Unaufhaltsam näherte sich die in allen Farben des Regenbogens schimmernde Schicht der Schebecke. Nervosität breitete sich an Bord aus.
„Sir“, schlug Ferris Tucker vor, „wir könnten versuchen, das Öl mit Sand abzudecken und absinken zu lassen. Wenigstens um das Schiff freizuhalten.“
Unter anderen Umständen hätte der Seewolf den Vorschlag aufgegriffen. Jetzt schüttelte er nur den Kopf. Er wollte ein Kräftemessen vermeiden, das letztlich doch nur auf den Schultern der unbeteiligten Stadtbevölkerung ausgetragen wurde.
„Wir überlassen den Indern den nächsten Schritt“, sagte er. „Al, halte für alle Fälle die Culverinen klar.“
„Aye, aye, Sir!“ Der Stückmeister der Arwenacks hatte nichts anderes erwartet. Ketten- und Stangenkugeln, Pützen mit Sand und Wasser sowie die Kohlebecken standen bereit. Die ersten der 18-Pfünder-Kanonen waren ausgerichtet. Al Conroy würde beide Batterien abfeuern, die an Steuerbord auf die Stadt und die Kanonen an Backbord, um die anderen großen Schiffe im Hafen zu versenken.
Der Doppelschlag der Schiffsglocke erinnerte die Arwenacks daran, daß sie nun schon fast eine Stunde lang zum Abwarten verurteilt waren. Das Öl schillerte auf der Wasseroberfläche. Es hatte die Schebecke inzwischen eingeschlossen, wurde aber merklich dünner.
„Aaachtung!“ rief Dan O’Flynn von der Back. „Da tut sich was an Land!“ Er hatte zweifellos die schärfsten Augen und zudem eine gute Beobachtungsgabe.
Tatsächlich dauerte es nicht lange, dann gewahrten auch alle anderen die aus dem Stadtinnern anrückenden Soldaten. Sie bemannten ein Boot, das gleich darauf ablegte.
„Wir erhalten hochehrwürdigen Besuch“, sagte Dan. „Chandra Bose persönlich.“
Die Männer der Stadtwache hielten ihre altertümlichen Flinten schußbereit, als der Hauptmann die Schebecke betrat. Er blieb neben der Pforte im Schanzkleid stehen, sein Blick huschte über die Decks. Im Gegensatz zur letzten Begegnung wirkte er selbstsicher und zufrieden.
„Es ist gut, daß Sie uns noch nicht verlassen haben“, sagte er mit etwas spöttischem Unterton und in der Gewißheit, mit den Engländern nach seinem Gutdünken verfahren zu können.
„Nachdem uns die Ausfahrt auf so deutliche Weise verwehrt wurde, hatten wir wohl keine andere Wahl“, erwiderte der Seewolf. „Aber zur Sache: Was wollen Sie? Verlangen Sie ein Lösegeld?“
„Senhor“, sagte Chandra Bose entrüstet, „wo denken Sie hin?“ Er schien nicht im geringsten zu befürchten, daß ihn die Arwenacks als Geisel nehmen und sich so die Freiheit erzwingen konnten. Hatte er eine derart hohe Meinung von ihnen, oder fühlte er sich von den Flinten seiner Männer ausreichend beschützt?
Dan O’Flynn, der ähnliche Gedanken wälzte und sich ausgiebig umsah, entdeckte auf den beiden Sambuken kleinere Geschütze, die auf die Schebecke gerichtet waren. Eine besonders durchschlagende Wirkung würden die Inder damit aber nicht erzielen.
Nach einer kurzen Pause fuhr der Hauptmann fort: „Meine Leute haben den Frevler gefaßt und ihm die heilige Reliquie abgenommen. Ihre schändliche Absicht, alle gläubigen Singhalesen zu betrügen, war also unnötig. Schweigen Sie, und hören Sie mir zu!“ herrschte er den Seewolf an, der zu einer Erwiderung ansetzte. „Noch weiß nur ich davon, und ich bin Hindu. Aber ein Wort von mir genügt, und alle Buddhisten stürmen Ihr Schiff. Ihr Versuch war eine Verhöhnung Buddhas und fast so schlimm wie der Diebstahl selbst.“
„Ist das alles, was Sie mir zu sagen haben?“ fragte Hasard.
„Der heilige Weisheitszahn muß wieder zurück, und zwar zuerst nach Mannar. Von dort werden ihn ‚heilige Männer‘ nach Kandy bringen, in den Tempel, in dem er immer aufbewahrt wurde. Sie, Senhor Capitán, und Ihre Leute werden den Transport nach Mannar übernehmen.“
„Und wenn ich mich weigere?“
Chandra Bose lächelte überheblich, „überlegen Sie sich das gut. Kaum jemand hat soviel Verständnis wie ich.“
Dan O’Flynn, der Navigator der Arwenacks, der sich ausgezeichnet aufs Kartenlesen verstand, wandte sich an den Seewolf: „Mannar liegt nur rund hundert Seemeilen und nur unwesentlich von unserem eigentlichen Kurs entfernt. Der Umweg kostet uns bestenfalls ein paar Stunden.“
„Ich erwarte von Ihnen, daß Sie meinem Wunsch Folge leisten“, sagte der Inder mit Nachdruck. „Nur dann habe ich die Gewißheit, daß der Zahn tatsächlich bis nach Mannar gelangt.“
„Strengen Sie sich nicht unnötig an, mich zu überreden, Hauptmann“, erwiderte Philip Hasard Killigrew. „Mein Entschluß steht schon fest. Aber glauben Sie nicht, daß wir uns von Ihnen einschüchtern lassen. Geben Sie mir den Zahn, und wir bringen ihn heil nach Ceylon.“
Chandra Bose entspannte sich. Er lächelte plötzlich, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
„Ich trage das Heiligtum natürlich nicht bei mir. Ihre Passagiere, darunter eine Abordnung der in Tuticorin lebenden Singhalesen, werden Ihnen den Zahn für die Dauer der Überfahrt aushändigen. Die Männer und Frauen wollen den Tag damit verbringen, Buddha anzurufen. Sie sagen, solange das Heiligtum noch entweiht sei, würde es sie dabei nur stören.“
„Passagiere?“ fragte der Seewolf überrascht.
„Vergaß ich, das zu erwähnen? Natürlich haben Sie gegen eine Begleitung ebensowenig einzuwenden wie gegen meine Bitte, den Zahn nach Mannar zu bringen.“
Eine halbe Stunde später erschienen fünfzehn Männer und Frauen. Auf den ersten Blick war zu erkennen, daß sie verschiedenen Bevölkerungsschichten angehörten.
An ihrer Spitze stand ein nur fünf Fuß großer, schmächtiger und verschlagen wirkender Mann. Sein Haupthaar war schütter, der gezwirbelte Oberlippenbart bestand nur aus wenigen Borsten. Trotzdem war sein Alter kaum zu schätzen.
Alokeranjan hieß er, aber das erfuhren die Arwenacks nicht von ihm selbst. Er begnügte sich vorerst damit, die Crew und das Schiff herablassend zu mustern.
Nicht nur sein Äußeres wirkte abweisend, er schien auch sehr von sich überzeugt zu sein. Jedenfalls redete er wie ein Wasserfall, und noch dazu in seinem Dialekt, den keiner der Arwenacks verstand. Anschließend zeigte er sich wütend darüber, daß niemand reagierte.
Der Seewolf wandte sich an seine Söhne: „Habt ihr mitgekriegt, was der Kerl will?“
„Kein Sterbenswörtchen“, erklärte Philip. „Dann sagt ihm das gefälligst.“
Eine Frau drängte sich nach vorn. Ihr Anblick wirkte auf einige Arwenacks wie ein junger Seehund auf ein Rudel ausgehungerter Haie. Die Männer raunten sich recht eindeutige Bemerkungen zu.
Dina, mit dem Namen stellte sie sich vor, stand dem orientalischen Schönheitsideal recht nahe. Sie war also keineswegs gertenschlank, sondern hatte einen wohlgerundeten Körper, der durch den eng anliegenden Sari betont wurde. Ihr pechschwarzes Haar war zu einem Knoten aufgesteckt und hing trotzdem noch darüber hinaus bis auf die Schultern. Auch ihre Augen leuchteten schwarz und erschienen unergründlich tief, ein Ozean, in dem man sich leicht verlieren konnte.
„Alokeranjan wünscht, den Kapitän unter vier Augen und ohne die gaffende Meute zu sprechen“, sagte sie. „Außerdem verlangt er, daß uns die besten Unterkünfte zugewiesen werden. Das Schiff scheint einigermaßen Platz zu bieten.“ Sie sprach nahezu akzentfreies Portugiesisch.
„Was erwartet der Kerl?“ schimpfte Big Old Shane im Hintergrund. „Wir sind doch nicht seine Lakaien.“
„Ich bin der Kapitän der Schebecke, Philip Hasard Killigrew“, sagte der Seewolf. „Bestimmt werden wir nicht länger als höchstens vierundzwanzig Stunden miteinander das Vergnügen haben, aber das erscheint mir schon zuviel bei dem Tonfall, den Ihr Anführer anstimmt. Sagen Sie ihm, daß er Gast an Bord dieses Schiffes sei und sich folglich wie ein solcher zu benehmen habe.“
„Alokeranjan ist es nicht gewohnt, daß seine Anordnungen