Mein Umweg zum Glück. Cathy Hummels. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cathy Hummels
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783710951176
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zu machen. Die Stelle meines Vaters gab ihnen Sicherheit. Meine Eltern konnten hier und da ein bisschen auf Risiko fahren, hatten aber immer die Sicherheit des Beamtengehalts. 2021 geht er in Pension, weil er sich mehr um die Familie kümmern möchte und weil es, wie er sagt, »irgendwann mal reicht«. Er ist jetzt dreiundsechzig, sein Vater war fünfundsechzig, als er an einem Herzinfarkt starb, und seine Priorität heute ist es, seine Zeit sinnvoll für die Familie zu nutzen und auch zu genießen. Ich selbst hatte als Kind einen engen Draht zu meinen Großeltern, und genau das wünsche ich mir auch für meinen Sohn.

      Rückblickend betrachtet haben sich meine Eltern von Beginn an einfach perfekt ergänzt: Während meine Mutter als junge Frau der Enge ihrer Herkunft entfliehen wollte, suchte mein Vater das genaue Gegenteil. Ihm gefiel die Idee einer beständigen Familie, weil er genau das als Kind nie erlebt hatte. Für kurze Zeit wohnten sie in einer Mietswohnung in Moosach. 1982 heirateten sie, und als meine Mutter mit meinem großen Bruder schwanger wurde, zogen sie zurück nach Unterschleißheim. Ihre Eltern hatten dort in den Siebzigern ein Dreifamilienhaus gebaut, das Dachgeschoss wurde renoviert, und nach Sebastians Geburt zog die Kleinfamilie dort ein. Meine Mutter war nicht allzu froh darüber, wieder in Unterschleißheim gelandet zu sein, mein Vater hingegen fühlte sich zum ersten Mal in seinem Leben rundum wohl und heimisch. Meine Mutter hatte den Absprung aus der Heimat vielleicht nicht geschafft, aber sie hatte erreicht, wonach sie sich immer gesehnt hatte: frei zu sein, unabhängig und gleichzeitig familiär eingebettet.

      1992, als alle drei Kinder da waren, kauften meine Eltern eine Doppelhaushälfte in Unterschleißheim, in der sie bis heute leben. Damals entstand eine neue Siedlung für junge Familien mit Kindern. Für mich und meine Geschwister war diese Siedlung das Paradies. In der Früh standen wir auf, gingen raus in den Garten und spielten mit den Nachbarskindern.

      Mein Bruder Sebastian ist viereinhalb Jahre älter als ich, und meine kleine Schwester Vanessa und ich liegen zwei Jahre auseinander. Zu meinem großen Bruder hatte ich immer ein besonders inniges Verhältnis. Das hat sich bis heute nicht geändert. Ich habe ihn bewundert, egal, was er machte, ich fand alles toll. Ich wollte so sein wie er und wich ihm nie von der Seite. Einmal waren wir wieder im Skiurlaub, und Sebastian besuchte natürlich einen Skikurs einige Altersklassen über mir. Er war zehn und ich sechs, die kleine sture Cathy wollte aber unbedingt in seinem Kurs mitfahren. Weil ich schon ziemlich sicher auf den Brettern stand, hatte der Skilehrer nach langem Betteln ein Einsehen – und mein Bruder mich wieder an der Backe.

      Sebastian tat oft genervt, aber ich glaube, eigentlich fand er es gar nicht so schlecht, der angehimmelte »große Bruder« zu sein. Es gab ein Bruder-Schwester-Ritual. Wir gingen auf den Trödelmarkt, um unser Taschengeld aufzubessern, und verkauften alte Sachen, die wir zu Hause nicht mehr gebrauchen konnten. Es gab verschiedene Märkte in der Nähe, beim Bahnhof in Unterschleißheim zum Beispiel oder beim McDonald’s um die Ecke. In Sachen Verhandlungen war mein Bruder eher vorsichtig und verkaufte zum Vorteil der Käufer, während ich immer die knallharte Geschäftsfrau gab, die tendenziell einen zu hohen Verkaufspreis für die angebotenen Produkte ansetzte. Wir machten alles zu Geld, was uns unter die Hände kam: altes Spielzeug, Kleidung, Bücher oder auch Dinge, die wir bei unseren Großeltern aus dem Keller ausgegraben hatten, wie beispielsweise eine alte Brotschneidemaschine oder Teppiche. Der Flohmarkt war für mich gleichzeitig eine Schatztruhe, weil ich als passionierte Schlümpfe-Sammlerin nach den kleinen blauen Figuren Ausschau halten konnte. Meistens mit Erfolg.

      Aktionen wie der Flohmarktverkauf machten unheimlich Spaß und ich war auch ziemlich einfallsreich. Um die Zeit bis zum nächsten Termin zu überbrücken, kam ich auf die Idee, einen kleinen Shop in unserer Straße aufzubauen, um ein bisschen Geld zu verdienen. Damals gründete ich sozusagen mein erstes Business zusammen mit einer Freundin: Für fünf Mark wuschen wir die Autos der Nachbarn. Ich war die treibende Kraft und für die Akquise verantwortlich, ging von Nachbarstür zu Nachbarstür und holte die Aufträge ran. Für die fünf Mark schufteten wir aber auch richtig, wienerten die Autos stundenlang, von innen, von außen, ließen keine Ecke aus. An einem guten Tag schafften wir auf diese Weise drei Wagen und waren abends um fünfzehn Mark reicher. Wir fühlten uns wie Krösus.

      Mit siebzehn fing ich an, richtig zu arbeiten. Ich suchte mir Jobs im Einzelhandel und verkaufte Klamotten bei Pharo, später bei Closed und Diesel. Was auch nötig war, denn ich war nie der Spartyp, sondern gab das Geld, das reinkam, mit vollen Händen sofort wieder aus. Hier ein Wohnaccessoire für mein Zimmer, da ein Kleidungsstück, dann Schminke, Lippenstift – die schönen Dinge, die ich mir vom Taschengeld allein nicht kaufen konnte. Andere legten ihr Geld zur Seite, mein Bruder zum Beispiel, auf die Idee kam ich erst gar nicht.

      Das Verhältnis zu meiner Schwester war ganz anders als zu meinem Bruder. Große Schwester, kleine Schwester. Wenn sie mich nachmachte und mir meine Sachen wegnahm, was kleine Schwestern halt gerne so machen, wurde ich zickig, das konnte die ältere Schwester gar nicht leiden. Jeder, der Geschwister hat, kennt das sicherlich. Als Sandwichkind, was ich ja bin, hat man es nicht immer leicht. Das älteste Kind hat sowieso seine Privilegien, dem jüngsten Kind stehen alle Türen offen, weil die älteren Geschwister sie über Jahre in etlichen Diskussionen geöffnet haben. Ich, als die Mittlere, hing dazwischen. Bei uns war es so, dass mein großer Bruder stets der Vorzeigesohn war. Er war extrem ehrgeizig. Ich wollte immer so sein wie er. Weil ich aber ein Mädchen war, durfte ich viele Dinge nicht machen, die ihm erlaubt waren. Da er als Kind und Jugendlicher (wie heute auch noch) eher introvertiert, vorsichtig und nicht so der Partytyp war, wurde er von meinen Eltern geradezu ermuntert, auf Partys zu gehen, und sie hatten auch kein Problem damit, wenn er länger wegblieb oder irgendwo übernachtete. Bei mir waren meine Eltern wesentlich strenger, ich musste darum kämpfen, abends länger wegbleiben zu dürfen. Das empfand ich schon einmal als unfair. Gleichzeitig wurde meiner kleinen Schwester, dem Nesthäkchen, später das erlaubt, was mir verboten worden war oder worum ich lange hatte betteln müssen. Sie durfte sich mit dreizehn ein Bauchnabelpiercing stechen lassen, ich erst mit fünfzehn oder sechzehn, und das nach einem langen Kampf mit meinen Eltern.

      Ich fühlte mich immer ein wenig als Zwischenstation und die Lorbeeren meines Kampfes für mehr Rechte erntete eigentlich meine Schwester. Cathy boxte den Weg frei. Meiner Ansicht nach ist unsere Familie aber nur ein Beispiel für die meisten Dreierkonstellationen bei Geschwistern. Sandwichkinder haben es meiner Meinung nach immer etwas schwerer. Andererseits werden sie für das Leben stark gemacht. Ich für meinen Teil lernte damals, mich richtig durchzusetzen und mich so zu behaupten. Da bietet die Position des mittleren Kindes hervorragende Trainingsmöglichkeiten. Trotzdem litt ich unter dieser Position, das wurde mir erst später gewusst. Rückblickend verstehe ich, dass viele Verhaltensmuster, die ich heute habe, auf meine Kindheit zurückzuführen sind. Beispielsweise hatte ich lange Zeit das Gefühl, mich für alles rechtfertigen zu müssen. Für das, was ich tue, was ich sage oder wie ich entscheide. Und ich kämpfe immer für das, was ich möchte, obwohl ein Kampf oft gar nicht erforderlich ist.

      In Unterschleißheim wohnten wir in einer ruhigen Spielstraße in einer Doppelhaushälfte mit rund hundert Quadratmetern Wohnfläche. Kein Luxus, aber der Platz reichte für uns aus, wobei es mit fünf Leuten auf einem Haufen manchmal ein bisschen eng werden konnte. Anfangs teilte ich mir ein Zimmer mit meiner Schwester, bevor ich mein eigenes Reich bekam, nur ein kleines zwar, aber es war mein eigenes. Auf eine schöne Einrichtung legte ich schon als Kind großen Wert, und ich hatte konkrete Vorstellungen, wie mein Zimmer aussehen sollte. Mein ganzer Stolz zum Beispiel war ein Glasschreibtisch, den hatte ich mir lange gewünscht und dann endlich bekommen, dazu eine grüne Hochglanzkonsole von Ikea in Wellenoptik, Bett, Kleiderschrank, ein bisschen Deko, und irgendwann bekam ich sogar einen eigenen Fernseher. Damit war aber auch jeder Quadratzentimeter optimal ausgenutzt.

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       In meinem Kaufmannsladen – schon damals geschäftstüchtig

      Der Fernseher löste den Glastisch als mein persönliches Highlight ab. Das wirklich Allerwichtigste aber war, und daran hat sich bis heute nichts geändert: Es musste gemütlich sein. Ich liebte damals schon Rosa und Pink, egal in welcher Form und zu welchem Anlass, und ich besaß eine riesige Auswahl an Kuscheltieren. Pferde, Zebras, Teddybären und natürlich auch Puppen – sie alle fanden in meinem Nest ein Zuhause und