Endlich lockerte sich die Wurzel. Danach bedurfte es nur noch einer letzten Anstrengung, und der Koch der Arwenacks hielt triumphierend das Objekt seiner Begierde in Augenhöhe.
Mit einem gurgelnden Aufschrei erwachte der Inder aus seiner Ohnmacht und richtete sich auf. Er hatte Mühe, zu begreifen, was geschehen war. Die tobenden Schmerzen in seinem Kiefer waren daran sicher nicht unbeteiligt.
„Hinter dir, Jan, im Schapp, steht eine Flasche“, sagte Mac Pellew. „Gib sie mir. Und einen Becher dazu.“
Es war Rum. Den flößte der Koch dem Inder ein. Jan Ranse, merklich blaß geworden, gluckerte fast den gesamten Rest.
Inzwischen merkte der Inder den Blutgeschmack im Mund, und er sah die metallisch, blitzenden Instrumente und das zangenähnliche Gerät in der Hand des Kochs. Irgendwie war das alles zuviel für ihn. Vielleicht glaubte er auch, daß ihm weitere Qualen zugefügt werden sollten. Wie ein gefangenes Raubtier blickte er um sich, bereit, erbarmungslos anzugreifen.
Instinktiv stieß Mac Pellew das Schott auf. Angriff oder Flucht, das waren die beiden Möglichkeiten, die sich dem Mann boten. Unter den gegebenen Umständen entschied er sich für die Flucht. So schnell hatten die Arwenacks schon lange niemanden mehr flitzen sehen. Er schoß auf die Kuhl hinaus, als säßen ihm tausend Teufel im Nacken.
Das letzte, was Mac Pellew und Jan Ranse von ihm hörten, war der mächtige Klatscher, als er im Wasser landete.
5.
Shilu Rissala, die junge Frau mit den entstellten Brandnarben, hatte bestimmt zwei Stunden lang vor dem abseits gelegenen Gehöft zwischen Bananenstauden verharrt und darauf gewartet, daß der Singhalese wieder erschien. Aber dann wurden die Lichter im Haus gelöscht, und es sah so aus, als hätten sich die Bewohner zur Ruhe begeben.
Shilu haßte den Mann, der sie mit ihrem Sari wie ein Tier gefesselt hatte. Sie haßte überhaupt alle Männer, seit sie wegen der zu geringen Mitgift mit brennendem Öl übergossen und aus dem Haus gejagt worden war. Die baufällige Hütte, in der sie zur Zeit mehr recht als schlecht lebte, war unbewohnt gewesen.
Shilu hatte Ehrgeiz und trotz allem noch genügend Kraft, sich nicht unterkriegen zu lassen. Deshalb hatte sie es auch erstaunlich schnell geschafft, dich selbst zu befreien.
Sie wußte, wer der Fremde war – der Frevler hatte schließlich nicht nur auf Ceylon für Aufruhr gesorgt. Shilu Rissala versprach sich Vorteile davon, wenn sie die Kenntnis über seinen Aufenthalt der Stadtwache mitteilte.
Die Hunde würden erneut unruhig, als sie sich vorsichtig zurückzog. Doch niemand erschien, um nach dem Rechten zu sehen.
Shilu fieberte dem neuen Morgen entgegen. Sie würde den Hauptmann der Wache aufsuchen, und sie wollte an diesem Tag die erste sein, die bei ihm Vorsprach.
Ungefähr zur selben Zeit verließ Edwin Carberry seine Koje. Da sein Wachtörn bevorstand, achtete niemand darauf.
Wie zufällig erschien er schon vor dem Glasen an Deck. Die Wachgänger gaben sich weit weniger schweigsam als sonst, hatten doch Jan Ranse und Mac Pellew für ausreichenden Gesprächsstoff gesorgt. Jeder stellte Mutmaßungen an, was denn nun in der Kombüse vorgefallen sei. Klar war jedenfalls, daß die beiden einen bewußtlosen Inder mit sich geschleppt hatten und er einige Zeit später unter allen Anzeichen des Entsetzens das Schiff verlassen hatte.
„Habt ihr auch genau hingesehen?“ fragte der Profos. „Vielleicht war der Inder eine Frau.“ Er hatte die Lacher auf seiner Seite.
Bevor er aber die Kombüse betreten konnte, rief ihm Blacky zu: „Das ist vergebliche Liebesmüh, Ed! Wir haben uns da drin schon umgesehen. Es ist sauber aufgeklart.“
„Trotzdem. Solange ich Profos bin, habe ich was gegen Geheimniskrämerei an Bord.“
Er steckte eine Lampe an und verschwand in der Kombüse. Dann mußte alles schnell gehen, damit die Wachen keinen Verdacht schöpften, daß er mehr vorhatte, als sich nur umzusehen.
Er warf die beiden in ein Tuch eingewickelten Zähne, die noch deutlich nach Jauche rochen, auf den Tisch. Zielstrebig öffnete er das Schapp, in dem für gewöhnlich eine Flasche Rum aufbewahrt wurde. Er fand die Flasche auch, aber der klägliche Rest darin war kaum der Rede wert und füllte eine Muck gerade zu einem Viertel.
Das Aroma des aus der Karibik stammenden Rums war verführerisch. Edwin Carberry nippte einen kleinen Schluck, ehe er die beiden erbeuteten Zähne hineinwarf und kräftig schüttelte.
Mit sich selbst zufrieden und zuversichtlich, was die nahe Zukunft in Tuticorin betraf, kippte er dann den Alkohol in einen Wassereimer, wickelte die Zähne in ein sauberes Tuch und verließ die Kombüse eilenden Schrittes.
„Was hast du herausgefunden?“ fragte Blacky.
Carberry zuckte mit den Schultern. „Eine leere Flasche steht im Schapp. Womöglich wollte Mac den Inder im Suff aushorchen.“
Er reagierte äußerst zufrieden, als die Schiffsglocke den Wachwechsel verkündete, enthob ihn dies doch der Verpflichtung, weitere lästige Fragen beantworten zu müssen.
Im Schein einer Öllampe spannte Madhav zwei alte, knochige Ochsen vor den zweirädrigen Karren. Die Tiere ließen mit stoischer Ruhe alles über sich ergehen und kauten auf den paar Handvoll Stroh herum, die er ihnen hingeworfen hatte.
Der Karren wirkte nicht minder gebrechlich als die Zugtiere. Ein hoher Aufbau sorgte dafür, daß die Fracht nicht bei jedem Schlagloch verrutschte, denn unbequem war der Weg nach Norden allemal, und die beiden geflickten Scheibenräder bewiesen, daß genügend andere Unwägbarkeiten lauerten.
Während Madhav die Ochsen anschirrte, stapelte Jehan, seine Frau, die Körbe so geschickt, daß in der Mitte ein ausreichender Hohlraum blieb. Für Malindi Rama wurde es Zeit, Abschied zu nehmen.
„Paß auf dich auf“, flüsterte Jehan.
Der Singhalese nickte knapp. „Ich habe ja den Zahn“, erwiderte er.
Ihm standen unangenehme Stunden bevor. In qualvoller Enge durchgeschüttelt und zusammengestaucht zu werden, war schließlich nicht jedermanns Sache.
Zuunterst standen die Körbe mit den schweren Korallen. Nachdem Malindi sich zusammengerollt hatte, deckte Jehan seinen Unterschlupf mit Brettern ab und packte weitere Körbe voll Bananen und Meeresfrüchte obenauf.
Die ersten Strahlen der Morgensonne geisterten über das Firmament, als das Fuhrwerk anrollte. Madhav, der allein auf dem schmalen Kutschbock saß, lenkte die Ochsen nach Nordosten, bis er nach etwa einer halben Meile auf den ausgefahrenen Weg nach Norden stieß.
Tief eingegrabene Wagenspuren führten zwischen Palmen entlang. Von einer Straße konnte keine Rede sein, die Monsunregen wuschen immer mehr von dem fruchtbaren Erdreich aus und legten einen geröllübersäten Untergrund frei, auf dem der Karren ächzend hin und her schwankte.
Gleichmäßig trotteten die Tiere in den Rinnen entlang.
Madhav hielt zum erstenmal an, als Tuticorin schon in der Ferne verschwunden und nicht einmal mehr das Gleißen und Funkeln der mit Blattgold belegten Tempelkuppel zu sehen war. Ausgiebig streckte er seine vom steifen Sitzen schon jetzt schmerzenden Glieder. Bis zur nächsten Siedlung waren es noch mehrere Stunden Fahrt.
„Niemand wird erfahren, wohin du dich gewandt hast, Vetter Malindi“, sagte er.
Zwischen den Körben erklang ein Ächzen. „Wir sollten die Plätze tauschen“, schlug der Singhalese vor. „Die Tortur ist unbeschreiblich.“
„Später“, erwiderte Madhav ausweichend. „Zu zweit auf dem Bock ist es auch nicht gerade angenehm.“
Die Ochsen zupften einige spärliche Grasbüschel vom Wegrand ab. Er ließ sie gewähren, bis Malindi Rama seinen