legte ich die Stirn gegen die kalte Stahltür.
Cristiano.
Selbst in seiner Abwesenheit rettete er mich noch. Wenn ich keine Selbstverteidigung gelernt hätte, würde ich hier jetzt nicht stehen. Aber wo war er nur?
Ich muss wissen, dass du dich selbst retten kannst und zu mir nach Hause zurückkommst, hatte er mir einmal gesagt.
Ich war zu Hause. Ich hatte mich selbst gerettet.
Und er?
Mein Atem stockte.
„Cristiano ist tot. Du hast nichts mehr, wofür du kämpfen kannst. Schlaf.“
Höhnische Worte, während ich in der Gewalt des Fremden gewesen war. Keine Luft bekam. Kaum Hoffnung hatte, mich selbst zu retten. Mein Hals zog sich zusammen, als sich Geisterhände um mich legten. Ich ballte die Faust und kämpfte gegen das Schluchzen an, das sich so schnell und überwältigend in meiner Brust formte. Cristiano hatte am Telefon nicht normal geklungen. Er hatte meinen Namen gesagt, als wäre es in Zeitlupe, von ganz weit weg. Und ich hatte einen Mann im Hintergrund sprechen hören. Was hatte er gesagt?
In meinen Schläfen pochte es und in meiner Kehle brannten ungeweinte Tränen. Wir hatten telefoniert …
Mein Herz schlug schneller bei dieser unbekannten und angstvollen Erregung.
Komm zurück.
Das war die wichtige Sache, die ich versucht hatte, ihm zu sagen, ohne die Person zu verraten, die ich gewesen war, als ich hier ankam. Wenn ich gewusst hätte, dass das seine letzten Momente gewesen wären, dann hätte ich es einfach