Mein Umweg zum Glück. Cathy Hummels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathy Hummels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783710951176
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»Bitte komm auf den Platz, wir brauchen dich.« Mein Opa spielte auf der Position des Mittelläufers, dem Äquivalent zum heutigen Spielmacher oder Zehner. Meine Mutter, die selbst ja nicht Fußball spielen durfte, musste am Wochenende oft mit auf den Fußballplatz, wenn ihr Vater seinen Einsatz hatte. Das missfiel ihr gewaltig. Damals nahm sie sich fest vor, nie im Leben würde sie einen Fußballer als Partner haben wollen. Das war tatsächlich ein Ausschlusskriterium bei der Partnerwahl. Bei ihr hat es geklappt – bei mir weniger. Ich war aber auch nicht vorbelastet wie sie.

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       Meine Großeltern Annemarie und Albert – ein Leben lang unzertrennlich

      Sowohl zu Oma Annemarie als auch zu Opa Albert hatte ich als Kind ein enges Verhältnis. Die beiden wohnten in unserer Nähe, sodass ich sie häufig besuchen konnte. Oma Annemarie fuhr, solange sie es gesundheitlich konnte, fast jedes Jahr nach Ungarn, in ihre alte Heimat, und besuchte den Teil ihrer Familie, der dortgeblieben war. Mittlerweile ist sie leider zu alt für die Reise. Vor vielen Jahren habe ich sie einmal begleitet, ich war etwa sechs Jahre alt. Sie zeigte mir, wo ihre Vorfahren gelebt hatten, den Gutshof, der ihrer Familie gehört hatte, bevor sie vertrieben wurden. Ich erinnere mich noch an die unglaublich schönen weiten Felder rund um den Hof. Wir Kinder waren den ganzen Tag draußen, spielten in der Scheune und verbrachten Zeit mit den Tieren im Stall. Es stellte sich nur ein Problem heraus: Ich reagierte extrem allergisch auf den Staub. Aus diesem Grund konnte ich danach nie wieder mit meiner Großmutter nach Ungarn fahren. Die Gefahr, dass ich dort erneut gesundheitliche Probleme bekäme, war zu groß. Ja, und dann, vier Jahre später, starb ihr Mann, mein Opa Albert. Damals bekam meine kleine heile Welt einen gewaltigen Knacks …

      3

      Und dann starb Gargamel

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      In den ersten Jahren sah ich alles nur in Rosarot, das Leben war unbeschwert. So soll es ja auch sein, wenn man Kind ist. Die glücklichsten Zeiten waren jene, in denen ich mit Eltern, Großeltern, Geschwistern, Tante und Onkel, Cousin und Cousine und meinen Freundinnen zusammen war. Es lag außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass ein geliebter Mensch eines Tages nicht mehr da sein könnte. Und dann, plötzlich, verlor ich in relativ kurzer Zeit mehrere Menschen, die mir nahestanden.

      Als ich zehn Jahre alt war, starb mein Großvater Albert. Diese Erfahrung verpasste mir einen Knacks. Opa Albert war für mich aber auch viel mehr als »nur« mein Großvater, ein bisschen sogar eine Art Vaterersatz, der mir das gab, was mein Vater mir zu dem Zeitpunkt nicht geben konnte. Heute ist unsere Beziehung, wie schon gesagt, eng und vertrauensvoll, aber so war es nicht immer. Meinem Vater fiel es anfangs nicht leicht, sich mit seiner Vaterrolle zu identifizieren, da er selbst ja ohne Vater aufgewachsen war. Woher sollte er es also wissen? In diese Rolle musste er erst hineinwachsen und sein Selbstverständnis als Vater finden. So entstand eine wahnsinnig enge Beziehung zu meinem Großvater Albert, der immer präsent war. Überhaupt hatte er einen guten Draht zu allen seinen Enkelkindern. Wenn einer von uns Sorgen hatte, dann ging man zu Opa Albert, der einen immer mit einem offenen Ohr, mit offenen Armen und verständnisvollen und weisen Ratschlägen empfing. Er unternahm auch gerne etwas mit uns. Nahm uns mit auf Spaziergänge in die Natur, auf denen er uns dann alles Mögliche erklärte. Er besuchte mit uns den Tierpark, wir schauten uns gemeinsam Filme an oder lasen eine Geschichte. Er war ein aufmerksamer und liebevoller Mensch, und ich sprach mit ihm über alles, was mich traurig oder glücklich machte. Wenn mich jemand geärgert hatte, teilte ich meine kindlichen Sorgen mit ihm.

      Darüber hinaus hatten wir eine gemeinsame Passion: Wir liebten beide die Schlümpfe. Ich glaube sogar, dass es Opa Albert war, der mich für die kleinen blauen Wesen aus Schlumpfhausen einnahm. Seine Begeisterung jedenfalls färbte auf mich ab und ich sammelte Schlaubi, Schlumpfine & Co., und wie sie alle hießen, wie verrückt. Was meinen Opa an den Schlümpfen faszinierte, weiß ich nicht. Aber zusammen hockten wir im Fernsehzimmer im Keller meiner Großeltern und schauten uns jede Folge der Zeichentrickserie an. Und waren manchmal so vertieft, dass wir nicht einmal mitbekamen, wenn meine Großmutter uns zum Essen rief. Es sei denn, sie hatte ihre berühmten Schinkennudeln gekocht. Eines meiner Leibgerichte – bis heute. Zog der Duft der Schinkennudeln durchs Haus, vergaß ich sogar die Schlümpfe für einen Moment.

      Albert war ein herzensguter Mensch. Weißes Haar, tiefe Geheimratsecken und auf der Nase immer eine Hornbrille mit dickem Glas, seine Augen waren ziemlich schlecht. Und er hatte nur noch einen einzigen echten Zahn. Wenn er also mal sein Gebiss nicht trug, blitzte in der unteren Zahnleiste dieser Zahn hervor, wie bei dem Zauberer bei den Schlümpfen. Er lachte dann und sagte: »Schau mal, Cathy, ich bin’s, der Gargamel.« Er wusste genau, wie er mich zum Lachen bringen konnte.

      Neben den Schlümpfen war ich besessen von Wendy und Shelly, Zeitschriften über Pferde, die Mädchen meines Alters liebten. Weil ich aufgrund meiner Allergien selbst nicht reiten durfte, sammelte ich zumindest Sticker für meine Pferdehefte. Mein Opa überraschte mich hin und wieder mit einem Heft oder er steckte mir Geld zu. »Los, Cathy, hol dir Nachschub«, und das musste er mir nicht zweimal sagen.

      Als mein Großvater starb, zerbrach etwas in mir. Zum ersten Mal wurde ich mit dem Thema Tod konfrontiert. Es war Herbst, Ende September, und ich ging in die fünfte Klasse des Gymnasiums. Bereits in der Früh wunderte ich mich, warum meine Mutter nicht zu Hause war. Dass sie das Haus vor uns Kindern verließ, kam eigentlich nie vor. Auf die Frage, wo Mama sei, antwortete mein Vater wortkarg, sie habe etwas zu erledigen, ich solle mir aber keine Sorgen machen. Aber ich spürte, irgendwas stimmte da nicht. Später erfuhren wir: Meine Mutter war am Abend ins Krankenhaus gerufen worden, wo sie die Nacht bei ihrem Vater verbracht hatte. Als ich mittags aus der Schule nach Hause kam, parkten die Wagen meiner Oma und meiner Tante vor unserer Einfahrt. Ich rannte ins Haus und fand meine Mutter in der Küche. Sie nahm mich in den Arm und sagte sanft: »Der Opa ist heute Nacht gestorben.« Ich dachte in dem Moment, sie meinte meinen lieben Uropa (er war damals schon achtundachtzig), und sagte: »Er war doch aber auch schon sehr, sehr alt, Mama.« – »Nein, mein Schatz, mein Papa ist gestorben. Nicht der Uropa. Dein Opa Albert hatte einen Herzinfarkt.« Das konnte doch nicht sein, dachte ich. Kurz zuvor noch hatte ich ihn besucht. Nein, bestimmt irrten sich alle. Es musste sich um meinen Urgroßvater handeln, er hatte einen Herzinfarkt, nicht mein Opa.

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       Mein Bruder Basti und ich (auf dem Arm meines Großvaters Albert)

      Aber natürlich irrten sie sich nicht. Opa Albert, mein zweiter Vater, mein Heiligtum, war nicht mehr da. Er wurde nur zweiundsechzig Jahre alt. Meine Mutter war am Boden zerstört, ebenso meine Großmutter, wir alle konnten es nicht fassen. Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hatte, da saßen mein Cousin und ich bei den Großeltern im Keller, schauten fern und aßen die Honigpops von Kellogg’s, unsere Lieblingsnascherei. Unser Opa kam die Treppe herunter, schick angezogen, mit weißem Hemd, und fragte, was wir hier so spät noch machten. Und mein Cousin und ich riefen mit vollem Mund: »Opa, wir essen Popsies und gucken Schlümpfe.« Mein Großvater musste schmunzeln und schickte uns nach Hause. Wir lachten nur und versprachen, gleich weg zu sein. Stattdessen schlichen wir uns zur Vorratskammer und plünderten die Eistruhe. Großvater musste das mitbekommen haben, wollte uns den Spaß aber nicht verderben. Seitdem träume ich davon, dass er mir noch einmal begegnet und dass ich ihm Lebewohl sagen kann.

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      Solange ich zurückdenken konnte, schaute ich fast täglich bei meinen Großeltern vorbei, und sei es nur, um kurz Hallo zu sagen. Nach dem Tod meines Opas änderte sich das. Ich brachte es nicht mehr übers Herz, in ihrem Haus zu sein. Es tat weh. Es tut heute immer noch weh. Alles sah noch genauso aus, äußerlich hatte sich kaum etwas verändert. Aber mein Opa fehlte. Im Nachhinein tut es mir leid für meine Großmutter. Auch sie ist ein herzensguter Mensch und wenn ich sehe, dass sie nun langsam körperlich abbaut, wünschte ich, ich hätte damals die Stärke gehabt, sie weiterhin