Mein Umweg zum Glück. Cathy Hummels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathy Hummels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783710951176
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starb, da war ich zehn. Und nur zwei Jahre später verlor ich meinen anderen Opa. Obwohl ich ihn nicht so gut kannte und nicht so häufig sah, liebte ich auch ihn abgöttisch. Er war eine beeindruckende Persönlichkeit. Ein Kosmopolit, ein Lebemann und zeitlebens ein kleiner Casanova. Monaco Franze in real. Die Tendenz zu einem ausschweifenden Lebensstil war ihm vielleicht in die Wiege gelegt. Beispielhaft dafür ist die Geschichte, als der Urgroßvater meines Vaters einen seiner Söhne, den »schönen Sebastian«, während der Weltwirtschaftskrise nach Berlin schickte, um einen Traktor zu kaufen. Zwei Wochen später kehrte er unverrichteter Dinge zurück von der Reise, ohne Traktor und völlig abgebrannt. Daraufhin fuhren mein Uropa und sein Sohn gemeinsam nach Berlin, um den Traktor zu kaufen. Kurze Zeit später waren sie wieder zu Hause, ohne Traktor und ohne Geld. Nur wenige Tage später erschien ein Bild in einer Zeitung, darauf zu sehen waren Vater und Sohn auf dem Kurfürstendamm, neben ihnen eine Prostituierte, und beide tranken Champagner aus einem Damenschuh, welcher offensichtlich der Dame gehörte.

      Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wirklich stimmt, in unserer Familie zumindest galt sie immer als Beleg dafür, dass mein Opa für sein flamboyantes Auftreten ja gar nichts konnte. Hinzu kam, dass er ein sehr attraktiver Mann war. Mit ganz viel Charme. Ein echter Charmebolzen. Eine Geschichte, die ihn als Typ charakterisiert, spielte sich anlässlich der Taufe meines Vaters ab. Dieser sollte ursprünglich Alfredo heißen, inspiriert durch den Charakter irgendeiner Seifenoper. Das missfiel Opa Ludwig. Am Tag der Taufe wendete sich das Blatt. Mein Großvater zündete sich eine Zigarre an und brannte mit ihrer Glutspitze ganz nonchalant auf der Urkunde das »o« aus dem »Alfredo« heraus. So kam es, dass mein Vater ein Alfred wurde. Das war eine ganz typische Opa-Ludwig-Aktion.

      Als Architekt baute mein Großvater wunderschöne Häuser und verdiente eine Menge Geld in Zeiten, in denen es in Deutschland wirtschaftlich immer nur bergauf ging. Er bewegte sich in den sogenannten »besseren Kreisen«, also bei denen, die das nötige Kleingeld besaßen, um seine Prachthäuser zu erwerben. Karl-Heinz Rummenigge zum Beispiel gehörte zu seinem Kundenstamm. Die meiste Zeit arbeitete er von Nürnberg aus, war aber, wie schon erwähnt, international tätig. Er besaß ein Boot und eine Villa in Spanien zwischen Valencia und Alicante, Moraira hieß der Ort, wo er seine letzten Jahre verbrachte. Das Haus war imposant, hatte diverse Gästezimmer und einen großen Pool. In der Garage gab es einen kleinen Fuhrpark.

      Da Opa Ludwig nur noch selten nach Deutschland kam, sah ich ihn nicht häufig. Trotzdem hing ich an ihm – und er an mir. Ich erinnerte ihn an seine eigene Mutter, an meine Uroma Katharina. Ich sei ihr, meinte er, von den Gesichtszügen, aber auch vom Charakter her ähnlich. Vielleicht war ich deswegen ein bisschen sein Liebling. Wenn wir ihn in den Ferien in Spanien besuchten, wollte ich am liebsten Pizza essen gehen. Ja, ich weiß, das klingt verrückt. Fand auch seine neue Frau. »Wir sind in Spanien, also essen wir etwas Spanisches«, hielt sie mir vor. Ludwig schlug sich jedes Mal auf meine Seite. Ich gebe zu, er ließ sich schnell von seiner Enkelin um den Finger wickeln. Dann zwinkerte er mir zu und ich wusste: Meine Pizza war nicht weit.

      Seine Frau und ich waren uns nicht grün. Ich schaffte es immer wieder, sie in Rage zu bringen. Legte ich es darauf an? Na ja, vielleicht ein bisschen. Mein Bruder und ich hatten zum Beispiel die Angewohnheit, aus den Liegestühlen am Pool eine Höhle zu bauen. Dazu schoben wir alle Liegen zusammen, stapelten darüber die Polster und zusätzlich die Kissen der Stühle – fertig war unser Eigenheim in bester Pool-Lage. Einmal hatten wir gerade alles schön aufgebaut, gingen essen (Pizza!) und ließen die Höhle zurück. Zwischenzeitlich zog eine Gewitterfront auf, und es fing furchtbar an zu regnen. Als wir zurückkehrten, hatte der Sturm unsere Höhle über das gesamte Grundstück verteilt. Die Sofagarnitur und die wertvollen handbestickten Kissen waren im Pool gelandet – und unbrauchbar geworden. Meine Stiefoma kochte vor Wut. Sie sah es auch mit Argwohn, wenn ich wieder mal zu viele Badetücher benutzt hatte. Am Pool gab es einen Schuppen, in dem die Handtücher akkurat und säuberlich sortiert gestapelt lagen. Wenn wir den ganzen Tag am Pool verbrachten, konnte es passieren, dass der Schuppen am Abend leer und alle Handtücher in Haus und Garten verteilt waren. Mein Bruder machte sich dann über mich lustig, dass ich mich verhielt wie eine kleine Diva. Ach ja, Spanien war immer ein Erlebnis.

      Der Tag, an dem ich von Opa Ludwigs Tod erfuhr, ist mir noch sehr präsent. Wir hatten ihn schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen, als ich meinen Vater fragte, ob wir demnächst mal wieder nach Spanien fahren würden. »Der Opa will euch bald mal wieder besuchen kommen«, sagte er nur. Einige Tage später klingelte das Telefon. Mein Großvater war dran und bat nur darum, meinen Vater zu sprechen. Mehr sagte er nicht. »Papa ist nicht da, aber wann sehen wir uns denn wieder?« – »Sehr bald, ich komme irgendwann zu euch«, antwortete er kurz angebunden. So hatte ich ihn bislang nie erlebt. Zwei Wochen später war er tot. Sein Herz hatte plötzlich aufgehört zu schlagen. Er war einfach fort aus unserem Leben, keiner von uns hatte die Gelegenheit, sich zu verabschieden.

      Wieder zwei Jahre später starb dann mein Urgroßvater, Johann Wald. Er wohnte in Unterschleißheim direkt neben meiner Oma, seiner Tochter, die sich bis zum Schluss um ihn kümmerte, sein Essen kochte, mit ihm spazieren ging. Manchmal hatte er uns von seinen Kriegserlebnissen erzählt. Schon vor dem Krieg war er als Sanitäter für das Rote Kreuz im Einsatz gewesen, und später in Frankreich hatte er sich, obwohl nur einfacher Soldat, an der Front um die Verwundeten gekümmert. Einmal gerieten sie in einen Hinterhalt, einige flüchteten, um sich in Sicherheit zu bringen; er blieb zurück, weil er die verletzten Kameraden nicht ihrem Schicksal überlassen wollte. Dieser Mut rettete ihm das Leben. Sie waren noch nicht weit gekommen, da erfasste die Flüchtenden eine Granate. Keiner überlebte, nur mein Großvater und die zurückgebliebenen Verwundeten. Die Splitter verletzten ihn allerdings schwer, zeitweise verlor er sein Augenlicht, erst nach einem Jahr konnte er wieder sehen. Rückblickend glaube ich, dass das Erzählen dieser Geschichten seine Art war, die Kriegsgeschehnisse zu verarbeiten. Er zeigte uns die Narben, die die Granatsplitter in seinem Nacken hinterlassen hatten. Teilweise steckten noch Splitter in ihm. Im Alter kamen sie immer weiter zum Vorschein, einer nach dem anderen. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was er damals erlebt haben mag. Trotzdem hat er mich durch seine Erzählungen geprägt, und obwohl ich mit dem Thema Krieg kaum in Berührung kam, so war es mir durch ihn doch irgendwie nah.

      4

      Als mir die Luft wegblieb

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      Mit Allergien kenne ich mich – leider – bestens aus. Viele Jahre waren sie meine treuen Begleiter. Zu jeder Jahreszeit und bei jeder Gelegenheit gab es etwas, das mein Körper nicht vertrug: von Hausstaub über Pollen bis zu Tierhaaren und manches mehr – ich könnte von allem ein Lied singen. Am stärksten schränkte mich im Alltag allerdings das Asthma ein.

      Vor meinem sechsten Lebensjahr war mir – und auch meinen Eltern – überhaupt nicht bewusst, dass ich damit ein Problem hatte. Bis dahin war ich beschwerdefrei. Doch dann kam der Tag X – mein erster Asthmaanfall. Wir waren, wie ich erwähnte, mit meiner Oma zu Besuch in Ungarn. Urlaub auf dem Bauernhof. Es war Sommer, alles grünte, alles blühte. Wir wälzten uns auf den Wiesen und tollten im Heu herum. Das absolute Highlight war in der Scheune eine Maschine für Maiskolben. Man warf den Maiskolben oben hinein, und die Maschine trennte die Körner vom Kolben ab. Dabei staubte es gewaltig, machte aber einen irren Spaß. Wir wollten gar nicht mehr aufhören und schmissen immer wieder neue Maiskolben hinein. Natürlich gab es auch Tiere auf dem Hof, die wir zum Streicheln und Schmusen besuchten. Alles in allem ein Paradies für Kinder. Bis zu dem Zeitpunkt, als mir plötzlich die Luft wegblieb. Dazu war mir nur noch schwindelig. Im ersten Moment glaubten meine Eltern, ich hätte mir etwas eingefangen. Oder der Staub und die Tierhaare wären vielleicht nur ungewohnt für ein Stadtkind. Nachdem weder feuchte Tücher noch andere Hausmittelchen meinen Zustand verbesserten, brachen wir die Ferien verfrüht ab und fuhren nach Hause. Dort erholte ich mich bald. Gut, dachten sich meine Eltern, war wohl alles etwas viel für Cathy.

      Wir hatten den Vorfall beinahe vergessen bis zu dem Tag, an dem meine Freundin Marina zu Hause ihren Geburtstag feierte. Eine typische Kinderparty. Wir tranken Cola, aßen Erdnussflips, spielten Sackhüpfen und Topfschlagen, hatten eine Menge Spaß. Ein Detail dieses Tages