II
Die beiden Herren standen noch auf dem Korridor. Ihre Mienen waren noch immer von jenem amtlichen, halb gleichmütigen, halb energischen Ausdruck, und ihre Schritte hatten in diesen langen Stunden nichts von ihrer geräuschlosen Bestimmtheit eingebüsst. Sie sahen dem Ankömmling schweigend entgegen.
„Herr Vandergult?“ fragte der eine.
„Ja.“
„Darf ich Sie einen Moment auf Ihr Zimmer begleiten?“
„Ja,“ sagte Fritz.
Der Zimmerkellner eilte diensteifrig herbei und schloss auf. Dann zog er sich mit einer Verbeugung zurück, nicht ohne einen gewissen ahnungsvollen Blick auf das Gesicht des vierschrötigen Fremden zu werfen, der geschlagene vier Stunden auf dem Korridor gewartet hatte.
Der andere stand unbeweglich auf seiner Stelle, den Blick auf die Tür geheftet, hinter der die beiden verschwunden waren.
„Bitte nehmen Sie Platz,“ sagte Fritz.
„Danke. Sie erlauben wohl, dass ich stehen bleibe.“
Fritz antwortete nicht.
„Sie werden sich vielleicht gewundert haben, dass wir einen halben Tag lang draussen herumgestanden haben. Es hat seine guten Gründe, Herr Vandergult. Sie werden sofort alles erfahren.“
Er trat auf Fritz zu und legte ihm die Hände mit eisernem Griff auf die Schulter: „Mr. Vandergult — es ist das drittemal, dass ich den Sprung ins Glück wage.“
„Nanu,“ sagte Fritz.
„Das drittemal. Die beiden ersten Male bin ich zu kurz gesprungen. Reichen Sie mir Ihren Arm, dann komme ich hinüber über den Graben.“
„Darf ich vielleicht fragen ...?“
„Sofort. Das erstemal wollte ich Bankier des Zaren werden. Da wurde er abgesetzt. Das zweitemal stand ich in Verbindung mit Hugo Stinnes — da starb er. Heute gilt es. Wenn ich’s heute nicht schaffe, schaff’ ich’s nie.“
„Was denn eigentlich?“
„Machen Sie mich zu Ihrem Hofbankier, Herr Vandergult.“
Vandergult öffnete den Mund zu einer Antwort; aber sein Besucher liess ihn nicht dazu kommen. „Ich weiss, was Sie sagen wollen. Ich weiss, dass drei Bankiers unten in der Halle sitzen und warten. Ich bin der erste; ich habe dem Etagenkellner hundert Mark gegeben. Ich weiss, was Sie sagen wollen: Sie brauchen für Ihre Geschäfte den Bankier Rothermel nicht.“
„Na also,“ sagte Vandergult.
Herr Rothermel schien einen furchtbaren innerlichen Kampf mit sich selbst auszufechten. „Was kann ich bloss tun, um Ihnen ein Interesse an meinen Propositionen zu bieten? Das einzige, was ich habe, ist Geld. Und damit ist Ihnen natürlich nicht beizukommen.“
„Natürlich nicht,“ sagte Vandergult.
„Ich würde an Ihr gutes Herz appellieren; aber ich weiss, das ist geschäftlich unfair. Und ausserdem macht es, glaube ich, auf einen Amerikaner keinen Eindruck. Also was um Gottes willen soll ich tun?“
„Ich kann Ihnen nicht helfen, Herr Rothermel.“
„Sie zwingen mich zum Äussersten.“
Voll Spannung blickte Vandergult auf den Bankier. Dieser machte ein entschlossenes Gesicht; dann ging er zum Erstaunen Vandergults mit schnellen Schritten zur Tür hinaus.
Gleich darauf öffnete sich die Tür wieder. Aber es war Reimers.
„Wir müssen Schluss machen. Die Geschichte wird brenzlig.“
„Wo ist Hieronimy?“
„Der ist schon ausgerückt. Wir sitzen hier vorm Rest.“
„Ja,“ sagte Fritz, „dann heisst es wohl scheiden. In welchem Hotel werden wir heute Nacht schlafen?“
„Im Hotel zum Tiergarten, denke ich. Dritte Bank links von der Siegesallee. Sieh hier, es fängt an zu regnen. Ach du, Fritz, das war ein schöner Tag, den ich dir verdanke.“
„Mir?“
„Du hast doch den grossartigen Einfall gehabt, mit den Anzügen. Du bist ein famoser Kerl. Wir bleiben zusammen, Fritze! Wir werden die Augen offen haben, da müsst’ es mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht zwei jungen Kerls wie uns eines Tages glücken sollte. Bloss Kurage. Komm, Fritze.“
Es klopfte.
„Das ist der Kellner mit der Rechnung.“
Nein, es war nicht der Kellner. Und es war auch keine Rechnung. Es war Herr Rothermel, der Bankier.
„Ich sehe, Sie haben schon wieder eine neue Konferenz, Herr Vandergult. Keine Angst, in einer Sekunde bin ich wieder draussen. Also hier mein Vorschlag: hier ist eine Million in bar. Bitte, widersprechen Sie nicht; ich halte mir die Ohren zu, ich will kein Wort hören. Nehmen Sie die Million, behalten Sie sie, machen Sie damit, was Sie wollen. Ich bestelle jetzt neue Briefbogen: das Bankhaus J. C. Rothermel vertritt die europäischen Interessen des Hauses Cornelius Vandergult. Bitte, widersprechen Sie nicht, lassen Sie mich machen, was kann Ihnen passieren?“
„Ich bin vorläufig sprachlos, Herr Rothermel.“
„Gott sei Dank; ich flehe Sie an, bleiben Sie’s. Verbuchen Sie das Geld als Beteiligung meines Bankhauses an Ihren Unternehmungen.“
„Wenn meine Unternehmungen nun nichts einbringen?“
„Das ist ein guter Witz. Ich vertraue Ihnen. Wenn Sie fallen, will ich gern mitfallen. Werden Sie nicht bös, das ist natürlich nur ein Scherz. Es geht mich natürlich gar nichts an, für was für Unternehmungen Sie das Geld verwenden; geben Sie’s privat aus, wie Sie wollen. Ich will nur mit Recht und mit gutem Gewissen sagen können, dass ich Ihr Bankier bin. Sagen Sie nicht Nein. Draussen steht mein Kompagnon. Wenn ich mit der Million in der Hand zurückkomme, zieht er sein Geld aus dem Geschäft. Nehmen Sie die Million, und Sie haben einen Menschen glücklich gemacht.“
„Zwei Menschen.“
„Zwei Menschen, natürlich: meinen Kompagnon auch. Und nun Adieu, Herr Vandergult. Auf Wiedersehen! Leben Sie wohl! Vielen Dank.“
Draussen war er.
Jonny Reimers ging langsam durch das Zimmer. Nein, er ging nicht; er schlich, er hinkte, er kroch. Dann liess er sich in einer ganz merkwürdigen Haltung, wie sie Jacobsen noch nie an einem Menschen gesehen hatte, in den Sessel fallen. Und mit völlig überwältigter Stimme fragte er:
„Sag’ mal: was bedeutet das?“
‚Vandergult‘ warf einen scheuen Blick auf die Banknotenbündel, die den Tisch bedeckten; langsam wandte er das Gesicht zur Tür, durch die eben Herr Rothermel verschwunden war. Zögernd drehte er den Kopf dem Freunde zu.
„Ich weiss es auch nicht, Jonny. Ich hab’ mich zum Spass auf ein altes Gerümpel gesetzt. Und nun sehe ich: Das ist gar kein altes Gerümpel. Das ist eine Flugmaschine, die mich in die Höhe trägt, ob ich will oder nicht.“
Jonny ging mit gesträubten Haaren wie ein furchtsamer kleiner Hund auf den Tisch zu und betrachtete mit grossen, angstvollen Augen das Geld.
„Fritze, sag’ mal, ist das nun wirklich und wahrhaftig Wahrheit? Bin ich das, Jonny Reimers vom Stubbenhuk in Hamburg, bist du das, Fritz Jacobsen — und stehen wir hier beide wirklich und wahrhaftig im Hotel Adlon in Berlin in unserem Hotelzimmer? Und vor uns auf dem Tisch liegt eine Million? Fritze, Fritze, bin ich verrückt oder träum’ ich? Oder bin ich vielleicht derartig besoffen, dass ich überhaupt nicht mehr weiss, was oben und unten ist? Und, sag’ mal, vielleicht wach’ ich jetzt in zwei Minuten auf, und es ist ein Schutzmann, der mich am Arm rüttelt, und ich lieg auf einer Bank im Tiergarten?“
„Nein, Jonny. Es ist alles Wahrheit.“
„Ja, aber das ist doch gar nicht möglich! Wir