Mir waren drei Pulverfäßchen zugestanden worden, mehr nicht. Wenn ich drei Plattformen mit jeweils fünfzehn Yards langen, dünnen Tauen aneinanderband, war die Gesamtlänge noch zu gering und das Pulver würde wahrscheinlich an der Galeone vorbeitreiben. Dabei schwebte mir vor, daß sich eins der Taue am Bug des Schiffes verfing und die Pulverfäßchen infolgedessen an den Rumpf gezogen wurden, wo sie dann detonierten.
Die zweite Schwierigkeit war, das Pulver zur Explosion zu bringen. Das konnte nur mit einer brennenden Lunte geschehen, die aber so bemessen sein mußte, daß die Ladung nicht schon weit vor dem Ziel hochging. Eine lange Lunte war wiederum anfällig gegen Spritzwasser.
Ich gab mir wohl vergeblich Mühe, aber den Dickschädel hatte ich von Vater geerbt, und so stand ich eine Stunde später stolz vor dem Ergebnis meiner Bemühungen. Ich hatte die Lunten kurzerhand um die Fässer gewickelt und mit Segeltuch abgedeckt.
Decksleute halfen mir, die provisorischen Flöße abzufieren, wobei ich großen Wert darauf legte, daß die Taue nicht zu locker durchhingen. Ob der Wellengang die drei Fässer wieder näher zusammenschob, darauf hatte ich leider keinen Einfluß mehr.
Der Kapitän befahl, abzufallen. Tatsächlich folgte die Galeone. Da wir die Flöße an Backbord ausgesetzt hatten, konnten die Verfolger nicht sehr viel davon mitgekriegt haben. Wahrscheinlich waren sie sogar ahnungslos.
Ungeduldig wartete ich, was geschehen würde. Cynthias Vater reichte mir ein Spektiv.
„Für unseren großen Strategen“, sagte er. „Du hättest gegen die Armada dabeisein sollen, Clinton.“
„Danke, Sir.“ Mehr brachte ich vor Erregung nicht heraus.
Nie zuvor war mir so richtig bewußt geworden, wieviel Zeit ein Schiff brauchte, um eine halbe Meile zurückzulegen. Noch hielt die Galeone ziemlich genau auf die Pulverfässer zu.
Ich war viel zu aufgeregt, um den Kieker ruhig zu halten, und reichte ihn dem Mädchen weiter.
Kaum mehr als zwanzig Yards vor der Galeone detonierte das erste Pulverfaß. Ich hätte mich dafür in den Hintern beißen können. Nur ein paar Inches mehr Lunte, und das Pulver wäre am Rumpf des Schiffes hochgegangen.
Das zweite Faß, seitlich versetzt und weiter entfernt, brannte lediglich mit einer Stichflamme ab, und beim dritten war die Zündschnur oder das Pulver so naß geworden, daß gar nichts geschah.
Etwas mehr hatte ich mir schon versprochen. Ich gab mir Mühe, mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aber wenigstens sah es so aus, als reagierten die Verfolger verunsichert, denn sie scherten nach Steuerbord aus.
Die „Good Luck“ segelte der sinkenden Sonne entgegen, die ohne farbenprächtiges Schauspiel im Meer versank.
Bald holte uns die Nacht ein. Die Karavelle lief weiterhin unter vollen Segeln annähernd auf Westkurs.
Die Sicht war miserabel, an Deck konnten wir zeitweise nicht die Hand vor Augen erkennen. Aber auch auf der Galeone wurden keine Laternen entzündet.
Ich hatte nicht geglaubt, daß die Nacht mit ihrer Ungewißheit schlimmer werden würde als die Befürchtungen während des Tages. Jeden Moment konnten die Verfolger aus der Dunkelheit hervorbrechen und mit einer verheerenden Breitseite über uns herfallen.
Auf sämtlichen Decks waren die Wachen verdoppelt worden, die Geschütze der Karavelle waren geladen und feuerbereit, lediglich die Fackeln lagen unter Deck in den Kohlenbecken.
Niemand redete, alle lauschten angestrengt in die Nacht. Da wir nichts sahen, mußten wir uns auf unser Gehör verlassen. Das Rauschen der Bugwelle konnte die Angreifer ebenso verraten wie das Singen ihrer Takelage oder das Knarren der Blöcke.
Wir schlugen uns die Nacht umsonst um die Ohren. Als endlich, nach endlos langen Stunden, der Morgen dämmerte, segelte die „Good Luck“ mutterseelenallein in der Wasserwüste des Atlantiks. Auf unserem Weg nach England sahen wir die Galeone nicht wieder.
Die Seewölfe gaben nicht auf.
Unermüdlich kreuzten sie mit den beiden Jollen und der Schebecke, und das abzusuchende Seegebiet wurde stündlich größer. Allmählich mehrten sich aber auch die Fragen, ob Clinton Wingfield womöglich weiter abgetrieben worden war, als sie dies bislang für möglich gehalten hatten, oder – der schlimmste Fall – ob er nicht sofort in der Welle ertrunken war.
Die hereinbrechende Nacht ließ die weitere Suche wenig erfolgversprechend erscheinen. Trotzdem verholte keiner der Arwenacks in die Koje, die Männer verzichteten weiterhin auf ihre Freiwache.
Öllampen wurden angezündet und von der Back der Schebecke bis dicht über die Wasseroberfläche abgefiert. Auch auf den Booten suchten die Arwenacks im Lampenschein, der zwar nicht weit reichte, aber zumindest das Gefühl vermittelte, daß sie den Jungen noch lange nicht im Stich ließen.
„Hoffen wir, daß das Wetter nicht umschlägt“, sagte Shane, als Old Donegal über ein seltsames Reißen in seiner rechten Schulter klagte.
„Unsinn“, widersprach der Alte heftig, „mit dem Wetter hat das überhaupt nichts zu tun. Wir kriegen Ärger, und das nicht zu knapp.“
„Wer sagt das? Dein Zweites Gesicht? Warum verrät es uns dann nicht, ob Clint noch lebt? Oder hast du vergessen, danach zu fragen? Jetzt könntest du beweisen, daß du wirklich hinter die Kimm schauen kannst.“
Old Donegal tat Shane nicht den Gefallen, aufzubrausen und über das ungläubige Pack an Bord zu schimpfen, er ließ den Riesen einfach stehen und humpelte am Schanzkleid entlang zur Back. Vor dem Achterdecksniedergang starrte ein sehr nachdenklich gewordener Shane in die Nacht. Er wußte absolut nicht, ob er Old O’Flynn nach Clintons Schicksal fragen sollte.
Die Schebecke näherte sich der Küste.
Spätestens zum Mittag des nächsten Tages würde sie dicht unter Land segeln. War Clinton bis dahin nicht gefunden, erübrigte sich jede weitere Suche.
Im Morgengrauen meldete Dan O’Flynn, der unermüdlich Ausguck hielt, ein Schiff voraus. Es handelte sich um eine große, dreimastige Pattamar.
Auf dem hochseetüchtigen Küstensegler war die Mannschaft ebenfalls aufmerksam geworden. Die Inder änderten den Kurs und liefen die Schebecke an.
„Die wollen was von uns“, behauptete der Profos und rieb sich erwartungsvoll die Hände.
Im selben Moment begann Dan O’Flynn begeistert zu rufen.
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